Es ist ein Abkommen von historischer Bedeutung. Darüber sind sich alle einig. Ob der Deal mit dem Libanon zu den Seegrenzen im Mittelmeer gut oder schlecht ist, darüber jedoch scheiden sich die Geister in Israel. Während Premierminister Yair Lapid von der Zentrumspartei Jesch Atid ihn als »beispiellose Errungenschaft« preist, »die Israels Sicherheit stärkt, unsere Wirtschaft fördert und Ländern auf der ganzen Welt saubere und erschwingliche Energie liefern wird«, bezeichnet Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom rechtsgerichteten Likud ihn als »historische Kapitulation«.
»Die Regierung hat am 12. Oktober mit überwältigender Mehrheit die Grundsätze des Abkommens mit dem Libanon sowie den Vorschlag des Ministerpräsidenten gebilligt, das Abkommen der Knesset zur Prüfung vorzulegen«, hieß es aus Lapids Büro. Die einzige Enthaltung kam von Innenministerin Ayelet Shaked (Jüdisches Haus).
vermittlung Der Konflikt zwischen den verfeindeten Nachbarn schwelte mehr als ein Jahrzehnt lang. Streitpunkt war ein Gebiet von rund 860 Quadratkilometern im Mittelmeer entlang der Grenze beider Länder. Darin liegen das Karisch-Feld, in dem ein großes Vorkommen an Erdgas vermutet wird, und ein weiteres Gasfeld mit Namen Qana-Sidon. Sowohl der Libanon als auch Israel hatten die Fläche als Wirtschaftszone beansprucht. In dem Abkommen, das mithilfe US-amerikanischer Vermittlung zustande kam, einigten sich Israel und der Libanon am 11. September.
Der Experte des Israel Democracy Institute (IDI), Yuval Shany, erklärt, was dies bedeutet: »Es ging um mehrere Fragen im Zusammenhang mit ihrer gemeinsamen Seegrenze und der Aufteilung von Rechten und Pflichten zwischen den Ländern in den angrenzenden Gebieten des Mittelmeers an ihren Küsten. Die Seiten akzeptierten einen Kompromiss, der eine formelle Einigung über Teile der Seegrenze zwischen ihren jeweiligen ›territorialen Gewässern‹ sowie die Abgrenzung der dazugehörigen Wirtschaftsgebiete beinhaltet. In diesen haben Staaten keinen Hoheitstitel, aber spezifische Hoheitsrechte zur Nutzung der dort vorhandenen natürlichen Ressourcen.«
Lapid betonte nach der Unterzeichnung, dass alle Forderungen Israels erfüllt worden seien.
Lapid betonte nach der Unterzeichnung, dass alle Forderungen Israels erfüllt worden seien. Er führte aus, »dass dieses Abkommen die Sicherheit der Gemeinden im Norden wahrt sowie die Handlungsfreiheit der IDF und die Kontrolle der israelischen Marine über das Gebiet sichert, das der Küste am nächsten liegt«. Die Sicherheitsbehörden hätten deutlich gemacht, dass es den Sicherheitsbedürfnissen Israels optimal entspreche. »Wie der Generalstabschef der Regierung sagte, schützt es nicht nur unsere Sicherheit, es erhöht unsere Sicherheit sogar.«
»Israel hat keine Angst vor Hisbollah«, hob der Premierminister hervor. »Doch dieses Abkommen schließt die Möglichkeit eines militärischen Zusammenstoßes mit der Hisbollah aus. Die IDF ist stärker als jede Terrororganisation. Aber wenn es möglich ist, einen Krieg zu verhindern, ist es die Aufgabe einer verantwortungsbewussten Regierung, dies zu tun.«
Darüber hinaus garantiere der Deal die Energiesicherheit des Staates Israel »und wird Milliardeneinnahmen bringen, von denen jede Familie im Land profitiert«. Israel erhalte etwa 17 Prozent der Einnahmen aus dem libanesischen Qana-Sidon-Feld, wenn es öffnen wird. Man habe dieses Abkommen mit den Amerikanern geschlossen, damit Gelder die Hisbollah nicht erreichen. »Es ist ein gutes Geschäft für den Staat Israel. Für Israels Sicherheit. Für Israels Wirtschaft. Für die Bürger Israels«, resümierte er.
NORmalisierung Die im Libanon einflussreiche Terrororganisation Hisbollah ist einer von Israels Erzfeinden. Zwar hatten Jerusalem und Beirut betont, dass mit den Gesprächen keine Normalisierung der Beziehungen einhergehe, Experten meinen, dass die Einigung um die gemeinsame Seegrenze dennoch eine gewisse »Normalisierung« sei.
»Obwohl die Debatte in Israel über das Abkommen noch andauern wird, ist sicher: Das Abkommen ist gut für den Libanon und für den libanesischen Staat, also schlecht für die Hisbollah und den Iran«, ist Nadav Pollak, Dozent für Angelegenheiten des Nahen Ostens an der Reichman University, sicher.
Israel könnte für Deutschland und die EU als Gaslieferant an Bedeutung gewinnen.
»Die Hisbollah wird versuchen zu argumentieren, dass es ihre militärischen Drohungen waren, die Israel dazu gebracht haben zu unterzeichnen«, so Pollak weiter. »Doch die Wahrheit ist, dass jeder israelische Anführer mit oder ohne die Hisbollah einen solchen Deal abgeschlossen hätte. Denn er bringt Israel viele Vorteile und nimmt, vielleicht zum ersten Mal, die Nullsummen-Betrachtung der israelisch-libanesischen Beziehungen und ersetzt sie durch eine Win-win-Situation.«
Das Seegrenzabkommen werde wahrscheinlich genau das erreichen, was die Hisbollah nicht wolle, betont Pollak im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, »nämlich den libanesischen Staat zu stärken und Hoffnung auf echte wirtschaftliche Gewinne in der Zukunft zu bringen«.
garantien US-Präsident Joe Biden wandte sich mit den Worten »Sie schreiben Geschichte« an Lapid. »Der Vertrag wird die Entwicklung von Energiefeldern zum Nutzen beider Länder vorsehen, die Voraussetzungen für eine stabilere und wohlhabendere Region schaffen sowie lebenswichtige neue Energieressourcen für die USA und die Welt erschließen.« Es sei Lapid zudem gelungen, parallel zum Abkommen eine Reihe von Wirtschafts- und Sicherheitsgarantien von den USA zu erhalten, heißt es aus Jerusalem.
Es ist damit auch für die Europäische Union wahrscheinlicher geworden, israelisches Erdgas importieren zu können. Die EU ist durch die russische Invasion in der Ukraine in eine massive Energiekrise gedrängt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Abkommen »gut für Israel, für den Libanon und auch für die Region und Europa«.
Verteidigungsminister Benny Gantz hob hervor, dass die Einigung für beide Seiten gerecht und positiv sei. »Wir haben die Sicherheitsinteressen des Staates Israel gewahrt – und werden nicht einen einzigen Millimeter Kompromisse eingehen, die auf Kosten unserer Sicherheit gehen würden.«