So geteilt wie das Ergebnis bei den Knessetwahlen war, so uneinig ging es bei der Regierungsbildung weiter. Die politischen Vertreter spiegelten mit ihrem Unwillen, einen Kompromiss zu finden, die Zerrissenheit in der Gesellschaft wider. In nahezu sechs Wochen schaffte es Premier Benjamin Netanjahu nicht, eine funktionsfähige Koalition auf die Beine zu stellen.
Weniger als einen Monat nach der Bildung der neuen Knesset stimmte die Mehrheit am Montag dafür, sie aufzulösen. Am 17. September könnten die Israelis wieder an die Wahlurnen gerufen werden. Noch muss dieser Antrag in zwei Lesungen angenommen werden. Und das geschieht, wenn überhaupt, erst nach dem Ablauf der Frist zur Regierungsbildung in der Nacht zum Donnerstag.
neuwahlen Doch alle Euphorie, die Netanjahu mit 35 Mandaten für seinen Likud – trotz schwebender Korruptionsvorwürfe – nach den Wahlen ausgestrahlt hatte, war verflogen. Denn obwohl seine gesamte Fraktion für Neuwahlen stimmte, will er persönlich keine. Bei Redaktionsschluss dieser Zeitung war nicht klar, ob es tatsächlich dazu kommen oder letztendlich doch eine Koalition gebildet werden würde. 24 Stunden sind eine lange Zeit in der israelischen Politik.
Deutlich wurde wieder einmal, wie sehr die Wertvorstellungen der potenziellen Koalierenden auseinandergehen.
Deutlich wurde wieder einmal, wie sehr die Wertvorstellungen der potenziellen Koalierenden auseinandergehen. Alle Parteien versuchten, das Maximale herauszuholen, nachdem sie Netanjahu die Mehrheit beschert hatten. Um jedermann zufriedenzustellen, hatte der bereits 28 statt der ursprünglichen 21 Ministerposten angeboten. Doch auch das reichte nicht.
Einer, der partout nicht mitmachen wollte, war der Chef der Partei Israel Beiteinu und einstige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Netanjahu beschuldigte ihn des Starrsinns. Seiner Meinung nach legte er es regelrecht auf Neuwahlen an. Als sich das abzeichnete, versuchte der Premier, eine Minderheitenregierung ohne Lieberman mit 60 Sitzen durchzudrücken. Doch da war es Finanzminister Mosche Kachlon, der ihm einen Strich durch die Rechnung machte. »Das ist die Zeit nicht wert, denn so ist die Koalition erpressbar und nicht regierungsfähig«, lautete der Kommentar.
armeedienst Lieberman betonte, dass es nicht um die Person Netanjahu gehe, sondern um Prinzipien. Er will, dass auch Charedim Armeedienst leisten und das bestehende Gesetz umgesetzt wird. Das hatte er seinen Wählern versprochen. Später legte er nach und erklärte vor laufenden Kameras: »Ich werde keiner halachischen Regierung beitreten.«
Damit bezog sich der säkulare Politiker auf den Druck, den die ultraorthodoxen Parteien Vereinigtes Tora-Judentum und Schas auf Netanjahu ausüben. Sie hatten gemeinsam 16 Sitze geholt, drei mehr als bei der Wahl zuvor, und wären damit unverzichtbarer Teil einer rechts-religiösen Regierung. Doch die Charedim wollen sich ihre Beteiligung teuer bezahlen lassen. Vor allem mit einer Abschwächung des Armeegesetzes.
Wenige glauben, dass die religiösen Parteien kompromissbereit sind.
Das besagt, dass alle jungen Männer – auch streng religiöse – zum Militär müssen. Das jahrzehntealte sogenannte Tal-Gesetz war bereits 2012 reformiert worden, als das Oberste Gericht entschied, es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz. Nach den Wahlen 2013 wurden, in einer Koalition ohne religiöse Parteien, Änderungen auf Anregung des damaligen Finanzministers Yair Lapid vorgenommen.
In die Tat umgesetzt wurde das Gesetz jedoch lediglich rudimentär. Als die Religiösen anschließend wieder Teil der Regierung waren, wurden die Neuerungen Makulatur. Vor zwei Jahren entschied das Gericht erneut, dass es eine Reform geben müsse. Denn es wurden so viele Ausnahmeregelungen zugelassen, dass de facto doch jeder charedische junge Mann dem Militärdienst entkommen kann.
Doch es steckt noch mehr hinter den Schwierigkeiten der Regierungsbildung: Seit den Korruptionsvorwürfen und bevorstehenden Verfahren gegen ihn ist Netanjahu angreifbar geworden. Noch sind es verhaltene Gerüchte, dass es für den Likud eine Existenz ohne Netanjahu geben kann.
Die für die Koalition vorgesehenen Parteien wissen zudem genau, dass Netanjahu so schnell wie möglich eine Regierung bilden wollte, die ihn vor Strafverfolgung schützt. Regierungsmitglieder sollten nicht nur schwören, dass sie dem Staat Israel verpflichtet sind, sondern auch per Koalitionsvertrag, dass sie den Premierminister praktisch über das Gesetz stellen.
Die für die Koalition vorgesehenen Parteien wissen genau, dass Netanjahu so schnell wie möglich eine Regierung bilden wollte, die ihn vor Strafverfolgung schützt.
GERICHT Mithilfe eines »Außerkraftsetzungs-Paragrafen« wäre alles, was das Oberste Gericht beschließt, lediglich vorschlagender, aber nicht mehr bindender Natur. Dabei geht es Netanjahu vor allem darum, seine Immunität zu sichern, auch wenn die Richter des Obersten Gerichts sie im Fall einer Verurteilung widerrufen. Er bestreitet, dass dies sein Anliegen sei.
Doch sogar Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, der angekündigt hatte, Netanjahu in drei Fällen wegen Korruption anzuklagen, stellte klar: Es sei schwer vorstellbar, dass es Netanjahu eigentlich um ganz andere Ziele gehe, erläuterte er auf einer Versammlung der Anwaltskammer in Eilat.
Auch die Vorwürfe von Netanjahu, Mandelblit sei voreingenommen gewesen, wies dieser zurück: »Es gab keinerlei Druck auf uns. Wir dienen niemand anderem als der Öffentlichkeit und dem Gesetz. Alle Entscheidungen, die den Premier betreffen, sind auf professionelle Weise getroffen worden.« Einer Umfrage des Fernsehkanals 13 zufolge ist die große Mehrheit in Israel – 66 Prozent – gegen die Gesetzesänderungen. Lediglich 19 Prozent befürworten den Schritt, elf Prozent sind unentschieden.
Die Opposition versucht derweil, ihre Anhänger zu mobilisieren.
Die Opposition versucht derweil, ihre Anhänger zu mobilisieren. Am vergangenen Samstag waren Zehntausende (manche sprechen sogar von mehr als 100.000) in Tel Aviv auf den Museumsplatz gepilgert, um gegen die Gefahren für die Demokratie durch die geplante Lähmung des Obersten Gerichts zu protestieren. Viele trugen türkische Feze auf dem Kopf mit Aufklebern »Crime Minister« und Schilder, auf denen in fetten Lettern stand: »Israel ist kein Erdoganistan«.
Benny Gantz von der oppositionellen Union Blau-Weiß stand als Erster auf der Bühne: »Wir erlauben es nicht, dass Israel in ein Sultanat oder den Machtbereich einer Monarchenfamilie verwandelt wird.«
Man werde nicht zulassen, dass die Polizei paralysiert, die Medien demoliert und die Gerichte zerstört werden. »Ich rufe dazu auf, eine nationale Allianz zu bilden«, rief er unter dem Jubel der Demonstranten. »Demokratie und Zionismus gehören uns allen, nicht nur den Linken und nicht nur den Rechten. Alle Israelis müssen aufstehen und die Demokratie verteidigen. Damit die uns in Zukunft verteidigt.«