Mangal

Eine nationale Ikone

Es ist früher Nachmittag an einem Schabbat, irgendwo im Park Hayarkon im Norden von Tel Aviv. Trotz schweißtreibender 28 Grad sieht man überall auf den Wiesen Familienväter verzweifelt Feuer anfachen, mit Grillzangen herumfuchteln oder Kebabs, Pargijot, marinierte Hühnerspieße, und Würstchen wenden, während Kinder ungeduldig auf Nachschub warten und die Gattin eine ganze Batterie Salate auffährt.

Auch werden die Gruppen größer und größer, weil immer mehr Freunde und Verwandte dazustoßen. Bald schon schwebt über dem gesamten Gelände eine riesige rauchige Aromawolke. Vielerorts sieht es in Israel am Wochenende oder an Feiertagen so aus. Und ist keine Grünfläche in der Nähe, dann wird am Strand oder notfalls sogar auf einem Parkplatz der Grill ausgepackt, und los geht es.

»Al Haesch«, zu Deutsch »Auf dem Feuer«, heißt das Ganze, oder einfach nur »Mangal«. Es ist der israelische Volkssport schlechthin, und ohne ein zünftiges Barbecue wäre beispielsweise Jom Haazmaut für viele Israelis undenkbar.

identifikation »Das Grillen von Fleisch ist für die meisten israelischen Juden, die den Unabhängigkeitstag des Landes feiern, die wichtigste Aktivität an diesem Tag überhaupt«, bringt es Nir Avieli auf den Punkt. »Es ist ein Ritual, ohne das das Fest unvollständig wäre und über das hinaus nicht viel anderes gemacht wird«, so der Soziologieprofessor an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva in seiner Studie »Grilled Nationalism: Power, Masculinity and Space in Israeli Barbeques«.

Seine These: »Die Identifikation mit dem Nationalstaat wird durch den Verzehr von Fleisch verkörpert, das verarbeitete und verfeinerte Stücke der israelischen Identität symbolisiert.« Im Vergleich zum »Mangal« sind die Flugshows der Luftwaffe oder andere Zeremonien fast schon zweitrangig.

In der Tat lassen sich zwischen dem Grillen von Kebabs und Co. sowie der Geschichte Israels einige Zusammenhänge erkennen, die zeigen, dass ein »Mangal« durchaus identitätsstiftend sein kann. Da ist erst einmal das Wort selbst, das aus dem Arabischen stammt und eigentlich »manqal« lautet, was so viel wie »tragbar« bedeutet und für die portablen Heizgeräte benutzt wurde, mit denen Beduinen im Winter ihre Zelte beheizen. Anderen etymologischen Erklärungen zufolge soll es aber türkischen Ursprungs sein und eine Art Kohlebecken bezeichnen.

In Israel wurde daraus letztendlich eine Bezeichnung für den Grill als solchen, aber auch für das Event, wenn sich mehrere Personen für ein Barbecue treffen.

»Mangal« ist für die allermeisten Israelis ein sehr vertrauter Begriff.

Das Armenische kennt ebenso wie das Bulgarische, Griechische oder Russische fast identisch klingende Worte, sodass »Mangal« für die allermeisten Israelis ein sehr vertrauter Begriff ist, egal ob man aschkenasischer oder misrachischer Herkunft ist.

familie und freunde Und das Grillen als etwas, was gemeinsam mit Familie und Freunden zelebriert wird, fand bereits in den Pioniertagen und ihrem »Kumsitz« – einem Kompositum der beiden jiddischen Wörter »Kum«, zu Deutsch: »Komm her«, und »Sitz«, also einer lockeren Zusammenkunft am Lagerfeuer – statt, bei dem man aus Mangel an Alternativen allenfalls ein paar Kartoffeln in die Flammen legte und vielleicht noch eine Kanne Kaffee oder Tee erhitzte.

Wer will, kann sogar noch weiter in der Geschichte zurückgehen. So entdeckten 2014 Forscher des Weizmann-Instituts in der Qesem-Höhle unweit des Städtchen Rosh Haayin Feuerstellen, die einem ähnlichen Zweck dienten.

»Diese Funde helfen uns, einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung der menschlichen Kultur zu bestimmen, und zwar den Moment, an dem die Menschen erstmals regelmäßig Feuer sowohl zum Zubereiten von Fleisch als auch als Treffpunkt – wie eine Art Lagerfeuer – für soziale Zusammenkünfte nutzten«, erklärt die Geo-Archäologin Ruth Shahack-Gross. »Sie verraten uns auch etwas über den beeindruckenden Grad der sozialen und kognitiven Entwicklung der Menschen, die dort vor etwa 300.000 Jahren lebten.«

mainstream Doch bis das »Mangal« wirklich im israelischen Mainstream ankam, sollte es noch eine Weile dauern. Zuvor war es eher ein misrachisches Phänomen. Außerdem grillte man nicht selbst, sondern ließ gerne grillen. »In den 70er-Jahren erlangte die Schchunat HaTikva, ein bodenständiges Viertel im Süden Tel Avivs, ein gewisses Maß an Berühmtheit für seine einzigartige Grillszene«, schreibt die bekannte Food-Bloggerin und Kochbuchautorin Janna Gur.

»Dutzende koscherer Restaurants entlang der Etzel Street, der Hauptstraße des Viertels, boten mehr oder weniger die gleiche Speisekarte an: frische irakische Pita aus der Bäckerei am Ende der Straße, ein umfangreiches Sortiment an Salaten und Dips sowie eine Auswahl an Fleisch, das auf Metallspießen gegrillt wurde – angefangen von Hühnerleber, -herzen und -milz über Putenhoden und Rindereuter bis hin zu einer einzigartigen lokalen Erfindung: gegrillte Gänseleber. Für viele Israelis gehörte ein gutes, preisgünstiges Essen in einem dieser Restaurants zu einem gelungenen Abend einfach dazu.«

Daran hat sich bis heute nicht viel verändert – allenfalls sind einige der sehr rustikalen Gerichte von den Speisekarten verschwunden. Ähnliche Orte gab und gibt es immer noch im Mahane-Yehuda-Markt in Jerusalem oder in einigen Ecken in Haifa unweit des Hafens sowie natürlich in den arabischen Städten wie Nazareth oder Umm al-Fahm, wohin Israelis ebenfalls gerne fahren, um Kebabs oder Grillspieße jeglicher Art zu genießen.

esskultur Das Grillen ist – ebenfalls wie das Wort »Mangal« – sehr levantinisch und Teil der nahöstlichen Esskultur. Noch in den 80er-Jahren wird das deutlich mit dem Song »Schir HaMangal«, zu Deutsch »Grill-Lied«, einem satirischen Stück des Comedians Yair Nitzani, das auf der Melodie des Modern-Talking-Hits »Brother Louie« basiert, und das Oberhaupt einer typisch misrachischen Familie zeigt, wie es gerade Kebabs brutzelt.

Und auch die israelischen Araber lieben das gemeinsame Grillen. So hat sich in den vergangenen Jahren der Parkplatz und die daran angrenzenden Grünflächen am Strand von Tel Baruch im Norden Tel Avivs zu einem festen Treffpunkt ganzer Familien am Wochenende etabliert.

Statt Fleisch werden zunehmend vegetarische Alternativen benutzt.

Aschkenasim dagegen – übrigens sind und waren es überwiegend wie bei den Misrachim die Männer – griffen erst später zu den »Schipudim«, den Grillspießen, und das aus Gründen, die die dramatischen sozioökonomischen Veränderungen in Israel widerspiegeln. Das war in den 90er-Jahren. »Man wollte Amerika nachahmen«, ist der Soziologe Avieli überzeugt.

Auch dort hat das Grillen eine besondere Bedeutung, vor allem an Feiertagen wie dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Zudem konnten sich viele Israelis nun eine teure Ausrüstung leisten. Gasgrills im Garten wurden ähnlich wie in den Vereinigten Staaten zu Statussymbolen einer aufstrebenden Mittelschicht.

Zwar sprach man dann gerne von einem Barbecue, kurz BBQ, zu dem man Familie, Freunde oder Arbeitskollegen einlädt, aber am Ende sollte es immer ein »Mangal« bleiben, selbst wenn teure Steaks statt der üblichen Kebabs auf dem Edelgrill landeten. Darüber hinaus brachten die vielen Einwanderer aus Argentinien in dieser Zeit ihre ganz eigenen Traditionen mit.

salate Was aber nahöstlich blieb, ist die Vielzahl typisch regionaler Salate, die beim Grillen dazu gereicht werden: Hummus, Baba Ghanoush oder Salat Katzutz, der klassische israelische Salat aus fein geschnittenen Tomaten, Gurken und Paprika mit Kräutern in allen Variationen. Und noch etwas unterscheidet das israelische Grillspektakel von anderen. »Die Israelis tauchen eine halbe Zwiebel in Öl und verteilen sie dann auf dem Rost des ›Mangal‹, damit das Fleisch nicht so festklebt«, betont Vered Guttman, die ein israelisches Catering-Unternehmen in Washington betreibt, im »JW-Magazin«: »Das riecht so gut.«

Der Trend, statt Fleisch auch zunehmend vegetarische Alternativen zu benutzen, verweist ebenfalls auf Essgewohnheiten in der israelischen Gesellschaft, die sich gewandelt haben. Die Tatsache, dass gegrilltes Gemüse wie Auberginen und Zucchini oder Halloumi immer schon irgendwie dazugehörten, macht die Sache deutlich einfacher.

Doch ein zentraler Aspekt des sozialen Rituals ist geblieben und beweist Kontinuität, und das ist die Ausstrahlungskraft des »Mangals« als Symbol für etwas sehr Israelisches: das mitunter recht laute und chaotische Zusammenkommen von Familie und Freunden, bei dem selbstverständlich hervorragendes Essen in Hülle und Fülle im Mittelpunkt steht.

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