Jerusalem

Ein letztes Treffen

Stolz umarmte der Armeeoffizier in israelischer Uniform die alte Dame im Rollstuhl mit dem weißen Haar und küsste sie auf beide Wangen, während sie seine Hände fest in ihren hielt. Sie ist der Grund, weshalb der junge Mann auf der Welt ist. Vor mehr als sieben Jahrzehnten rettete Melpomeni Dina zusammen mit ihren Schwestern und einer weiteren Familie die Mordechais in Griechenland vor den Nazis. Jetzt traf die 92-Jährige zum ersten Mal alle Nachfahren in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Es war ein emotionales Treffen. Und es könnte das letzte dieser Art gewesen sein. »Denn die Reise war sehr schwer für sie«, sagte Sarah Yanai (geborene Mordechai), die von der damals erst 14-Jährigen als Kind vor dem sicheren Tod in den Gaskammern gerettet wurde. Auch ihr Bruder Yossi Mor war dabei. »Ich war noch ein Baby, als sie uns aufnahmen«, so Mor. »Aber ich erinnere mich, dass sie uns Essen und Medizin gaben. Und dass sie mich sehr geliebt haben.«

MENSCHEN Nicht nur die beiden Schoa-Überlebenden waren aus ihren Wohnorten Ramat Hascharon und Beer Sheva nach Jerusalem gekommen, um ihre Heldin zu treffen. Sie brachten ihre gesamte Großfamilie mit: Töchter, Söhne, Enkel und Enkelinnen – mehr als 40 Personen insgesamt. »Wegen ihr sind wir heute eine glückliche israelische Familie«, fasste Yanai sichtlich bewegt zusammen.

Mutter Miriam und die fünf Kinder wurden zwei Jahre lang von den Helfern versteckt.

Die Jewish Foundation for the Righteous (JFR) hatte die Zusammenkunft organisiert. In der Halle der Namen umarmte ein Mitglied der israelischen Familie nach dem anderen Dina und dankte ihr für die Rettung. Als Heldin sieht sie sich aber nicht. »Wir waren eine Familie. Ich danke Gott, dass er mich am Leben gelassen hat, damit ich sie wiedersehen konnte. Meine Schwestern und ich waren keine Helden. Wir waren Menschen. Und das, was geschah, war unmenschlich.«

Noch immer erhält die Holocaust-Gedenkstätte Hunderte von Anfragen jährlich, um Helfer als »Gerechte unter den Völkern« anzuerkennen, weiß Joel Zisenwine, Direktor der gleichnamigen Abteilung. »Diese Retter sind ein Licht in einer Zeit der Dunkelheit und Zerstörung. Und sie sind eine Quelle der Inspiration für uns alle in der zerrissenen Gesellschaft von heute.« Rettung gab es auf verschiedene Weise, die Menschen kamen aus allen möglichen Ländern und Gesellschaftsschichten und hatten unterschiedliche Religionen. Bis heute hat Yad Vashem 27.000 Gerechte anerkannt. 355 von ihnen sind aus Griechenland.

VERSTECK Die Familie Mordechai stammt aus dem kleinen Städtchen Veria in der Nähe von Thessaloniki. 600 jüdische Bewohner lebten vor dem Zweiten Weltkrieg in dem Ort. Als die Nazis kamen, trieben sie Juden binnen kürzester Zeit zusammen und schickten sie in die Todeslager. Die Mordechais – Mutter Miriam und die Kinder Sarah, Ascher, Schmuel, Rachel und Yossi – wurden nahezu zwei Jahre lang von Melpomeni und ihren Schwestern Efthimia und Bithleem mit der Hilfe der Familie Axiopoulos versteckt und versorgt und konnten so den Krieg überleben. Alle sind von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern anerkannt.

Die ältere Schwester von Dina, Efthimia, lernte die Mordechai-Familie kennen, als sie bei Miriam das Schneiderhandwerk lernte. Da die Schwestern verwaist waren und in Armut lebten, berechnete Miriam nichts für den Unterricht. Efthimia besuchte die Familie oft, sogar, als sie sich bereits vor den Nazis in Sicherheit bringen musste. Nachdem ihr Versteck bei der Familie Axiopoulos entdeckt wurde, war es die junge Frau, die der gesamten Familie eine neue Unterkunft besorgte: in ihrem eigenen Einzimmer-Haus gemeinsam mit ihren beiden Schwestern.

Die drei Schwestern teilten die mageren Essensrationen mit den Mordechais und gaben ihnen Schutz, obwohl sie damit ihr Leben in große Gefahr brachten.

Die drei Schwestern teilten die mageren Essensrationen mit den Mordechais und gaben ihnen Schutz, obwohl sie damit ihr Leben in große Gefahr brachten. Weil Lebensmittel rar waren, bestellten die jüngeren Schwestern ein kleines Stück Land, rund 40 Kilometer von der Stadt entfernt. Die Ernte trugen sie auf ihrem Rücken zu Fuß zurück. Auf diese Weise brachten sie Nahrungsmittel für alle nach Hause, ohne dass es jemand merkte.

FLUCHT Nachdem Schmuel schwer krank wurde, brachten ihn die Schwestern trotzdem ins Krankenhaus, um sein Leben zu retten. Der Sechsjährige starb jedoch, und das Versteck flog auf. Doch die Schwestern gaben nicht auf. Sie verhalfen allen Familienmitgliedern zur Flucht in die Vermio-Berge und versorgten sie bis zum Ende des Krieges. Und die Mordechais überlebten.

»Obwohl ich schon viele Überlebende und ihre Helfer getroffen habe, erstaunt mich der Mut der Tausenden von nicht-jüdischen Rettern immer wieder. Sie riskierten ihr Leben und das ihrer Familien mit«, so die Worte des Vizepräsidenten von JFR, Stanlee Stahl. »Die Wiedervereinigung mit den Überlebenden, ihren Kindern und Enkeln – die alle wegen der Heldentaten von Melpomeni und ihren Schwestern am Leben sind –, ist so bedeutend. Wir sind bis in alle Ewigkeit dankbar für diese Gerechten unter den Völkern und hoffen, ihre Geschichten, ihren Mut und ihr Mitgefühl anderen mitzuteilen.«

Mit dem blauen Himmel im Hintergrund posierte die Familie mit Melpomeni Dina in der Mitte für ein Gruppenfoto. Es wird einen Ehrenplatz bekommen – und wahrscheinlich eines der letzten sein, das von Holocaust-Überlebenden und ihren Rettern aufgenommen wird. Denn viele von ihnen gibt es nicht mehr. Und die Zeit läuft ab. Die Gerechte unter den Völkern aus Griechenland stand umringt von den Kindern, die sie rettete, und all ihren Angehörigen – auf der einen Seite Sarah, auf der anderen Yossi. »Jetzt kann ich in Ruhe sterben.«

Debatte

Jüdischer Weltkongress verurteilt israelfeindlichen Weltkirchenrat

Es gibt reichlich Kritik an einer Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »Apartheid« vorgeworfen wird. Nun reagiert der Jüdische Weltkongress - und hat Fragen an die Kirchen

 11.07.2025

"Newsmax"-Interview

Netanjahu zu Hamas: Werden diese »Monster« besiegen

Die Bemühungen um eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln im Gazastreifen dauern an. Israels Ministerpräsident Netanjahu hofft, dass es dazu bald kommt. Vorerst aber geht der Kampf gegen den palästinensischen Terror weiter

 11.07.2025

Tel Aviv/Ramallah

Israeli stirbt bei Anschlag im Westjordanland

Seit Beginn des Krieges ist die Lage auch im Westjordanland extrem angespannt. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen und auch tödlichen Anschlägen auf Israelis

 11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Israel

Eli Sharabis Bestseller bald auch auf Englisch

Zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 soll das Buch der ehemaligen Geisel veröffentlicht werden

von Sabine Brandes  10.07.2025

Westjordanland

Israeli stirbt bei Terroranschlag

Der 22-jährige Sicherheitsmann wurde in der Nähe des Einkaufszentrums von Gusch Etzion von zwei Männern angegriffen

 10.07.2025

Brüssel

EU-Chefdiplomatin lobt »konstruktiven Dialog« mit Israel

Die Außenbeauftragte Kaja Kallas hat in einer Erklärung Schritte zur Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen angekündigt

 10.07.2025

Nahost

Finanziert Katar den Wiederaufbau in Gaza?

Angeblich hat Israel grundsätzlich zugestimmt, dass Gelder aus dem Golfemirat bereitgestellt werden können

von Sabine Brandes  10.07.2025

Washington

Netanjahu: »Kein Geiseldeal um jeden Preis«

Von den 50 verschleppten Menschen in der Gewalt der Hamas sollen 20 noch am Leben sein

von Sabine Brandes  10.07.2025