Geiseln

Über ein Jahr ohne sie

Eine Babytrinkflasche erinnert an das Schicksal von Kfir Bibas. Initiiert wurde das Gedenken von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. (Archiv) Foto: picture alliance/dpa

Sie weiß nicht, ob sie ihn überhaupt erkennen würde. Vielleicht an seinem roten Haar. »Als er gekidnappt wurde, war er gerade acht Monate alt«, erinnert sich Ofri Bibas-Levy. »Heute ist Kfir schon ein Jahr und acht Monate und kein Baby mehr. Ich weiß nicht, was er mag, womit er gern spielt. Was er gelernt hat. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, mochte er es sehr, gekitzelt zu werden.« Bibas-Levy ist Kfirs Tante. »Doch jetzt weiß ich gar nichts mehr. Es ist unfassbar – ein Jahr ohne sie.«

»Sie waren diese junge, glückliche Familie. Und nun sind sie weg, wie verschwunden. Wir können es einfach nicht glauben«, so Bibas-Levy. Noch weniger wollen sich die Angehörigen mit dem grausamen Schicksal abfinden. Die gesamte Bibas-Familie, Yarden und Shiri mit ihren kleinen Kindern Ariel, heute fünf Jahre, und Baby Kfir, wurden am 7. Oktober während des Massakers der Hamas aus ihrem Heimatkibbutz Nir Oz von Terroristen verschleppt.

Yarden, ihr Bruder, wird am 10. Oktober seinen zweiten Geburtstag in der Geiselhaft der Hamas in Gaza begehen. »Lange habe ich es mir herbeigesehnt, doch ich glaube nicht mehr, dass er dann hier zu Hause sein wird. Im Moment bin ich nicht zuversichtlich.« Von morgens bis abends würden sich sämtliche Gedanken darum drehen, »was wir noch tun können, in welche Richtung wir noch schreien sollen«.

Für die Geiseln stark sein

Die Mutter von drei kleinen Kindern versuche krampfhaft, die Hoffnung nicht zu verlieren. »Doch an manchen Tagen schaffe ich es kaum mehr. Dann aber denke ich wieder an Yarden, Shiri, Ariel, Kfir und alle anderen Geiseln, die dort, wo sie sind, leiden. Und weiß, ich muss für sie stark sein.«

Yifat Zailer ist die Cousine von Shiri Bibas. Sie weint, während sie spricht. Vielleicht trauert sie gerade in diesem Moment um ihre Tante und ihren Onkel Margit und Yossi Silberman. »Margit war jung, erst 63 und Yossi ein begnadeter Künstler mit feurig roten Haaren wie seine Enkelkinder Ariel und Kfir.« Beide wurden am 7. Oktober getötet, als die mordenden Horden aus Gaza ihren Kibbutz überfielen. »Ich trauere um die Geiseln«, sagt sie dann. »Ich kann nicht abschließen und mich der Trauer hingeben, wenn unsere Familien in Gaza gefangen gehalten werden.«

»Wir sind in unserer dunkelsten Stunde, in der schwersten Zeit - und bitten um Mitgefühl von der Welt.«

»Dieses eine Jahr ist so schnell vergangen und gleichzeitig scheint es wie 100 schreckliche Jahre.« Oft fühlten sich die Angehörigen, als ob es ihr »persönliches Versagen« sei, dass die Geiseln noch nicht befreit sind, gibt sie zu. Auch sie hat zwei kleine Kinder und ist doch permanent damit beschäftigt, ihre Liebsten im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten. »Wir brauchen Hilfe, wir können diesen Kampf nicht allein kämpfen: Wir sind in unserer dunkelsten Stunde, in der schwersten Zeit und bitten um Mitgefühl von der Welt.«

Sie seien keine »Menschen des Krieges«, macht Zailer klar, »sondern wollen Frieden.« An die pro-palästinensischen Aktivisten gerichtet sagt sie: »Dies kann nicht der Weg sein, für eine ‚Befreiung Palästinas‘ zu kämpfen. Mit der Geiselhaft von Unschuldigen, denen jedes Menschenrecht genommen wird … Das darf nicht sein.«

Die Familie weiß, dass Yarden, ihr Cousin, getrennt von seiner Familie in Gaza festgehalten wurde. Das haben freigelassene Geiseln bestätigt. In einem grausamen Propagandavideo zeigte die Hamas, wie sie Yarden Bibas sagte, dass seine Frau und die beiden Kinder durch einen Angriff der israelischen Armee ums Leben gekommen seien. »Aber wir haben keine offizielle Bestätigung, dass Shiri, Ariel und Kfir tatsächlich tot sind«, erklärt Zailer. »Leider weiß Yarden in Gaza sicher nicht, was wir wissen. Doch wir hoffen weiter, und wir kämpfen weiter.«

Seit zwölf Monaten nur mit Befreiung der Geiseln beschäftigt

Tomer Keshet, Cousin von Yarden, ist seit zwölf Monaten mit nichts anderem beschäftigt als mit der Befreiung seiner Angehörigen: »Wir treffen uns immer wieder mit Botschaftern aller Länder in Israel. Doch nichts ist geschehen. Wir haben mit den Top-Senatoren in den USA gesprochen, um Amerika dazu zu bringen, bei den Verhandlungen für einen Geiseldeal zu helfen. Doch nichts ist geschehen. Yardens Vater sprach vor den Vereinten Nationen. Doch nichts ist geschehen. Wir sind nach Katar geflogen, in die USA, nach Europa und Argentinien, woher die Bibas-Familie stammt. Doch nichts ist geschehen. Sie sind nicht hier!«

Die Menschen würden ihre Schulter anbieten, damit die Familien der Geiseln daran weinen können und immer versprechen, etwas zu tun, so Keshet. »Es ist fürchterlich zu wissen, dass wir mit all diesen einflussreichen Menschen gesprochen haben, und bisher nichts passiert ist.«

Gleichsam macht er klar, dass er nicht aufhören werde, für die Freilassung aller 100 Geiseln zu kämpfen. »Wir dürfen nicht zulassen, dass nicht mehr über sie gesprochen wird und dass die Welt das Interesse verliert. Es darf auf keinen Fall geschehen – denn das ist der Moment, an dem sie sterben.«

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  18.11.2025

Westjordanland

Terroranschlag: Ein Israeli getötet, drei Verletzte

Am Gusch-Ezion-Knotenpunkt rammen palästinensische Terroristen Passanten mit ihrem Fahrzeug

 18.11.2025

Meinung

Die Gut-Wetter Freunde Israels sind zurück! 

De Wiederaufnahme der Waffenexporte ist richtig und notwendig. Doch das ändert nichts daran, dass die Bundesregierung das Vertrauen Israels und der Juden vorerst verloren hat

von Sarah Cohen-Fantl  18.11.2025

Riad/Washington

USA liefern F-35-Kampfjets an Saudi-Arabien

Bislang wurden diese in der Region nur an den engen Verbündeten Israel abgegeben

von Christoph Meyer, Cindy Riechau, Franziska Spiecker  18.11.2025

Justiz

Urteil: Mehr Macht für den Justizminister

Kritiker warnen, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Fall Sde Teiman die Tür für eine Politisierung der Strafverfolgung öffnet

von Sabine Brandes  18.11.2025

Internationaler Strafgerichtshof

Israel beantragt Aufhebung des Haftbefehls gegen Netanjahu

Auch fordert fordert Jerusalem die vollständige Enthebung von Chefankläger Karim Khan von allen Verfahren, die den jüdischen Staat betreffen

 18.11.2025

Westjordanland

Israel will gegen illegale Selbstjustiz vorgehen

Zuletzt häuften sich Angriffe radikaler Siedler. Generalstabschef Zamir: Israels Militär wird das nicht tolerieren

 17.11.2025

Auszeichnung

»Fair auf Israel blicken, ohne Schaum vor dem Mund«

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat den Augsburger Friedenspreis erhalten. In seiner Dankesrede warb er für einen unvoreingenommenen Blick auf den jüdischen Staat

 17.11.2025

Debatte

Netanjahu: Gewalttätige Siedler sind Minderheit

Israels Premier: Die große Mehrheit der Siedler ist gesetzestreu und dem Staat gegenüber loyal

 17.11.2025