Für Isaac Herzog, den Präsidenten Israels, ist Fadi Dekidek ein Gibor – ein Held. Für den erfahrenen Sanitäter von Magen David Adom (MDA) ist die Rettung von Leben Alltag. Er war der Erste, der am Tatort des tödlichen Terroranschlags vom vergangenen Freitag im Jerusalemer Stadtteil Neve Yaakov war. Und das, obwohl zu dieser Zeit noch Schüsse fielen.
Die Polizei habe ihm und seinem Team das Okay gegeben, den Opfern zu Hilfe zu eilen, trotz der Tatsache, dass der palästinensische Terrorist während seiner Flucht noch um sich schoss. Er habe in seinen langen Jahren beim MDA viele schreckliche Szenen erlebt, berichtete Dekidek später, »aber dieser Anschlag war von einer anderen Größenordnung«.
»Als leitender Sanitäter am Tatort musste ich zu meinem Leidwesen alle Menschen überprüfen, einschließlich aller Todesfälle, und den Tatort überwachen. Ich musste auch die Synagoge betreten und nachsehen, ob sich noch jemand darin befand. Wir hatten einen ersten Bericht erhalten, dass sich der Vorfall in der Synagoge ereignet hatte, aber glücklicherweise wurde darin niemand verletzt.«
paradox Während er ein Opfer vom Freitag behandelte, hörte er dessen Mobiltelefon klingeln. »Aber ich hatte nicht den Mut, auf den Bildschirm zu schauen. Ich wollte nicht wissen, wer es ist.« Es sei »eine sehr schwierige Situation« gewesen, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehkanal 12 im Anschluss. Er habe den Puls aller Opfer gefühlt und feststellen müssen, dass einige bereits tot waren. »In dieser Nacht habe ich nicht schlafen können.«
»Sie sind ein Vorbild für das tägliche, gemeinsame Leben, Sie verdienen Applaus!«
Isaac Herzog
Der 38-jährige Fadi Dekidek ist ein arabischer Bewohner mit türkischen Wurzeln aus Beit Hanina in Ost-Jerusalem. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und ist seit 20 Jahren Ersthelfer für den Rettungsdienst Magen David Adom. Für den Moderator der Nachrichtensendung, Ben Caspit, nicht selbstverständlich: »Fadi, du bist ein erstaunlicher Mann und bringst unsere Geschichte, dieses ganze verrückte Paradox hier, auf den Punkt. Du bist Araber aus Ost-Jerusalem, jemand aus deinem Volk hat den Terroranschlag ausgeführt. Du behandelst Juden, du rettest Juden.«
Für Dekidek aber ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil: »Ich bin sicher, alle wissen, dass Magen David Adom ein ganz eigener Mikrokosmos der Koexistenz ist. Juden retten Araber. Araber retten Juden. Wir verrichten eine heilige Arbeit. Ich denke, das ist ein Beispiel für die ganze Welt.«
Da wusste er noch nicht, dass er sich schon am nächsten Tag wieder in einer dieser paradoxen Situationen befinden würde. Notfall in der Davidstadt, erneut Ost-Jerusalem. Zwei Männer wurden durch einen 13-jährigen Attentäter angeschossen, beide schwer verletzt. Wieder war Dekidek als erster Sanitäter vor Ort. Dabei musste er auch einen Kollegen von MDA identifizieren, der ebenfalls verletzt wurde.
Mut »Als ich die Bilder gesehen habe, dachte ich, dass ich diesen Mann einfach kennenlernen muss«, sagte Präsident Herzog und lud Dekidek prompt in seine Residenz ein. Als dieser in seiner Sanitäter-
uniform den Raum betrat, lächelten Herzog und seine Frau Michal bewundernd. »Die außergewöhnliche Umsicht, die Sie gezeigt haben, als Sie an die Tatorte gelangten, um die Opfer des Terrorismus zu behandeln, zeigen Sie als Vorbild, als Beispiel für Mut, Führungskraft und auch als Beispiel für das tägliche gemeinsame Leben von uns allen«, so der Präsident. »Sie verdienen Applaus!«
Während Fadi Dekidek damit beschäftigt war, sich um die Verwundeten zu kümmern, waren auch Rufe »Tod den Arabern« zu hören.
Während Fadi Dekidek damit beschäftigt war, sich um die Verwundeten zu kümmern, waren auch Rufe »Tod den Arabern« zu hören. Wie er damit umgehe? »Ich bin ein Profi, der mit der Versorgung von Opfern betraut ist. Ich höre es, aber ich ignoriere das und mache meinen Job. Das Einzige, was zählt, ist, Leben zu retten.« Doch als er beim Kaffee zu Hause sitzt, eines seiner Kinder auf dem Schoß, wird der 38-Jährige doch emotional: »Es ist nicht normal, Menschen in ihrem eigenen Blut liegen zu sehen. Wir leben in einer komplizierten Realität.«
In dieser schwierigen Lage sei seine Familie »eine riesengroße Unterstützung«. Seine Frau Duaa gibt unterdessen zu, dass sie oft Angst um ihren Mann habe. Aber mehr noch sei sie stolz auf ihn. Wie seine Kinder. Die sagten schon jetzt, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollen.
bildung Dekidek spricht fünf Sprachen, darunter etwas Jiddisch, »und die sechste ist auf dem Weg«, damit er mit allen Teilen der Gesellschaft kommunizieren kann. Doch der Mann, der regelmäßig sein Leben riskiert, um andere zu retten, äußert auch Kritik: »Juden kennen Araber nicht genug. Für sie sind wir Bauarbeiter oder haben sonstige Berufe. Wir kennen uns nicht näher.« Und das, meint er, sei tragisch. »Ich frage mich immer, wie man die Herzen einander näherbringen kann, statt sie voneinander zu entfernen.« Die Lösung sei eindeutig – »die Bildung der Kinder«.
Er selbst arbeitet dafür, indem er Teenagern aus Ost-Jerusalem regelmäßig beibringt, wie man Erste Hilfe leistet und Menschen wiederbelebt. Rund 80 junge Freiwillige hat er so bereits ausgebildet. Dekidek ist felsenfest überzeugt: »Sie und meine eigenen Kinder werden die zukünftige Generation von MDA-Lebensrettern sein.«