Israel wird den Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas militärisch gewinnen – so wie es auch gelungen ist, das Mullah-Regime im Iran nachhaltig zu schwächen. Doch kulturell und medial hat Israel den Verteidigungskrieg nach dem 7. Oktober verloren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der getötete Hamas-Führer Yahya Sinwar nicht genau das beabsichtigt hatte: sich selbst, seine Kämpfer und die Zivilbevölkerung in einem kollektiven Märtyrertod zu opfern – im Vertrauen darauf, dass ihm in westlichen Kulturen und Medien eine Allianz aus willentlichen und unfreiwilligen Kollaborateuren zur Seite stehen würde.
Wie konnte die Hamas wissen, dass nur wenige Tage nach ihrem Massaker – nach den Morden, Vergewaltigungen, Entführungen, Verbrennungen und Hinrichtungen – große Teile der kulturellen und medialen Eliten bereit sein würden, ihr Narrativ zu übernehmen? Entweder war Sinwar ein taktisches Genie, oder er verstand es schlicht, in seinen mit Louis-Vuitton-Taschen voller Dollars ausgestatteten Tunneln, den Zeitgeist im Westen zu lesen: den Selbsthass, die Erosion der Aufklärung, das postkoloniale Denken an Universitäten, auf Instagram und TikTok – getragen von pseudo-intellektuellen Influencern und ihren halbgebildeten Followern.
Sinwar ist tot, und doch hat er – auf perverse Weise – gewonnen.
Wie anschlussfähig dieser neue Israelhass an alte antisemitische Ressentiments ist, erleben wir gerade – sowohl von rechts als auch von links. Sinwar hat das kalkuliert. Er war nicht so schlicht gestrickt wie viele seiner Unterstützer im Westen. Er ist tot, und doch hat er – auf perverse Weise – gewonnen: Nicht, weil er Israels militärische Schwäche demonstriert hätte, sondern weil es ihm gelungen ist, Israel als Täter zu markieren.
Selbst in Deutschland wich das Entsetzen über das Massaker vom 7. Oktober nach kaum 24 Stunden einem medialen Reflex: der Frage, ob das Massaker Netanjahu politisch nütze. Seitdem überbieten sich viele Stimmen in »Israelkritik«, die am Ende oft darin gipfelt, Israel möge sich doch selbst aufgeben – zugunsten einer Zweistaatenlösung mit Gegnern, die seit 1948 jede Friedenschance ausgeschlagen haben.
Natürlich wird in Israel – auch von arabischen Israelis – kaum jemand auf den Rat jener hören, die im eigenen Wohlstand von der Sicherheit leben, die andere verteidigen. Dafür gibt es die IDF. Die einzige echte Garantie für das »Nie wieder«. Das ist ihre Aufgabe – Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Maxim Biller weiß das. Er ist wohl der einzige jüdische Schriftsteller im deutschen Sprachraum, der sich weigert, Dinge schönzureden. Und als jemand, der Maxim seit über drei Jahrzehnten kennt, weiß ich, wie sehr es ihn quält, dass er – als moralischer Zeitgenosse – beim Thema Israel gezwungen ist, in militärischen Kategorien zu denken. Wer mit ihm befreundet ist, weiß: Man wird, ob man will oder nicht, liebevoll, aber gnadenlos kritisiert.
Für Maxim Biller ist der Intellektuelle vor allem ein Anwalt der Mäßigung.
Seine Sicht auf israelische Politik ist differenziert – oft linker, als manche glauben. Doch in seiner aktuellen Kolumne hat sich Maxim gezwungen, gegen sein eigenes gutmenschliches Bedürfnis zu schreiben. Wie schwer ihm das gefallen sein muss, kann man nur ahnen. Und doch bleibt er sprachlich sicher, präzise und unmissverständlich.
Dass seine Kolumne in der Wochenzeitung »ZEIT« nun von den üblichen Verdächtigen – willfährigen Sinwar-Verstehern – missverstanden wurde, war ihm vermutlich klar. Dass es zu einem »Canceln« kommen würde, dürfte ihn überrascht haben. Und doch: Diese Provokation war notwendig – um zu zeigen, wie sehr sich die Standards im medialen Mainstream gegen jüdische Stimmen verschoben haben. Natürlich nicht gegen jene jüdischen Stimmen, die in der alten Tradition des jüdischen Selbsthasses stehen. Für sie gibt es längst eine eigene Preis- und Förderkultur. Aber das ist ein anderes Thema.
Maxim verachtet Radikalismus jeder Art. Für ihn ist der Intellektuelle vor allem ein Anwalt der Mäßigung. Weder kokettiert er mit dem Extremen, noch fasziniert es ihn. Im Zentrum seines Denkens steht der Humanismus – mit Herz und Verstand gleichermaßen. Wer ihn kennt, weiß, wie sehr ihn die Sätze schmerzen mussten, die er nun schrieb. Maxim leidet an der Situation im Nahen Osten – und auch an den Opfern in der Zivilbevölkerung.
Die beiden Witze, die seine Kolumne rahmen, sind keine Zynismen – sie sind Pointen voller Schmerz. Wer ihn literarisch kennt, weiß: Biller zwingt sich zu solchen Spitzen, wenn es nicht anders geht. Anders als deutsche Moralisten wie Böll oder Grass, die in der Pose des Gerechten schwelgten, lehnt Maxim diesen Gestus für sich ab – er hält ihn für prätentiös und intellektuell unredlich. Stattdessen riskiert er sein Bild von sich selbst, um zu zeigen, wie tief der Diskurs inzwischen verrutscht ist.
Der Westen wird gerade vergiftet – durch die Akzeptanz der Hamas-Propaganda.
In den deutschen Medien ist das Hamas-Narrativ längst Teil des Mainstreams geworden. Unter dem dünnen Mantel der Israelkritik blitzt immer öfter ein neuer Antisemitismus auf. Darauf hat Maxim in seinem eigenen, oft bitter-humorvollen Ton hingewiesen – mit dem uralten, rabenschwarzen jüdischen Humor, der aus der Erfahrung ständiger Bedrohung erwachsen ist. Dieser Überlebenskampf ist nicht nur Teil jüdischer Geschichte, sondern die kulturelle DNA des Judentums – aus der zugleich ein einzigartiger Humanismus erwachsen ist.
Dass »ZEIT«-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo den Text in der Printausgabe der ZEIT gedruckt hat, liegt wohl auch daran, dass er Maxim seit Jahrzehnten kennt – und weiß, wie gefährlich Antisemitismus in Deutschland wieder geworden ist. Dass »ZEIT Online« den Text anschließend »symbolisch« cancelt – obwohl er längst überall verbreitet wird –, folgt einer neuen Logik: eines aktivistischen Journalismus, der linken Moralismus über Aufklärung stellt. Die jüngste Geschichte über einen antisemitischen Bürgermeisterkandidaten in New York, im Sound der Generation TikTok erzählt, illustriert das: laut, leer, hasserfüllt gegen den Westen – besonders dort, wo er nicht elitär genug ist.
ZEIT Online ist das Leitmedium einer neuen, identitätspolitischen Linken – mit ihrem Kosmos aus Transgender-Diskursen, Lastenrad-Poesie und moralischer Verbotsästhetik. Neu hinzugekommen: der Israelhass. Wie beim »Guardian« oder der »New York Times« wird so eine dekadente Kultur des Untergangs kultiviert. Das Ergebnis sieht man dann auf Festivals wie Glastonbury: Popstars grölen antisemitische Parolen, und wohlhabende junge Weiße mit Palästinensertüchern skandieren mit – »Tod der IDF«, die zu einem großen Teil aus jüdischen Bürgern besteht.
Die gute Nachricht: Billers Text wird jetzt erst recht gelesen.
Die gute Nachricht: Billers Text wird jetzt erst recht gelesen. Die schlechte: Sein »Canceln« wirkt abschreckend. Es sendet ein Signal an all jene, die ähnlich denken, aber nicht denselben Mut aufbringen. Das Ziel der neuen Zensoren – oft jung, woke, und ausgestattet mit Hoodie und Nike – ist nicht das Verbot selbst, sondern die Einschüchterung.
Besonders fatal an der Entscheidung von ZEIT Online ist nicht nur die Wirkung nach innen – sondern das Signal nach außen: an all jene, die sich ohnehin als mediale Kollaborateure der Hamas aufführen. Sie geben Israel die Schuld an zivilen Opfern, ohne zu erwähnen, dass die Hamas ihre Waffen unter Krankenhäusern und Schulen lagert – genau, weil sie weiß, dass Journalisten wie Tilo Jung, Georg Restle oder Hanno Hauenstein ihr das durchgehen lassen.
Hoffen wir, dass Maxim Biller weiter für die ZEIT schreiben kann. Und hoffen wir, dass auch in anderen Redaktionen, in denen der Diskurs längst gekippt ist, ein Umdenken einsetzt. Denn jene, zu deren Sprachrohr man gerade wird, werden – wenn sie die Straßen von Berlin, Paris oder London beherrschen – wenig Interesse an den Talking Points der links-liberalen Wohlstandseliten zeigen.
Wir können dankbar sein, dass es Maxim Biller gibt.
Im Gazastreifen wird kein Müll getrennt, kein Lastenrad gefahren und keine Gender-Pädagogik betrieben – dort wurde über Jahrzehnte gefeiert, wenn ein Selbstmordattentat gelang. Und dennoch wird dieses Milieu weiter eine Form von paternalistischem Rassismus betreiben: die systematische Unterforderung des Anderen.
Eli Wiesel sagte einst: Das Judentum ist wie der Kanarienvogel in der Kohlenmine – es spürt als Erstes, wenn die Luft vergiftet ist. Der Westen wird gerade vergiftet – durch die Akzeptanz der Hamas-Propaganda und durch eine arabisch-muslimische Migration, die auch an diesem Wochenende in Berlin wieder gezeigt hat, wie fremd ihr die Werte des Westens sind.
Maxim Biller weist auf all das seit Jahren hin. Wir können dankbar sein, dass es ihn gibt.