Es ist die Nacht der Ausstellungseröffnung von I to Eye in Jerusalem. Plötzlich taucht ein merkwürdiger Stromausfall das gesamte Haus ins Dunkel. Als die Lichter wieder angehen, liegen Teile einer mysteriösen Schriftrolle in den Hallen verteilt, die von einer alten Prophezeiung sprechen. So begann das Sommerabenteuer Art of Escape 2.0 (Die Kunst der Flucht) in den Ausstellungsräumen des Israel-Museums.
Entwickelt vom Magier und Illusionisten Israel Cagliostro, der in der Armee als leitender Militärmagier fungierte, war dieser Escape Room aber nicht nur ein Raum, sondern gleich ein ganzes Museum. »Und es war wundervoll«, erzählt er enthusiastisch. »Wir haben gesehen, wie die Besucher zusammenkamen, gespielt haben, gemeinsam gespannt waren und sich ausgetauscht haben.«
Kulturepochen Es ist der zweite Sommer, in dem in diesem Jerusalemer Museum ein großes Rätsel gelöst werden musste. Es verband klassische Elemente des sogenannten Escape Room – wie Puzzleteile zusammensetzen oder verschlossene Türen öffnen – mit einer Geschichte, die sich über verschiedene Kulturepochen und Zeiten spannte. Die Besucher lernten verschiedene Exponate ausführlich und gleichzeitig originell und spielerisch kennen.
»Und sie verharrten bei den Kunstwerken nicht nur die üblichen sieben Sekunden«, macht der Leiter der Jugend- und Bildungsabteilung, Eli Bruderman, deutlich. »Es ist eine Möglichkeit, sich mit Kunst in einer anspruchsvollen Weise auseinanderzusetzen, die Spaß macht.« Man wolle durch diese Aktion ein breiteres Publikum ins Museum locken. »Dabei ist es nicht so, dass wir unter Besuchermangel leiden«, wie er klarstellt, »doch wir möchten aus unserem Elfenbeinturm hinabsteigen und in Richtung Öffentlichkeit gehen. Aus dem heiligen Tempel der Kunst soll ein kulturelles Zentrum für alle werden.«
Das ist den Machern von Art of Escape offenbar gelungen. Tausende Menschen rätselten und suchten nach der Lösung. Es war eine vielfältige Mischung und »nicht die gewöhnliche Museums-Gemeinde«, wie Bruderman es ausdrückt. Sowohl säkulare Besucher aus dem ganzen Land als auch national-religiöse und ultraorthodoxe Juden kamen mit ihren Familien aus der Stadt. »Es war ganz besonders, zu sehen, wie die Gruppen, die sonst nicht ins Museum kommen und nichts miteinander zu tun haben, voller Freude am Spiel teilnahmen und offen miteinander agierten, während sie das Museum kennenlernten.«
Dabei schickte das Team sie vor allem durch die Dauerausstellungen des archäologischen Flügels sowie der modernen und der israelischen Kunst. »Denn die finden oft nicht genug Beachtung«, gibt Bruderman zu bedenken. »Um die Antworten zu finden, mussten sich die Spieler genauestens mit den Artefakten auseinandersetzen, denn alle Tipps waren hier versteckt. Und das haben sie getan. Auf einmal interessierten sie sich brennend für die verschiedenen Werke, zu denen wir sie schickten.«
Miteinander »Diese Art von Erlebnissen spiegelt den Wandel in den Museen wider. In Sachen Escape Room waren wir die Ersten in Israel, andere Einrichtungen sind unserem Beispiel gefolgt. Wir versuchen, den Weg in die Zukunft zu ebnen, immer einen Schritt voraus zu sein und die Besucher dabei mitzunehmen.«
Das übergreifende Thema war das Miteinander. »Oft sieht man die Menschen nur noch allein vor ihren Handys sitzen, obwohl sie gemeinsam unterwegs sind. Ich finde das schrecklich«, meint Cagliostro. Den Hintergrund bot die Ausstellung I to Eye, die derzeit im Museum gezeigt wird und die zwischenmenschlichen Begegnungen im digitalen Zeitalter analysiert. So gab es Teile im Spiel, die eine Familie oder Gruppe von Freunden nicht allein lösen, sondern nur durch das Zusammenarbeiten mit Fremden bewerkstelligen konnte. Der Zauberkünstler fand es aufregend, zu sehen, wie die Leute, die sich vorher nie gesehen hatten, aufeinander zugingen.
Verwandlung Cagliostro hat eine eigene Theorie, weshalb Escape Rooms weltweit so erfolgreich sind: »Du bist der Held. Wir geben dir nur eine grundlegende Geschichte, doch du selbst bestimmst die Details. Das macht es so aufregend.« Für ihn war vor allem das gemeinsame Spiel der Menschen eine Freude. »Ich habe gesehen, wie glücklich Großeltern mit ihren Enkeln gespielt haben, wie intensiv sich Freunde ausgetauscht haben. Ganz ohne Handy. Das hat mich stolz gemacht.« Der Allround-Magier, wie er sich selbst bezeichnet, möchte auf diese Weise eine gesündere Balance zwischen der Zeit vor dem Bildschirm und der Zeit, die man mit anderen Menschen verbringt, fördern.
Sein Konzept geht auf. Mittlerweile ist Cagliostros Spiel vom berühmten Rijksmuseum in Amsterdam übernommen worden. Zwei Monate lang war er in der Stadt, um ein Thema zu konzipieren. Nach einem Rundgang mit einem Ausstellungsführer war ihm klar: »Es muss ›Verwandlung durch Kunst‹ sein.« Denn jedes Mal, wenn man durch ein Museum geht, »kommt man ein wenig verändert hinaus«.
An einem Tag seien fünf Teenager-Gruppen aus Deutschland in Amsterdam angekommen, erzählt er. »Der Direktor rief mich nervös an, um zu sagen, ich solle mich besonders kümmern, damit ihnen nicht langweilig wird. Sie waren angezogen, als ob sie in den Klub gehen wollen, ganz durchgestylt. Doch innerhalb kürzester Zeit haben sie alle gespielt wie Kinder. Das war einfach wunderschön anzusehen.«
Das Spiel »The Secret Formula« im Rijksmuseum in Amsterdam (Niederlande) läuft noch bis 12. September. Wegen des großen Erfolgs wird es im Dezember wiederholt. Karten online.
www.rijksmuseum.nl