Kunst

Der wahre Shtisel

»Ich bin der Shtisel«: Motta Brim sieht dem ultraorthodoxen Künstler aus der gleichnamigen Fernsehserie erstaunlich ähnlich. Foto: Sabine Brandes

Hier ist sie – die Inspiration für den Shtisel. Mit seinem grauen Bart und dem weißen Hemd, aus dem die Zizit blitzen, könnte er durchaus der ultraorthodoxe Künstler aus der gleichnamigen Fernsehserie sein, die auch in Deutschland durch dem Streamingsdienst Netflix bekannt ist. Doch die meisten charedischen Männer mittleren Alters sehen ähnlich aus. Motta Brim aber lässt keinen Zweifel zu: »Ich bin der Shtisel.« Hier, in seinem temporären Atelier, schläft, isst und malt er dieser Tage. Brim ist Teil der 5. Jerusalem Biennale, die am vergangenen Donnerstag eröffnet wurde.

Das Kunstfestival läuft bis Ende Dezember und findet zum ersten Mal in seinem eigenen Zuhause statt, dem einstigen Shaare-Zedek-Krankenhaus im Herzen der Stadt – passend zum Titel »Four Cubits«, frei übersetzt »eigene vier Wände«. Viele Jerusalemer verbinden mit dem 120 Jahre alten Gebäude ihre persönliche Geschichte, einige der Künstler sind sogar hinter diesen Mauern geboren.

judaika »Die Ausstellung untersucht, wie Kunst in privaten Räumen funktioniert, in Büros oder öffentlichen Plätzen«, erläutert Ram Ozeri, Gründer und leitender Art Director. Durch die Pandemie habe sich vieles verschoben. Ein besonderes Beispiel dafür sei die Synagoge des ehemaligen Krankenhauses, omnipräsent im Zentrum des Gebäudes direkt hinter dem Eingang.

Ozeri verwandelte sie in einen besonderen Ausstellungsort. »Die Halacha sagt, dass eine Synagoge zwar anders genutzt werden, jedoch in ihrer Bedeutung nicht herabgesetzt werden darf. Doch was bedeutet das? Ist Kunst in jedem Fall eine Aufwertung?«, fragt er.

Ozeri entschied sich, eine der führenden Judaika-Künstlerinnen Israels in das einstige Gotteshaus einzuladen: Sari Srulovitch. Deren Handarbeit passt sich nahtlos ein in die besondere Aura des Gebäudes: In Vitrinen stehen Hawdala-Sets, Schabbatleuchter und Kidduschbecher, zurückhaltend im Design, aus exquisit bearbeitetem Sterling Silber. Von der Decke hängt ein Chuppa-Baldachin, der, mit Jerusalem-Steinen beschwert, die »schwere Bedeutung der Ehe ausdrückt«, wie die Künstlerin erläutert.

orangen Auch die Mutter von Motta Brim gebar in diesen Räumen einige ihrer 13 Kinder. Vor dem Atelier des charedischen Künstlers ist ein bunter Bodenbelag aufgemalt. An der Wand darüber hängt eines seiner Werke: das Bild eines Raumes mit ebenjenem Boden. »Da, in der Küche meiner Mutter, habe ich als Kind pausenlos gemalt.« In schillernden Details erzählt Brim, wie er als kleiner Junge »Araberinnen mit Früchtekörben voller leuchtender Orangen auf dem Kopf« aus Knete baute – und wie seine kleine Schwester sie zerstörte.

Noch heute schmerze ihn der Verlust, und er versuche, diese Frauen in der Stadt zu finden und in seinen Werken nachzuempfinden. Brim lebt und arbeitet in Geula, einem ultraorthodoxen Viertel Jerusalems. Auch Ozeri ist überzeugt: »Motta ist das Vorbild für den Shtisel.«

Nebenan präsentiert Chanan Mazal seine Werke. »Sie drehen sich um das hübsche Gesicht, das wir der Welt zeigen, und unser tatsächliches Innenleben. Wir tragen alle Masken.« Auch Mazal hat für die Biennale ein Studio in dem Gebäude der Kunstausstellung bezogen.

Während der Pandemie änderte sich für ihn etwas in seiner Wahrnehmung. »Statt auf die große Kunstwelt zu schauen, zog ich mich in mein Kämmerlein zurück. Jetzt orientiere ich mich an den Menschen, die um mich herum sind.«

Einige suchten in der Zeit der sozialen Isolation die Nähe in der Ferne.

Andere suchten in der Zeit der sozialen Isolation die Nähe in der Ferne. Die Künstlerin Mariana Constantini ist aus Zypern angereist, um ihr Gemeinschaftswerk auszustellen, das sie mit einer israelischen Kollegin schuf. Die beiden suchten ihre Einsamkeit zu überbrücken, indem sie tönerne Abdrücke von Körperteilen und Haarsträhnen schickten und durch Brennen des Tons zu »Fossilien der Begegnung« machten.

An den Wänden des Ausstellungsgebäudes hängen Bilder von Künstlern, darunter bekannte Namen und Newcomer, die die Bilder selbst ausgewählt haben. »Wir fragten unter dem Motto ›take me home‹, welche ihrer Werke sie in ein Wohnzimmer hängen würden, und welche Bedeutung die Kunst in persönlichen Räumen hat«, erzählt Ozeri über den Hintergrund.

Den Besuchern werden die Werke gänzlich ohne Namensschilder präsentiert. Sie können einen Kommentar auf der Website der Biennale hinterlassen, warum das ein oder andere Bild besonders auf sie gewirkt hat, und eine Leihgabe des Kunstwerks über sechs Monate gewinnen, »um auch in ihrem Wohnzimmer Kunst präsent zu haben«.

überdimensional Die 5. Biennale in Jerusalem geht auch unter die Leute auf der Straße. Einige Minuten Fußweg entfernt, sind neun beleuchtete Blöcke aufgestellt. Darin quasi gefangen sind Fotos von Jerusalemer Familien während des Lockdowns.

Fotograf Yair Meyuhas fing den unterschiedlichen Umgang der Menschen mit der plötzlichen Isolation und der abrupten Änderung ihres Lebens ein. »Ich will, dass die Leute stehen bleiben und sehen, was andere durchgemacht haben.«

Auch die überdimensionalen Bilder des jungen britisch-israelischen Künstlers Sam Griffin von orthodoxen Männern beleuchten das Thema Entfremdung. Als er begann, seine Familiengeschichte zu beleuchten, wurde ihm klar, dass vieles im Dunkel liegt. »Es gibt große Informationslücken und vieles, was ich über meine Familie nicht weiß.«

Also begann er, sich seine Urgroßväter vorzustellen. Das Ergebnis sind faszinierende Porträts, die einen in den Bann ziehen, obwohl – oder gerade weil – sie kaum zu fassen sind.

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