Likud-Vorsitz

Der Herausforderer

Erklärte schon vor Wochen, dass Bibis Tage gezählt seien: Wirtschaftsminister Nir Barkat Foto: Flash 90

Likud-Vorsitz

Der Herausforderer

Nir Barkat bringt sich als Nachfolger von Benjamin Netanjahu in Stellung

von Ralf Balke  29.02.2024 09:34 Uhr

Die große internationale Bühne scheint Wirtschaftsminister Nir Barkat zu beherrschen. So kam es am Montag auf einer Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Abu Dhabi zu einer Begegnung mit dem saudischen Handelsminister Majid bin Abdullah Al-Qasabi, die für viel mediale Aufmerksamkeit sorgte.

»Israel ist an Frieden mit Ländern interessiert, die Frieden suchen, und wir können gemeinsam Geschichte schreiben«, erklärte Barkat seinem Gegenüber in einem spontanen Gespräch, das laut israelischem Wirtschaftsministerium in freundlicher Atmosphäre stattgefunden haben soll.

Geschichte würde Barkat gerne noch in einem ganz anderen Kontext schreiben. Denn der 64-Jährige, der zwischen 2008 und 2018 Bürgermeister von Jerusalem war, gilt als potenzieller Herausforderer von Benjamin Netanjahu an der Spitze des Likud. Dass er diesen Posten anstrebt, ist kein Geheimnis. Bereits Anfang Dezember hatte Barkat erklärt, dass Bibis Tage in der Partei gezählt seien.

Viele befürchten, dass der Premier die Partei in einen Abwärtsstrudel reißen könnte.

»Ich werde Netanjahu nicht mehr unterstützen«, sagte er gegenüber Parteifreunden in Kiryat Gat. »Nach dem Krieg müssen wir uns an die Menschen wenden und ihr Vertrauen zurückgewinnen. Der Likud braucht einen Wechsel.« Und da denkt Barkat wohl an sich selbst.

In der Partei rumort es

In der Partei rumort es gewaltig. Nicht wenige befürchten, dass Netanjahu sie in einen Abwärtsstrudel reißen könnte. Seine Weigerung, für das, was am 7. Oktober geschehen konnte, Verantwortung zu übernehmen, sein Agieren in der Geiselfrage und die Tatsache, dass seine rechtsextremen Koalitionspartner weiterhin politisches Porzellan zerschlagen, haben die Umfragewerte für den Likud in den Keller gedrückt.

Ständen jetzt Wahlen an, würde die Partei mehr als ein Drittel der aktuell 32 Sitze in der Knesset verlieren. Da macht sich der eine oder andere im Likud schon mal Sorgen um seine Zukunft. Doch noch traut sich niemand aus der Deckung und will als »Königsmörder« in Erscheinung treten.

Das gilt ebenfalls für Barkat, der zwar keinesfalls mit Kritik an Netanjahu spart, den Schritt zur offenen Rebellion gegen ihn aber noch nicht gewagt hat. Sehr wohl kommt es aber zu Seitenhieben, beispielsweise in der Frage, wie mit der US-Forderung nach einer Zweistaatenlösung umzugehen ist. »Wer auch immer daran denkt, den Palästinensern nach dem 7. Oktober eine Belohnung in Form eines Staates zu geben, wird feststellen, dass er keine Regierung hat«, sagte Barkat in einer Kabinettssitzung Ende Januar. Das wurde als Drohung aufgefasst.

Auch wäre der Wirtschaftsminister nicht der Einzige, der als potenzieller Herausforderer Netanjahus gilt. Und genau das ist sein Problem. Denn sowohl Verteidigungsminister Yoav Gallant als auch dem früheren Knessetsprecher Yuli Edelstein und Ex-Mossad-Chef Yossi Cohen werden gleichfalls Ambitionen für den Vorsitz im Likud nachgesagt. Das macht es nicht einfacher – im Gegenteil. Keiner würde dem anderen den Posten gönnen, und Netanjahu, der im Ruf steht, in Machtfragen ein hervorragender Taktiker zu sein, könnte sie alle gegeneinander ausspielen.

Für Bibi kann es eng werden

Trotzdem kann es für Bibi eng werden. »Die Mitglieder des Likud schauen sehr genau auf die Umfragen und haben verstanden, dass Netanjahu zu einer Belastung geworden ist«, so Binyamin Lachkar, ein ehemaliges Mitglied des Likud-Zentralkomitees, gegenüber dem Nahost-Online-Portal »The Media Line«. Wenn der Krieg einmal vorbei sein sollte, könnte sich so mancher in der Partei von Netanjahu distanzieren, glaubt der Experte. Andere dagegen würden weiter standhaft zu ihm halten, was für den Likud zu einer Belastungsprobe werden könnte.

Fakt ist, dass der Likud in mehreren Umfragen deutlich besser abschneiden würde, wenn der Spitzenkandidat nicht Netanjahu hieße. Laut einer Meinungsumfrage des Fernsehkanals 13 von Ende Januar käme die Partei unter einem Vorsitzenden Nir Barkat auf 21 Sitze in der Knesset. Bliebe es bei Netanjahu, so wären es lediglich 16.

Laut einer Anfang Februar von der Tageszeitung »Israel Hayom« veröffentlichten Umfrage des Maagar Mochot Institute käme der Likud mit Barkat oder Netanjahu gleichermaßen auf 19 Abgeordnete in der Knesset. Mit Yossi Cohen als Parteivorsitzendem wären es dagegen 22 Abgeordnete.

Das zeigt, wie schwierig auch für Barkat die Rolle als parteiinterner Netanjahu-Herausforderer ist. Denn zum einen sieht es nicht so aus, als ob dieser mit dem Gedanken spielt, freiwillig den Parteivorsitz abzugeben, geschweige denn vorzeitig von seinem Amt zurückzutreten. »Wahlen haben ein klares Datum«, so Barkats Antwort angesichts immer lauter werdender Rücktrittsforderungen. Weil die nächsten Wahlen erst im Oktober 2026 anstehen, schlägt Barkat vor, »dass wir uns während des Krieges keine Gedanken darüber machen«.

Neuwahlen während eines Krieges

Dabei sind Neuwahlen während eines Krieges durchaus möglich – das bewiesen am Dienstag die Kommunalwahlen. Die Frage ist nur, wie der Weg dahin zustande kommt. Mehrere Optionen wären möglich. Entweder platzt Netanjahus Koalition, weil seine rechtsextremen Partner Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir mehr Schaden anrichten, als sie ihm Nutzen bringen. Oder aber der Rückzug von Benny Gantz sowie Gadi Eizenkot aus dem Kriegskabinett, die Proteste auf der Straße und der Druck aus den Vereinigten Staaten zwingen ihn eines Tages dazu.

Ein konstruktives Misstrauensvotum könnte ebenfalls einen Wechsel an der Regierungsspitze einleiten, und das sogar ohne Neuwahlen. Denn laut israelischer Rechtslage kann im Prinzip jeder in der Knesset, der mindestens 61 der 120 Abgeordneten hinter sich weiß, zum Ministerpräsidenten ernannt werden. Für eine Person aus den Reihen der Opposition wäre das ein waghalsiges Unterfangen. Denn wer es versucht, müsste, um Erfolg zu haben, 19 Abgeordnete aus dem jetzigen Regierungslager auf seine Seite bringen.

Noch schwieriger wird das für einen Abweichler aus dem Likud, weil dieser neben mindestens 19 Parteigenossen auch die jüdischen Oppositionsparteien auf seiner Seite wissen müsste. Deshalb wird es wohl auch Barkat kaum wagen, Netanjahu auf diese Weise herauszufordern. Doch eines ist sicher: Er dürfte der Erste sein, der sich in Stellung bringt, wenn Bibi schwächeln sollte und sich eine realistische Chance ergibt, den Parteivorsitz zu erobern.

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

 12.12.2025

Jerusalem

Netanjahu plant Reise nach Kairo für milliardenschweren Gasdeal

Der Besuch bei Präsident Abdel-Fattah al-Sissi wäre historisch. Aus dem Umfeld des Premierministers kommt aber zunächst ein Dementi

 12.12.2025

Chanukka

Alles leuchtet!

Nach besonders schwierigen Jahren lässt die Stadtverwaltung Tel Aviv in vollem Glanz erstrahlen und beschert ihren Einwohnern Momente des Glücks

von Sabine Brandes  12.12.2025

Vermisst

Letzte Reise

Die am 7. Oktober von der Hamas nach Gaza verschleppte Leiche von Sudthisak Rinthalak wurde an Israel übergeben und nach Thailand überführt

von Sabine Brandes  12.12.2025

Gaza

Neue Aufnahmen: Geiseln feierten vor ihrer Ermordung Chanukka

Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Ori Danino, Alexander Lobanov und Almog Sarusi begangen sie im Terrortunnel das Lichterfest. Einige Monate später werden sie von palästinensischen Terrroristen ermordet

 12.12.2025

London

Nach 26 Monaten: Amnesty wirft der Hamas Verstöße gegen das Völkerrecht vor

Die Organisation brauchte viel Zeit, um bekannte Tatsachen zu dokumentieren. Bisher hatte sich AI darauf konzentriert, Vorwürfe gegen Israel zu erheben

von Imanuel Marcus  12.12.2025

Nahost

USA verlangen von Israel Räumung der Trümmer in Gaza

Jerusalem wird bereits gedrängt, im Süden der Küstenenklave konkrete Maßnahmen einzuleiten

 12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Andrea Kiewel

Ein Weltwunder namens Regen

Jedes Jahr im Dezember versetzt der Regen die Menschen in Israel in Panik - dabei ist er so vorhersehbar wie Chanukka

von Andrea Kiewel  11.12.2025 Aktualisiert