Terror

Der Geruch des Todes

Auf dem Weg nach Kfar Aza sind nur wenige Privatwagen, einige Transporter, aber zahlreiche Armeefahrzeuge unterwegs. Immer wieder donnert Artilleriefeuer, das surrende Fluggeräusch von Drohnen ist am Himmel zu hören. Polizeisperren an allen Kreuzungen. Durchfahrt nur mit besonderer Berechtigung. Es ist Krieg, und diese Gegend im Süden Israels ist militärische Sperrzone.

Kurz vor dem Kibbuz liegt ein weißer Minibus im Graben. Die Türen offen, Einschusslöcher an der Seite. Keiner erzählt vom Schicksal der Menschen, die in diesem Auto saßen. Dann der Eingang zum Kibbuz: gelbes Eisengitter, bewacht von schwer bewaffneten Soldaten. Nach eingehender Kontrolle darf die kleine Gruppe internationaler Journalisten hinein.

Symbol des Schreckens

Kfar Aza gilt seit dem blutigen Massaker als Symbol des Schreckens. So wie die Kibbuzim Nachal Oz und Beʼeri, wo Hunderte Menschen an diesem »Schwarzen Schabbat« ermordet wurden. Beim Massaker in Kfar Aza sollen mehr als 70 Menschen umgebracht worden sein. Manche sprechen vom Pogrom im Paradies, diese 1951 gegründete Siedlung war noch vor zweieinhalb Wochen eine Idylle in grüner Umgebung, das Zuhause von rund 750 Bewohnerinnen und Bewohnern.

Von ihnen ist niemand mehr hier. Auf dem Gelände befinden sich fast nur Soldatinnen und Soldaten. Einige stehen mit dem Gewehr im Anschlag, verbarrikadiert hinter Betonblöcken, auf der westlichen Seite des Kibbuz, um den Zaun und die angrenzenden Felder zu überwachen. In Sichtweite sind die Häuser im Gazastreifen auszumachen. Nur drei Kilometer entfernt.

Von dort kamen am frühen Morgen des 7. Oktober die Terroristen in den Kibbuz. Das Tor wurde aufgebrochen, es steht noch immer offen. Wie viele Terroristen es waren, weiß man nicht genau. Aber was sie angerichtet haben, mit welcher beispiellosen Brutalität sie vorgegangen sind, das sieht man noch immer.

Sie haben in Kfar Aza ein Blutbad angerichtet. Kinder, Frauen und Männer wurden wahllos und kaltblütig ermordet. Erschossen, verbrannt, geschändet. Von enthaupteten Babys wird berichtet. Die Täter fanden ihre Opfer im Garten, in Wohn- und Schlafzimmern oder in den Schutzräumen.

Man sieht, mit welch beispielloser Brutalität die Terroristen vorgegangen sind.

An einem Gebäude sind schwarze Brandspuren zu sehen. Es ist einer der Anbauten, die als Schutzräume genutzt wurden. »Sie werden versucht haben, dort einzudringen. Sie hörten Stimmen, Mobiltelefone, Kinder. Dann haben sie mit speziellen Sprengstoffen, die enorme Hitze entwickeln, die Fenster und Türen in Brand gesteckt«, erläutert Alex Gandler, stellvertretender Sprecher des Außenministeriums. Und dann fügt er hinzu: »Soweit ich weiß, hat hier niemand überlebt.«

An einem Bungalow ist ein blaues Kinderfahrrad angelehnt. Weiße Plastikstühle stehen auf der Terrasse, ein Ball liegt auf dem Rasen. Die Tür des Hauses steht offen, als ob die Bewohner gleich wiederkommen würden. Von anderen Häusern stehen nur noch Überreste, die Wände verkohlt, die Holzvorbauten und Dächer teils zusammengefallen.

Trümmer und Überreste

Da liegt ein umgestürzter Kühlschrank, dort umgefallene Blumentöpfe, ein roter Besenstiel, eine weiße Holztür mit Brandspuren. Daneben das blaue Papier eines Schokoriegels und die lilafarbene Verpackung von Friskies-Katzenfutter. Zu sehen sind auch ein Pappkarton mit Goldstar-Bier, daneben ein Grill, eine Gartenschaukel, davor eine schwarze Kaffeetasse. Mittendrin in den Trümmern und Überresten liegt ein schwarzer Schuh.

Die Journalisten, alle tragen Helme und Schutzwesten, setzen ihre Tour fort. Sie wollen das Grauen mit den Kameras und Mikrofonen festhalten. Ein griechischer Reporter versucht, Worte zu finden: »Es ist wirklich sehr schwer, an einem Ort zu sein, an dem so viele Menschen gestorben sind.« Dann versagt ihm die Stimme, er bittet darum, vielleicht später das Gespräch fortzusetzen.

In unmittelbarer Nähe stehen ausgebrannte Autos, völlig zerstörte Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Ein Stück weiter ein weißer Jeep, die hintere Klappe steht offen. Einschusslöcher in den Türen. Auf dem Fahrersitz liegt ein blutgetränkter Sonnenhut. Ein paar Meter entfernt sind Überreste eines Pickup-Transporters zu sehen. Er wurde von Terroristen genutzt und ist anscheinend im Feuergefecht explodiert, mit Waffen, Sprengstoff und Munition auf der Ladefläche. Davor liegen verkohlte Teile eines motorisierten Paragliders. Die Terroristen sind auch aus der Luft in den Kibbuz eingedrungen, um ihren mörderischen Plan umzusetzen.

Erst am Dienstag vergangener Woche wurde Familie Kotz beigesetzt. Die Eltern Livnat und Aviv, die Kinder Rotem, Yonatan und Yiftach. Wie Livnats Schwester im israelischen Radio schilderte, sind die fünf im Schutzraum ihres Hauses aus nächster Nähe erschossen worden. Sie seien in einem Bett aufgefunden worden, der Vater hatte seine Familie zum Schluss in den Armen gehalten.

Eine Familie versteckte sich unter einem Traktor, bis sie von der Armee gerettet wurde.

Am gleichen Tag wurde berichtet, dass Ärzte im Brandverletzten-Zentrum des Sheba Medical Center nahe Tel Aviv um das Leben von Ellay und Ariel Golan kämpfen, auch ihre 18 Monate alte Tochter Yael liegt auf der Intensivstation. Sie befanden sich im Schutzraum, als die Terroristen ihr Haus in Brand steckten. Die Mörder hatten dazu die Propangasflasche, die draußen stand, entzündet und sie in das Haus geworfen.

Die Eltern schützten das Kleinkind mit ihren Körpern. Ellay und Ariel mussten sich danach mit Yael unter einem Traktor verstecken, bis sie von der Armee gerettet wurden. Beide erlitten 60-prozentige Verbrennungen, die Kleine ist etwas glimpflicher davongekommen.

Trauer um Ofir Libstein

Unter großer Anteilnahme wurde am Mittwoch vergangener Woche Ofir Libstein zu Grabe getragen. Er war nicht nur Chef der Regionalverwaltung Schaar Hanegev, sondern auch Mitglied der Zivilverteidigung des Kibbuz Kfar Aza, in dem er nach den ersten Schusswechseln sofort mit der Waffe in der Hand versuchte, die Terroristen aufzuhalten.

Es ist eine der vielen Heldengeschichten, die man sich jetzt erzählt. Ofir Libstein wurde erschossen, sein Sohn Nizan gilt als vermisst. Vered Libstein erzählte bei der Beisetzung, ihr Mann sei stets davon überzeugt gewesen, dass dieser Ort der beste der Welt sei. Sie sagte: »Dies hier ist 95 Prozent Gan Eden (Paradies) und fünf Prozent Gehinom (Hölle). Aber was für ein Gehinom!«

Die Tür eines Hauses steht offen, als ob die Bewohner gleich wiederkommen würden.

Die meisten Leichen wurden mittlerweile identifiziert und abtransportiert. Viele konnten beigesetzt werden. Aber über Kfar Aza hängt immer noch ein strenger, etwas bitter-süßlicher Geruch. Angehörige der Hilfsorganisation Zaka waren tagelang in der Siedlung und haben die sterblichen Überreste geborgen, erklärt Armeesprecherin Libby Weiss.

Doch offensichtlich sind noch nicht alle Körper in den Trümmern geborgen worden. »Es ist der Geruch des Todes«, sagt sie. Die schrecklichen Bilder wird man kaum vergessen können, aber dieser Geruch wird einen noch besonders lange verfolgen. Am vergangenen Sonntag wurden noch eine Leiche und weitere Körperteile gefunden.

Botschafter Joel Lion begleitet die Journalisten. Er bittet die Fotografen und Kameraleute, an diesem Ort respektvoll und auch unter Wahrung der Privatsphäre zu arbeiten. »Denn schließlich ist das hier immer noch das Zuhause vieler Bewohner, die noch gar nicht wissen, wie es um ihre Häuser bestellt ist.« Ob unter diesen Umständen überhaupt so detailliert von hier berichtet werden sollte? »Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig«, sagt Lion. »Die Welt soll es sehen. Damit sie versteht, was hier geschehen ist.«

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