Yitzhak Rabin

Der Falke, der zur Taube wurde

Der Anfang ist das Ende. In dem abgedunkelten ersten Saal der Ausstellung im Rabin Center sind Fotos von einem lachenden Yitzhak Rabin zu sehen. Wie er auf der Bühne steht, neben seinem damaligen Außenminister Schimon Peres, und etwas schief das Friedenslied singt. Auch Popstar Aviv Geffen ist mit dabei, damals noch geschminkt mit dickem Lidstrich und rot bemalten Lippen.

Gemeinsam mit 100.000 Menschen feiern sie den Frieden. Die Bilder halten die Zeit an: Es ist der 4. November 1995. Das »Shir LaShalom« klingt durch den Ausstellungsraum. Dann plötzlich Schüsse. Das Undenkbare ist geschehen: Vor 30 Jahren wurde Yitzhak Rabin von einem extremistischen jüdischen Attentäter erschossen.

Im Rabin Center in Ramat Aviv befindet sich die offizielle Gedenkstätte für den fünften Ministerpräsidenten Israels. Die Ausstellung widmet sich seinem Lebenswerk und erzählt dabei die Geschichte des Landes, des Nahostkonflikts und ein wenig auch von der ganzen Welt.

Mit Leib und Seele Soldat

Rabin wurde am 1. März 1922 in Jerusalem geboren. Er war zweimal Premierminister – von 1974 bis 1977 und von 1992 bis zu seiner Ermordung – und der erste, der im Mandatsgebiet Palästina geboren wurde. Bevor er in die Politik ging, war er Stabschef der israelischen Armee und mit Leib und Seele Soldat. Ein Falke, wie man die Kämpfer in Israel nennt. Doch dann wandelte er sich zur sprichwörtlichen Taube. »Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen«, so lautete das Motto des legendären Politikers.

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Und er setzte es in die Realität um. Am 13. September 1993 unterzeichnete Rabin gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, Jassir Arafat, die Grundsatzerklärung, die die gegenseitige Anerkennung Israels und der Palästinenser sowie die palästinensische Selbstverwaltung in Gaza und Jericho vorsah. Für ihre Bemühungen erhielten Rabin, Peres und Arafat im Dezember 1994 den Friedensnobelpreis. Kurz zuvor hatten die Nachbarn Israel und Jordanien Frieden geschlossen. Auch hier war Rabin federführend gewesen.

»Mit Rabin starb der Frieden«, heißt es heute noch im Nahen Osten.

Einen Monat vor seinem Tod sprach er in der Knesset: »Hier, im Land Israel, haben wir einen Staat gegründet. (…) Allerdings kehrten wir nicht in ein leeres Land zurück. Hier lebten Palästinenser, die 100 Jahre lang wild und blutig gegen uns kämpften. Viele Tausende auf beiden Seiten wurden in den Kämpfen um dasselbe Land getötet. (…) Wir können weiterkämpfen, wir können weiter töten – und weiter getötet werden. Aber wir können auch versuchen, diesen ewigen Kreislauf des Blutes zu beenden. (…) Wir können auch dem Frieden eine Chance geben. (…) Die Regierung hat sich dafür entschieden, etwas zu tun, um ihn zu erreichen.«

Viele rechtsgerichtete Israelis waren mit den Bedingungen der sogenannten Oslo-Akkorde für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern nicht einverstanden. Die innenpolitische Stimmungsmache gegen den damaligen Premier wurde immer lauter, immer extremer, immer gefährlicher. Bis zu dem schicksalhaften Abend in Tel Aviv vor 30 Jahren.

Einblicke ins Privatleben

Der Aufbau der Ausstellung erinnert an eine doppelte Spirale. Während der äußere Kreis einen in das erfüllte Leben des Staatsmannes mitnimmt, der viel zu früh starb, geht es im Innern um das, was sich zur gleichen Zeit in Israel abspielte – zu sehen in mehr als 600 Filmaufnahmen und Videos. Die Kopfhörer sind mit Sensortechnik ausgestattet, das dazugehörige Audio wird automatisch abgespielt.

Die Ausstellung liefert auch Antworten auf Fragen zum Nahostkonflikt. Die Spaltung der israelischen Gesellschaft, die letztendlich zur Ermordung Rabins führte, wird ebenso erläutert. Gleichzeitig zeigt eine Zeitleiste auf dem Boden, was sich außerhalb Israels abspielte.

Es gibt auch Einblicke in das Privatleben des Familienmenschen Rabin. Sein originales Wohnzimmer ist ausgestellt, nicht pompös, sondern klein und bescheiden, mit einem blauen Sofa und zwei Sesseln, Familienbilder im Regal, ein Fernseher an einer Wand. Hier empfing er Gäste aus aller Welt. Doch vor allem liebte er es, Fußball zu schauen und mit seinen Enkelkindern zu spielen.

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»Mit Rabin starb der Frieden«, heißt es heute noch im Nahen Osten. Zwischen Israelis und Palästinensern ist er bislang nicht erreicht. Zwischen Israel und Jordanien schon. In einem der letzten Videos der Ausstellung erzählt Rabin, wie er und König Hussein von Jordanien bei der Zeremonie »gelitten haben«. Denn die beiden Kettenraucher hätten es nicht gewagt, sich im Weißen Haus eine Zigarette anzuzünden. »Vor allem wegen Hillary.« Gemeint ist Hillary Clinton, deren Ehemann Bill Clinton den Friedensschluss vermittelt hatte.

Dann aber, als alles besiegelt war, lud der Monarch den israelischen Politiker in seine Residenz ein und sagte: »So, jetzt können wir rauchen.« Das Foto der beiden Männer, die ihre Länder versöhnten, Freunde wurden und gemeinsam eine Friedenszigarette rauchten, ging um die Welt. Hier hängt es an der Wand. Auch drei Jahrzehnte danach beschert es dem Betrachter eine Gänsehaut – und die Hoffnung, dass Rabins Vision doch noch weiterlebt.

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