Krise

Der Chef des Shin Bet soll gehen

Seine reguläre Amtszeit hätte erst in anderthalb Jahren geendet: Shin-Bet-Chef Ronen Bar (59) Foto: Flash 90

Die Gerüchte waberten schon seit Wochen durch die Flure der Knesset. Jetzt ist es bestätigt: Ronen Bar muss gehen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dem Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet (ISA) das Vertrauen entzogen und ihm nahegelegt zu kündigen. Als Bar dies verweigerte, entschloss sich der Premier, ihn seines Amtes zu entheben.

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Netanjahu gab bekannt: »Wir befinden uns mitten in einem Krieg um unser Überleben an sieben Fronten. Zu jeder Zeit, aber besonders während solch eines existenziellen Krieges muss der Premierminister volles Vertrauen in den Leiter des ISA haben.« Das habe er jedoch nicht, sondern »hege anhaltendes Misstrauen gegenüber dem Leiter der ISA, was mit der Zeit nur größer wurde«.

Ronen Bar wolle Werte schützen, die über den bloßen Dienst hinausgehen.

Kritiker sehen die Entlassung als Teil einer Kampagne der rechts-religiösen Koalition zur Untergrabung der unabhängigen Institutionen und als Versuch, sie mundtot zu machen. Sie behaupten, Netanjahu tue alles, um seine Macht zu erhalten, während er sich wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten muss und der Druck auf ihn wächst, Verantwortung für die politischen Versäumnisse im Vorfeld und während des 7. Oktober zu übernehmen.

Bar genießt in der Bevölkerung durchaus Ansehen, vor allem, nachdem er als Leiter eines Geheimdienstes Verantwortung für die schlimmste Katastrophe in der Geschichte Israels übernommen hat. Er werde zurücktreten, wenn alle Geiseln zu Hause sind, hatte er erklärt. »Der Chef des Shin Bet muss das Vertrauen des israelischen Volkes genießen. Es ist die Grundlage all meiner Handlungen und Entscheidungen. Dass der Premierminister persönliches Vertrauen erwartet, widerspricht dem öffentlichen Interesse und verstößt gegen das Gesetz des Inlands­geheimdienstes«, machte Bar nach seiner Entlassung klar. Seine reguläre Amtszeit hätte erst in anderthalb Jahren geendet.

Mehrheit der Bevölkerung fordert Untersuchung

Während Bar für eine nationale Untersuchungskommission zum Versagen der Regierung, der Armee und der Sicherheitsbehörden am 7. Oktober plädiert, weigert sich der Premier, eine solche einzurichten. Für seine eigene Rolle und Versäumnisse als Premier, der den Großteil der vergangenen 17 Jahre an der Macht war, hat er bislang keinerlei Verantwortung übernommen, obwohl die überwältigende Mehrheit der Israelis dies als unabdingbar ansieht.

Der Vorsitzende der Oppositionspartei Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman, sagte dazu am Dienstag in der Knesset: »Es ist der Premierminister, der am 7. Oktober gescheitert ist. Laut Gesetz ernennt der Premierminister den Leiter des Shin Bet, gibt ihm die Politik vor und beaufsichtigt ihn in seiner Rolle als Vorsitzender des Ministerkomitees für Angelegenheiten des Shin Bet direkt.« Der Versuch, die Verantwortung für die Katastrophe des 7. Oktober allein auf den Shin Bet abzuwälzen, sei ein Täuschungsversuch, so Lieberman.

Channel 12 berichtete am selben Tag, dass sich hinter dem dramatischen Schritt von Bars Entlassung ein Dokument verberge, das der internen Shin-Bet-Untersuchung zum 7. Oktober beiliege. Bis auf wenige Sätze sei das Papier mit dem Titel »Der Weg zum 7. Oktober« unveröffentlicht, liege Netanjahu aber vor. Diejenigen, die damit vertraut sind, beschrieben es in dem Fernsehbericht als »eine unglaubliche Anklage gegen den Premierminister«.

Das Dokument besage, dass die Politik der »Ruhe gegen Ruhe« der Netanjahu-Regierungen Warnungen des Shin Bet immer wieder ignoriert habe. Tatsächlich habe Israel vor einer Katastrophe gestanden. Die Organisation habe regelmäßig zu bedenken gegeben, dass Geld aus Katar zur Stärkung der Hamas verwendet werde. »Das gesamte Sicherheitskonzept, das Netanjahu jahrelang verfolgt habe, ist zusammengebrochen. Daher ist eine gründliche Untersuchung durch ein staatliches Untersuchungskomitee erforderlich«, wird das Dokument zitiert.

Falschinformationen an ausländische Medien weitergegeben

Der Premierminister empörte sich gegen »eine weitere glatte Lüge des scheidenden Chefs des Shin Bet, der versucht, von seinen Fehlern am 7. Oktober abzulenken«.

Koalitionsmitglieder unterstützen Netanjahus Entscheidung. Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus, freute sich: »Die Ablösung des Chefs des Shin Bet ist ein notwendiger und wünschenswerter Schritt. Es wäre angemessen gewesen, wenn Bar schon vor über einem Jahr wirklich Verantwortung übernommen hätte und aus eigenem Antrieb zurückgetreten wäre.«

Gegenwind erhält Netanjahu weiterhin von Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara. Sie schickte ihm die schriftliche Aufforderung, Bar nicht zu entlassen, bis die Ermittlungen des Geheimdienstes zum sogenannten Katargate abgeschlossen seien. Damit sind Vorwürfe gemeint, wonach enge Mitarbeiter Netanjahus im Auftrag von Katar gearbeitet haben sollen. Der Geheimdienst untersucht zudem die Anschuldigung, dass ein Sprecher des Premiers zu dessen Gunsten während des Krieges Falschinformationen an ausländische Medien weitergegeben habe.

»Eine reale Bedrohung für Demokratie und Staat«

»Der Klarheit halber sei betont, dass der zeitliche Ablauf für sich selbst spricht: Zunächst wurden die Ermittlungen auf Grundlage der erhaltenen Informationen eingeleitet, und erst danach gaben Sie Ihre Absicht bekannt, den Chef des Shin Bet zu entlassen«, so Baharav-Miara. Netanjahu warf der Generalstaatsanwältin daraufhin Amtsmissbrauch vor.

Quellen aus dem näheren Umfeld von Ronen Bar sagen, der Geheimdienstchef habe dieser Tage das Gefühl, Werte schützen zu müssen, die weit über den bloßen Dienst hinausgehen, und dass er sich nicht an seinen Posten klammere. Bar sehe derzeit offensichtlich »eine reale Bedrohung für Demokratie und Staat«.

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