Fatou Bensouda, die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, hat am Mittwoch offiziell Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten eingeleitet. Das teilte sie am Mittwoch in einer ausführlichen Stellungnahme mit. Einzelheiten zu den Ermittlungen nannte sie aber nicht. Darüber werde zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Alle Ermittlungen würden »unabhängig, unparteiisch und objektiv« ausgeführt, sie bräuchten aber Zeit, so Bensouda.
UNABHÄNGIGKEIT »Bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung wird mein Büro den gleichen prinzipienfesten, unparteiischen Ansatz verfolgen, den es in allen Situationen, für die es zuständig ist, an den Tag gelegt hat.« Die aus Gambia stammende Chefanklägerin scheidet im Juni aus dem Amt. Ihr Nachfolger wird dann der Brite Karim Ahmad Khan.
Bensouda betonte, sie werde ihre »gesetzlichen Pflichten nach dem Römischen Statut mit professioneller Integrität« erfüllen. Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit und die Kritik, die Untersuchung richte sich in erster Linie gegen Israel und sei politischer Natur, wies sie zurück. »Ich erinnere hier als Beispiel an die Vorwürfe über das Verhalten der israelischen Verteidigungskräfte im Fall der Mavi Marmara (2010), wo ich als Anklägerin die Einleitung einer Untersuchung mit der Begründung abgelehnt habe, dass es nach unserer klinischen Bewertung der Kriterien des Römischen Statuts keine vernünftige Grundlage für ein Vorgehen gab.« In der gegenwärtigen Situation gebe es hingegen »eine vernünftige Grundlage, um fortzufahren, und es gibt zulässige potenzielle Fälle«, so Bensouda in ihrem Statement.
Vor gut einem Jahr hatte sie festgestellt, dass es einen »begründeten Verdacht für Verbrechen« gebe, begangen von »Mitgliedern der israelischen Armee, israelischen Behörden, Hamas und palästinensischen bewaffneten Gruppen«. Untersucht werden sollen Vorfälle ab Mitte Juni 2014, also etwa der Gaza-Krieg vom Sommer 2014. Die Palästinenser hatten das 2003 gegründete Gericht vor sechs Jahren angerufen.
SCHARFE KRITIK US-Außenminister Antony Blinken erklärte, sein Land lehne die Entscheidung Bensoudas »entschieden ab und sind zutiefst enttäuscht von ihr.« Der IStGH habe »keine Zuständigkeit in dieser Angelegenheit«, sagte Blinken in einer Erklärung. »Israel ist keine Vertragspartei des IStGH und hat der Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht zugestimmt, und wir haben ernsthafte Bedenken über die Versuche des IStGH, seine Gerichtsbarkeit auf israelisches Personal auszuüben.«
Vertreter Israels verurteilten das Vorgehen ebenfalls scharf. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte die Entscheidung antisemitisch. Es gebe nur eine Antwort: für die Wahrheit zu kämpfen und die Soldaten zu schützen. Präsident Reuven Rivlin sprach von einem skandalösen Schritt. »Wir werden keine Beschwerden gegen die Ausübung unserer Rechte und unsere Verpflichtung zur Verteidigung unserer Bürger dulden.«
ZUSTÄNDIGKEIT Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und ein Hamas-Vertreter begrüßten hingegen unisono die Entscheidung. Das PA-Außenministerium sprach von einem lange erwarteten Schritt. Die Behörde sei bereit zur Kooperation und werde jede nötige Unterstützung leisten. Ein Vertreter der im Gazastreifen herrschenden, islamistischen Hamas rief das Gericht auf, gegen jedweden möglichen Druck standhaft zu bleiben.
Eine Kammer des Gerichts hatte im Februar festgestellt, dass es auch für Gebiete wie das Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, und den Gazastreifen zuständig sei. Israel erkennt den Strafgerichtshof nicht an. »Palästina« ist seit 2015 Vertragsstaat des Weltstrafgerichtes.
Bensouda betonte in ihrer Stellungnahme am Mittwoch, die Entscheidung der drei Richter zur Zuständigkeit des Gerichts beinhalte keine völkerrechtliche Anerkennung eines Staates Palästina. mth/dpa