Covid-19

Corona und Regierungskrise

Israelis demonstrieren vor der Knesset für Demokratie. Foto: Flash 90

Das israelische Gesundheitsministerium hält mehrere Ausbrüche des hochgradig ansteckenden Coronavirus für möglich. Derzeit sei die Anzahl der Fälle zwar unter Kontrolle, so die Leiterin der Abteilung Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, Sigal Sadetzky, doch müsse man die Politik der Isolierung von Patienten und vermeintlich Infizierten weiterbetreiben, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.

Obwohl die Zahl der Fälle weiter steigt, spiegele sie doch »optimistischere Voraussagen« wider, so Sadetzky weiter. Allerdings würde man erst in zwei bis drei Wochen die Ergebnisse der Aktionen sehen.

Entscheidungen Man müsse ständig aus einer Ungewissheit heraus Entscheidungen treffen, ohne zu wissen, wohin sie führen werden. »Doch wir dürfen nicht am Steuer einschlafen, denn sonst werden wir in zwei Wochen in einer viel schlechteren Lage sein.«

Das Ministerium geht in einem Worst-Case-Szenario von 10.000 bis 20.000 Toten aus.

Währenddessen geht in Jerusalem die politische Krise in die nächste Runde: Das Gericht hatte am Montag beschlossen, dass Knessetsprecher Yuli Edelstein bis Mittwoch eine Neuwahl seiner Position erlauben muss.

Die Richter nannten seine Taktik, eine Abstimmung zu blockieren, »unrechtmäßig und antidemokratisch«. Der Likud von Premier Netanjahu wollte das Urteil des Obersten Gerichts jedoch nicht hinnehmen und rief zum Boykott der Knesset auf.

Am Mittwochmorgen dann trat Edelstein völlig überraschend aus Protest gegen die Entscheidung der Richter zurück. »Das Gericht untergräbt das Fundament der Demokratie«, sagte er in seiner Rücktrittsrede. »Ich werde nicht zulassen, dass Israel zu einer Anarchie verkommt.«

Als jemand, der einen persönlichen Preis bezahlt habe, müsse er sich nicht erklären, fügte er noch hinzu. Edelstein stammt aus der ehemaligen Sowjetunion und war dort im Gefängnis. Am Ende seiner Rede rief er zu einer Einheitsregierung auf. Durch Edelsteins Rücktritt, der innerhalb von 48 Stunden gültig wird, ist die Wahl eines neuen Knessetsprechers auf die nächste Woche vertagt.

KOMITEES Nachdem die Knesset am Montag ihre Arbeit wiederaufgenommen hatte – in der Woche zuvor hatte Edelstein das Gebäude abriegeln lassen –, schaffte es Blau-Weiß gemeinsam mit Israel Beiteinu und der Vereinten Arabischen Liste, dank der zusammen 61 Mandate die Kontrolle über sechs Komitees zu erlangen. Der Likud hatte sämtliche Abstimmungen boykottiert.

Unter den Komitees befindet sich auch das Überwachungsgremium für den Umgang mit der Corona-Krise. Dem wird Ofer Shelach von Blau-Weiß vorsitzen. Sein Parteikollege Avi Nissenkorn wird dem Organisationskomitee vorsitzen, das alle parlamentarischen Belange für die Zeit zwischen der Wahl und Bildung einer neuen Regierung abwickelt. Damit kann die Knesset offiziell ihre Arbeit wiederaufnehmen.

Zur selben Zeit demonstrierten Tausende Israelis vor der Knesset unter dem Motto »Demokratie schützen« und einige Dutzend auch vor Benny Gantz’ Haus in Rosch Ha’ayin. Sie fordern von ihm, dass er keine Einheitsregierung mit Netanjahu eingeht.

Am Dienstag sprach Netanjahu nach eigenen Angaben ausführlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Am Dienstag sprach Netanjahu nach eigenen Angaben ausführlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es sei eine »warmherzige Unterhaltung« gewesen, während der die beiden Regierungschefs Informationen und Ideen im Umgang mit der Corona-Krise ausgetauscht hätten, hieß es aus dem Büro des Ministerpräsidenten.

Man habe zudem über finanzielle und wirtschaftliche Kooperationen gesprochen und sich darauf geeinigt, dass Experten beider Länder diesbezüglich in ständigem Kontakt bleiben.

RESTRIKTIONEN Derweil sollen die Res­triktionen für die Bevölkerung noch verschärft werden. Sämtliche Geschäfte, außer Supermärkten und Apotheken, sollen geschlossen werden, die Menschen sich nur noch in einem Umkreis von 100 Metern zu essenziellen Einrichtungen bewegen dürfen oder zur Arbeit fahren.

Der öffentliche Nahverkehr soll komplett eingestellt werden. Eventuell soll zudem für ältere Bürger, Frauen ab 65 und Männer ab 70 Jahren, eine komplette Ausgangssperre verhängt werden. Netanjahu wies Verteidigungsminister Naftali Bennett an, die Armee darauf vorzubereiten, älteren Mitbürgern in dieser Zeit der Krise zu helfen.

Bei Redaktionsschluss waren 2030 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die große Mehrzahl der Infizierten berichtet über milde Symptome, 57 sind gesund geworden. Fünf Personen sind an den Folgen des Virus gestorben. Mehr als 70.000 Israelis sollen sich in Heimquarantäne befinden. Im palästinensischen Westjordanland sind 58 Fälle gemeldet, im Gazastreifen zwei.

Szenario Der stellvertretende Generaldirektor im Gesundheitsministerium, Itamar Grotto, sagte, das schlimmste Szenario, das auf Israel zukommen könnte, seien zwischen 10.000 und 20.000 Tote durch das Virus. Die Zahl der Tests wird ständig erhöht. Am Montagabend wurden drei neue Drive-Through-Teststationen geöffnet, die von Magen David Adom und dem Gesundheitsministerium betrieben werden.

Derweil ist das Gesundheitsministerium unter dem ultraorthodoxen Minister Yaakov Litzman starker Kritik ausgesetzt, weil es Labore nicht in vollem Umfang oder teils gar nicht am Schabbat arbeiten lässt.

Die Tageszeitung Yedioth Ahronoth titelte am Sonntag: »Die Labore sind zu«. Im Bericht der Zeitung heißt es, dass Litzman auch für die wichtigen Test-Einrichtungen anordnete, am jüdischen Ruhetag nicht zu arbeiten.

Derweil ist das Gesundheitsministerium unter dem ultraorthodoxen Minister Yaakov Litzman starker Kritik ausgesetzt, weil es Labore nicht in vollem Umfang oder teils gar nicht am Schabbat arbeiten lässt.

Der Vorsitzende von Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman, erklärte in einem Fernsehinterview dazu, dass das Verzögern von Tests in einer derartigen Notfallsituation »totaler Irrsinn« sei. Die Gewerkschaft der Biochemiker bestätigte, dass sie nicht angewiesen wurde, entsprechend einem Notfallprotokoll zu agieren.

Auch der Leiter des Rettungsdienstes »United Hatzalah«, Eli Beer, hat keine gute Meinung von dem Minister. Er nannte Litzman eine »gehässige und bösartige Person«. Beer, der derzeit in Miami mit einem schweren Verlauf der Corona-Infektion auf der Intensivstation liegt, erklärte, dass der Gesundheitsminister es den 6000 Freiwilligen von United Hatzalah nicht erlaubt, in irgendeiner Weise zu assistieren. Litzman wünschte Beer eine schnelle Genesung, behauptete aber, die Mitarbeiter von United Hatzalah seien »weniger professionell« als andere.

SCHUTZ In Ramat Gan eröffnete das Sheba-Krankenhaus eine neue Intensivstation mit mehr als 40 zusätzlichen Betten in einer Parkgarage. Sie ist mit hoch entwickelter Technologie ausgestattet und verfügt über verschiedene Bereiche, zum Beispiel eine orthopädische Abteilung und einen Kreißsaal.

Das Gesundheitspersonal arbeitet praktisch rund um die Uhr, um sich auf einen extremen Anstieg von Fällen vorzubereiten. In einem Brief an Netanjahu und Gesundheitsminister Litzman bittet die Medizinische Vereinigung Israels (IMA) inständig, mehr Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen.

Während sich die Coronavirus-Epidemie im Lande ausbreitet, sei das medizinische Personal dem ausgesetzt und entsprechend gefährdet, so IMA weiter. »Wir verlieren die Mitarbeiter so schnell an die Quarantäne, dass uns schwindlig wird. Wir fordern Schutz für unsere Mitglieder bei jedem Zusammentreffen mit einem möglichen Corona-Patienten.«

Gaza

»Gebt mir mein Mädchen zurück!«

Ifat Hayman fleht, dass ihre Tochter Inbar, die letzte weibliche Geisel der Hamas, zur Bestattung zurückgebracht wird

von Ifat Hayman  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025

Politik

»Geradeaus« mit Gadi Eizenkot

Zu den Gründungsmitgliedern der neuen Partei des früheren Stabschefs gehört auch die Tochter einstiger Hamas-Geiseln

von Sabine Brandes  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Jerusalem

Netanjahu kündigt Treffen mit Trump an, warnt Hamas und kritisiert Katar

Vor seinem Besuch im Weißen Haus will der Ministerpräsident vor den Vereinten Nationen sprechen

 17.09.2025

Nahost

Israelische Armee weitet Offensive aus

Laut Armeesprecher Effie Defrin hat eine Befreiung der in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln höchste Priorität: »Ihre sichere Rückkehr ist der Kern unserer Mission. Sie sind der Grund, warum wir weiterkämpfen.«

 17.09.2025

Luftfahrt

Schlägerei während Flugs von Tel Aviv nach Bukarest

Israelische Passagiere prügeln sich. Anschließend gibt es Bußgelder. Medien berichten über mutmaßlich religiöse Motive

 16.09.2025 Aktualisiert

Nahost

Israel greift Huthi-Anlagen im Jemen an

Die Huthi-Miliz im Jemen feuert immer wieder Raketen in Richtung Israel. Der jüdische Staat reagiert mit eigenen Schlägen - auch jetzt wieder

 16.09.2025