Es sind Hunderte von Plakaten mit den Porträts derselben drei Männer: Ran Gvili, Sudthisak Rinthalak und Dror Or. Es sind die letzten Geiseln, die noch in Gaza von der Hamas festgehalten werden. Sie alle sind von den israelischen Sicherheitsbehörden für tot erklärt worden. Doch ihre Familien warten verzweifelt darauf, sie nach Hause zu holen, um sich zu verabschieden und ihren Liebsten ein würdiges Begräbnis zu ermöglich.
Tausende füllten am Samstagabend wie seit Monaten bereits wieder den Geiselplatz in Tel Aviv zu einer Kundgebung unter dem Motto »Wir lassen niemanden zurück«. Die Demonstranten forderten die Rückgabe der letzten Geiseln aus Gaza mit Rufen: »Bringt sie nach Hause! Jetzt!«.
Die drei Männer wurden am 7. Oktober getötet und ihre Leichen nach Gaza verschleppt. Der 24-jährige Ran Gvili, Offizier einer Eliteeinheit der Polizei, war trotz einer Schulterverletzung, von der er sich noch erholte, in den Süden geeilt. Er wurde von Terroristen ermordet, als er Zivilisten bei der Flucht vom Nova-Musikfestival half.
Wille, die Geiseln nach Hause zu bringen
Dror Or und seine Frau Yonat wurden in ihrem Kibbuz Be’eri ermordet, ihre beiden jüngeren Kinder, Noam und Alma, als Geiseln nach Gaza verschleppt. Die Kinder wurden am 25. November 2023 während einer einwöchigen Waffenruhe aus Gaza freigelassen. Dror Ors Leiche wurde entführt.
Sudthisak Rinthalak war ein thailändischer Landarbeiter, der seine Familie in der Heimat durch die Arbeit in Israel finanziell unterstützen wollte. Er sei ebenfalls bei dem Angriff der Hamas auf Be’eri getötet worden, gab die israelische Armee an. Israel beschuldigt die Hamas, die Herausgabe der verbleibenden Leichen absichtlich zu verzögern.
»Es besteht ein echter Wille seitens Israels, der USA, der Vertragsstaaten und sogar seitens der verabscheuungswürdigen Hamas, sich weiterhin für die Heimkehr der Geiseln einzusetzen«, sagte Elad Or, Bruder von Dror Or, auf der Demonstration. »Wir dürfen nicht zulassen, dass die brüchige Waffenruhe kollabiert und dürfen nicht einen einzigen Tag von Such- und Rettungsaktionen verlieren.«
Die freigelassene Geisel Raz Ben Ami bestätigte die Worte und betonte: »Alle drei müssen zurückkehren, damit wir alle endlich wieder ein normales Leben führen können.«
Raz Ben Ami: »Alle drei müssen zurückkehren, damit wir endlich wieder ein normales Leben führen können.«
Bei der Kundgebung wurde neben dem Ruf nach der Freilassung der drei Geiseln eine weitere Forderung laut: die nach der Einsetzung einer unabhängigen staatlichen Untersuchungskommission, welche die Versäumnisse aufklären soll, die den Angriff vom 7. Oktober ermöglichten. »Wir haben ein Recht auf die Wahrheit« und »sofortige unabhängige Untersuchung« rief die Menge immer wieder.
Währenddessen wurde auch einige Hundert Meter entfernt, auf dem Habima-Platz, lautstark nach Aufklärung gerufen. Der erste Redner hier war Rafi Ben Shitrit. Sein Sohn wurde im Kibbuz Nahal Oz getötet, als er gegen Hamas-Terroristen kämpfte. Ben Shitrit ist Mitbegründer des »Oktober-Rats«, eines Forums, das die Hinterbliebenen der am 7. Oktober Getöteten und Verwundeten vertritt.
»Die israelische Regierung hat ihre wichtigste Aufgabe verfehlt: die Bürger zu schützen«, so Ben Shitrit. »Doch wir sind nicht hier, um zu brüllen: ›Geh nach Hause, Bibi!‹. Stattdessen fordern wir die Werte zurück«.
»Wir werden einer lächerlichen politischen Untersuchung nicht zustimmen und nicht mit dem Gremium zusammenarbeiten«, hob er in Bezug auf das Einsetzen des Ministerausschusses der Koalition hervor. »Wir haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Wir haben ein Recht auf Gerechtigkeit, und wir haben ein Land verdient, das unsere Kinder und Enkelkinder niemals wieder im Stich lässt.«
Koalition erklärt, Ausschuss solle »unabhängig« sein
Die Koalition unterstrich bei der Verkündigung in der vergangenen Woche, der Regierungsausschuss solle »unabhängig« sein und über uneingeschränkte Ermittlungsbefugnisse verfügen». Man wolle sich bemühen, dass «seine Zusammensetzung eine möglichst breite öffentliche Zustimmung findet».
Premierminister Benjamin Netanjahu warnte darüber hinaus, dass ein richterliches Eingreifen dagegen «den Grundsatz der Gewaltenteilung und das System der gegenseitigen Kontrolle untergraben würde». Kritiker indes sind der Meinung, dass nur eine gänzlich unabhängige Kommission Sicherheitslücken und systemische Schwächen aufklären kann, damit derartige Fehler nie wieder geschehen.
Auch die regierungsnahe Gratiszeitung «Israel Hayom» kritisierte den Entscheid der Regierung, die Geschehnisse vom 7. Oktober statt von unabhängigen Gremien durch politische untersuchen zu wollen. Kommentator Uri Dagon schrieb am Sonntag: «Der Premierminister täte gut daran, die Farce einer Scheinuntersuchungskommission zu beenden, die Zehntausende Familien quält.»
Und weiter: «Der Justizminister, der Israel mit seiner Justizreform in Aufruhr versetzte, darf nicht derjenige sein, der das Mandat einer Untersuchung festlegt. Hinterbliebene, Überlebende der Katastrophe, Angehörige der Geiseln und Evakuierte aus den Grenzgebieten zum Gazastreifen und aus dem Norden verdienen eine Kommission, der sie vertrauen können. So wie es frühere Ministerpräsidenten taten – auch wenn klar war, dass ihnen die Ergebnisse schaden könnten.»