Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu strebt offenbar eine vollständige militärische Kontrolle über den Gazastreifen an. Laut übereinstimmenden Berichten israelischer Medien will der Regierungschef dem Kabinett zeitnah einen entsprechenden Plan vorlegen – obwohl sich Teile der Armeeführung entschieden dagegenstellen.
Ein enger Vertrauter Netanjahus wird mit den Worten zitiert: »Der Würfel ist gefallen – wir gehen auf eine vollständige Besetzung des Gazastreifens zu.« Auch in vertraulichen Gesprächen mit Ministern soll Netanjahu den Begriff »Besetzung« ausdrücklich verwendet haben – ein bemerkenswerter Kurswechsel in der strategischen Ausrichtung des Militäreinsatzes.
Die Armee kontrolliert derzeit etwa drei Viertel des Küstenstreifens. Nach dem neuen Plan soll das Militär auch in die verbleibenden Gebiete vordringen – darunter auch solche, in denen sich mutmaßlich noch israelische Geiseln befinden. Aus Armeekreisen heißt es, dass ein solcher Schritt nicht nur Jahre dauern würde, um sämtliche Hamas-Infrastruktur zu zerschlagen, sondern auch das Leben der Geiseln akut gefährden könnte.
Zamir gegen komplette Besetzung
Besonders deutlich äußerte sich Generalstabschef Ejal Zamir, der dem Vorhaben skeptisch gegenübersteht. Ein hochrangiger Regierungsvertreter soll laut Medienberichten gesagt haben: »Wenn er nicht einverstanden ist, soll er zurücktreten.«
Die Debatte über eine mögliche Besetzung hat auch innerhalb des Sicherheitskabinetts für Spannungen gesorgt. Während Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Galant und andere rechte Hardliner wie Finanzminister Bezalel Smotrich oder Polizeiminister Itamar Ben-Gvir für eine Ausweitung des Militäreinsatzes plädieren, setzen andere, wie Außenminister Gideon Sa’ar, Geheimdienstchef David Barnea und Generalmajor Nitzan Alon auf weitere Verhandlungen über eine Geiselfreilassung und eine mögliche Waffenruhe.
Zamir hat angesichts der brisanten Lage eine geplante Reise in die USA kurzfristig abgesagt. Offiziell wurde erklärt, der Besuch sei an eine Waffenruhe geknüpft gewesen – da diese nicht eingetreten sei, bleibe der Generalstabschef im Land.
Keine Teillösungen mehr
Während sich die Gespräche mit der Hamas zuletzt festgefahren haben, wollen Israel und die USA laut Medienberichten nun einen umfassenden Rahmen für ein Kriegsende und die Rückkehr aller Geiseln schaffen. Der bisher diskutierte Weg über Teillösungen und zeitlich befristete Feuerpausen scheint damit vom Tisch.
Auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff machte bei einem Treffen mit Angehörigen der Geiseln in Tel Aviv deutlich, dass Washington keine Teilabkommen mehr anstrebe, sondern auf ein Gesamtpaket setze: Rückkehr aller Geiseln, Entwaffnung der Hamas und langfristige Entmilitarisierung des Gazastreifens.
Ob ein solches Gesamtabkommen zustande kommt, ist jedoch ungewiss. Aus israelischen Sicherheitskreisen heißt es, die Hamas werde kaum bereit sein, den geforderten Bedingungen zuzustimmen. Die Aussicht auf eine dauerhafte Lösung bleibt entsprechend fraglich. Dies ist offenbar der Grund für das Bestreben der Jerusalemer Regierung, Gaza komplett zu besetzen.
Wie es in den nächsten Tagen weitergeht, hängt maßgeblich von den Beratungen im israelischen Kabinett ab – und davon, ob sich Netanjahu mit seinem Plan einer vollständigen Besetzung durchsetzen kann. im