Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) wird am Sonntagnachmittag, dem 24. Mai, auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Das entschied das Bezirksgericht in Jerusalem. Zuvor hatte der Regierungschef einen Antrag eingereicht, dass er der Eröffnung des Korruptionsprozesses gegen ihn fernbleiben dürfe. Da er seine Bodyguards mitbringen müsse, würde es zu viele öffentliche Gelder verschwenden und zudem die Beschränkungen wegen des Coronavirus unterlaufen, argumentierte Netanjahu.
ERSCHEINEN Zudem nannte er den ersten Tag des Prozesses »eine Formalität«. Kritiker jedoch meinen, dass er sich deshalb nicht blicken lassen wolle, weil es nicht gut aussehe, wenn der gerade erst erneut im Amt bestätigte Ministerpräsident im Gerichtssaal sitzt.
Die Antwort auf Netanjahus Petition kam von der Direktorin der Abteilung Wirtschaftskriminalität. Sie wies zurück, dass es sich um eine Formalität handle und bestand auf Netanjahus Erscheinen, »denn es ist bedeutend für das Vertrauen der Öffentlichkeit und den Respekt für den juristischen Prozess«. Den hatte der Angeklagte zuvor als »Witz« bezeichnet.
Es wird das erste Mal in Israels Geschichte sein, dass sich ein amtierender Ministerpräsident wegen möglicherweise krimineller Vergehen vor Gericht verantworten muss.
Es wird das erste Mal in Israels Geschichte sein, dass sich ein amtierender Ministerpräsident wegen möglicherweise krimineller Vergehen vor Gericht verantworten muss. Nach jahrelangen Untersuchungen hatten die Ermittlungsbehörden und anschließend Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit entschieden, dass Netanjahu wegen Betrug, Veruntreuung und Bestechlichkeit angeklagt wird. Dazwischen erlebte Israel eine der größten politischen Krisen und drei Wahlen, aus denen Netanjahu am Ende wieder als Sieger hervorging. Ihm wird Korruption in den drei unterschiedlichen Fällen 1000, 2000 und 4000 vorgeworfen.
KORRUPTION Dass die Nummer 3000 fehlt, hat einen Grund. In dem brisantesten Fall geht es um das Geschäft zwischen Israel und Deutschland über drei Dolphin-U-Boote von ThyssenKrupp im Wert von angeblich eineinhalb Milliarden Euro. Er wird als einer der gravierendsten Korruptionsskandale des Landes bezeichnet. Enge Vertraute von Netanjahu in dieser Sache werden sich demnächst vor Gericht verantworten müssen – darunter der persönliche Anwalt und Cousin des Regierungschefs, David Shimron. Die Vorwürfe gegen Shimron lauten auf Geldwäsche, die gegen andere auf Bestechlichkeit.
Netanjahu selbst wurde in der Affäre zwar befragt, galt aber nicht als Verdächtiger. Ihm wird jedoch vorgeworfen, den Deal gegen den ausdrücklichen Willen der Armee in der Regierung durchgedrückt zu haben. Der damalige Verteidigungsminister Moshe Yaalon hatte argumentiert, dass Israel maximal zwei U-Boote brauche. Der Regierungschef beteuert, nichts von Shimrons Verbindung zu dem ThyssenKrupp-Mann gewusst zu haben.
GESCHENKE Die anderen Vorwürfe jedoch werden verhandelt: Im Fall 1000 wird Netanjahu vorgeworfen, dass er und seine Familie wertvolle Geschenke von wohlhabenden ausländischen Geschäftsleuten erhalten haben, darunter Zigarren, Schmuck und Champagner. Die Ermittler geben hier Betrug und Veruntreuung an. Der 70-Jährige streitet die Vorwürfe sämtlicher Anklagen ab, spricht von einer Hexenjagd gegen sich und seine Angehörigen.
In Fall 2000 soll Netanjahu mit Arnon Mozes, dem Eigentümer der Tageszeitung Yedioth Achronoth, besprochen haben, den Wettbewerber »Israel Hayom« auf dem Zeitungsmarkt zu schwächen. Hier soll er für Betrug und Veruntreuung vor Gericht kommen.
Bei der Nummer 4000 soll der Ministerpräsident Reformen in der Medienwelt mit Vorteilen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar für den Eigentümer des Telekommunikationsunternehmens »Bezeq« angestrengt haben, im Austausch für positive Berichterstattung auf dessen Website. Die Anklage lautet auf Betrug, Veruntreuung und den schwerwiegenden Vorwurf der Bestechlichkeit.
STRAFMASS Für den kann es in Israel bis zu zehn Jahre Gefängnis geben, für Betrug und Veruntreuung bis zu drei Jahre. Eine schnelle Verurteilung aber wird von niemandem erwartet. Der Prozess gegen den damaligen Premier Ehud Olmert hatte im September 2009 begonnen, erst im September 2016 trat er seine Gefängnisstrafe an. Olmert war vor dem Beginn des Prozesses zurückgetreten. Es sieht also ganz danach aus, als könne Netanjahu seine jetzige Amtszeit in Ruhe zu Ende bringen. Er meint ohnehin, »wo nichts ist, kann auch nichts herauskommen«.
Immer wieder hatte es Demonstrationen gegen ihn unter dem Motto »Crime-Minister« gegeben. Auch Benny Gantz von der Partei Blau-Weiß meinte noch vor der vergangenen Wahl: »Netanjahu wird vor Gericht gestellt, und wir müssen nach vorn schauen. Die Israelis haben die Wahl. Niemand kann ein Land führen und sich dabei um drei ernsthafte Kriminalfälle kümmern.« Jetzt sitzt Gantz als Verteidigungsminister im Kabinett des angeklagten Premiers.
Im Verfahren gegen Netanjahu sollen zahlreiche Zeugen befragt werden, darunter auch der US-Milliardär Sheldon Adelson, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald Lauder, der Hollywood-Produzent Arnon Milchan und der australische Unternehmer James Packer. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner erscheint in der Anklageschrift als einer von mehr als 300 Zeugen. (mit dpa)