Kibbuz

Auf den Lehm gegangen

David Schoneveld patrouilliert nachts manchmal durch den Kibbuz. Doch es ist ruhig geblieben. Seit 1989 ist nichts mehr passiert, doch damals hatte ein jordanischer Terrorist ein Mädchen entführt. Seither ist man im Kibbuz Lotan vorsichtig. 60 Meter hinter dem Zaun, den Schoneveld abschreitet, fängt Jordanien an, 50 Kilometer südlich liegt Eilat, der Badeort am Roten Meer, der im August 2011 von einem Terroranschlag erschüttert wurde.

Trotz Anschlag und Patrouille, der Nahostkonflikt scheint weit weg in Lotan, einer kleinen Oase mitten in der Arava-Wüste, idyllisch wie in einer Seifenblase: 180 Menschen, gepflegte Rasenflächen vor den Häusern, Vogelgezwitscher. Es ist eine überschaubare Welt, an deren Verbesserung die Kibbuzniks tüfteln: Sie erforschen, wie sie sich dem Leben in der Wüste am besten anpassen können. So sind sie in den letzten Jahren zum Öko-Trendsetter unter den israelischen Kibbuzim avanciert. »Wir wollen so wenig wie möglich verschwenden und möglichst viel weiterverwerten«, sagt David Schoneveld, der seit 1997 im Kibbuz lebt.

Die Sonne knallt, wie immer. Mit Cowboyhut, Sonnenbrille, angegrautem Haar und jungenhaftem Lächeln stapft der 47-Jährige über den »Öko-Campus« von Lotan. Das ist die Modellsiedlung des Kibbuz, die zeigt, wie die Zukunft aussehen kann. Verzierte Rundhäuser aus Lehm und Stroh, die an Iglus erinnern, reihen sich hier aneinander.

Innen ist es angenehm kühl, auch ohne Klimaanlage, außen sind die Hütten mit Ölresten aus der Küche bestrichen, als Regenschutz. In Sitzecken und Lehmmauern stecken Plastikflaschen und Müll, auch die Küche ist ein offenes Haus aus Lehm. »Das benutzte Wasser fließt direkt in den Garten dahinter«, erklärt Schoneveld.

dünger Manchmal kochen die Kibbuzbewohner mit Solaröfen, die im Freien stehen: Die bündeln die Wüstensonne. »Es ist wie ein Brutkasten«, erklärt Schoneveld. »Der Solarofen braucht nur ein klein bisschen länger als ein normaler Ofen.« Er zieht ein paar angebrannte Kekse aus dem Kasten, die jemand vergessen hat. Dann öffnet er die Tür zur bunten Toilette, die ohne Wasser funktioniert. Eine Mischung aus Ziegenmist und Stroh wird in die Toilette geworfen. »Nach vier Monaten bleibt nur geruchlose, trockene Erde übrig«, sagt Schoneveld lächelnd. »Ein guter Dünger für die Gärten.«

Heute versuchen die Kibbuzbewohner möglichst umweltschonend zu leben – doch als die Gründer Anfang der 80er-Jahre in die Wüste ziehen, ist sie für die jungen Amerikaner und Israelis nur Land, das es zu unterwerfen gilt. Sie stellen schlecht isolierte Fertighäuser auf und kühlen die Häuser mit Strom fressenden Klimaanlagen ab, verbrauchen zu Hause und für Ackerbau und Viehzucht viel Wasser, viel Energie. Der Müll wird in der Wüste verbrannt.

revolution »An die Umwelt hat niemand gedacht«, sagt David Schoneveld. »Auch ich war gar nicht umweltbewusst«, gibt er zu. Schoneveld wuchs in Jerusalem auf, verbrachte einen Teil seiner Schulzeit in Deutschland, studierte in den USA. »Meine Frau ist schuld, dass ich in Lotan bin«, sagt er. Die Rabbinerin arbeitete im Kibbuz und wollte bleiben – jetzt unterrichtet sie in Lotan Hebräisch, Geschichte und Traditionen des Judentums, begleitet Konvertierungen. Schoneveld führt Touristen durch Israel – und gibt Einblicke in den grünen Wandel von Lotan.

Die Revolution beginnt mit einem kleinen Recyclingplatz hinter der Gemeinschaftsküche, den Eltern eines Kibbuzbewohners aus England angeregt hatten. Doch der Müllberg wächst, eine Müllabfuhr gibt es nicht. Die Bewohner von Lotan beginnen, mit dem Abfall zu bauen: Sitzbänke und Mauern aus Lehm, Plastikflaschen und Autoreifen, später Häuser aus Stroh und Lehm, Tiere für den Ökospielplatz. »Ich habe plötzlich gemerkt, dass Recycling kreativ sein kann, Spaß macht«, sagt Schonefeld.

In seinem Garten hat Schoneveld einen Komposthaufen, Recycling ist eine Selbstverständlichkeit – anders als in den meisten Teilen Israels. Mit seiner Familie lebt er allerdings wie die Mehrzahl der Leute noch in einem der kastenförmigen Fertighäuser, auch die Toilette spült mit Wasser.

Immerhin fließt das Abwasser durch ein ökologisches Reinigungssystem, fünf große Becken, die mit Steinen und Pflanzen gefüllt sind. »Das Wasser ist zwar ein bisschen brackig«, sagt Schoneveld. »Aber wir können damit den Ökogarten bewässern.« Auch die Klimaanlagen aller Häuser wurden modernisiert, und durch das Einziehen eines zweiten Daches heizen die Häuser nicht mehr so schnell auf.

tochter Schonevelds elfjährige Tochter Naama sitzt im Wohnzimmer, starrt gebannt auf ein Computerspiel. »Es ist nicht alles grün hier«, sagt sie. »Auf moderne Technologie möchten wir nicht verzichten.« Naama hilft nach der Schule beim Bauen von Lehmhäusern oder im Kibbuz-Garten mit. Was sie sich für die Zukunft wünscht: mehr Solarenergie.

Die Öko-Ausrichtung von Lotan spart nicht nur Ressourcen – der Kibbuz hat auch nachhaltigen Tourismus als neuen Wirtschaftsfaktor entdeckt. Auch wenn der Großteil der Einnahmen mit Milchkühen und Dattelplantagen erwirtschaftet wird, zieht der grüne Fokus immer mehr Touristen an. »Wir sind keine abgehobenen Ökofreaks. Wir wollen ökologisch sein, aber auch Geld verdienen«, sagt Schoneveld.

Manche Besucher kommen nur kurz vorbei, trinken einen Tee im Café, wo auch Kunsthandwerk oder Ziegenkäse verkauft wird. Andere übernachten in den Lehmhäusern von Lotan. Bei mehrwöchigen Umweltprogrammen lernen Studenten aus Israel, aber auch Europa, Lateinamerika und USA, Trockentoiletten, Lehmhäuser, Solaröfen oder Reinigungssysteme zu bauen. »Wir sehen es als unsere Aufgabe an, unser Wissen weiterzugeben«, sagt Schoneveld. Die Ideen aus dem kleinen Kibbuz in der Wüste exportieren die Studenten dann in den Rest der Welt.

www.kibbutzlotan.com

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