Am vergangenen Donnerstag hob Premier Naftali Bennett in Jerusalem den Hörer ab und rief in Ankara an. Direkte Leitung zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Es war das erste Mal in 13 Jahren, dass ein israelischer Ministerpräsident offiziell mit Erdogan sprach. Vorausgegangen war dem Anruf das Drama um das israelische Busfahrer-Ehepaar Mordy und Natali Oknin, das wegen Spionageverdacht verhaftet worden war.
KOMMUNIKATION Am Freitag wurde es nach Tagen in einem türkischen Gefängnis freigelassen und landete in einer Maschine des israelischen Außenministeriums auf dem Ben-Gurion-Flughafen. Bennett bedankte sich für den »persönlichen Einsatz« von Erdogan. Er habe die Kommunikation »in der Zeit der Krise als effizient und diskret« empfunden. Aus Ankara gab es keinen Kommentar zu dem Gespräch.
Die Oknins waren festgenommen und ins Gefängnis gesteckt worden, nachdem sie den Dolmabahce Palast in Istanbul fotografiert hatten, der bereits seit zehn Jahren nicht mehr als Präsidentenresidenz dient. Beide beteuern, nicht gewusst zu haben, dass es verboten ist, das Gebäude zu fotografieren. Von der Regierung in Jerusalem wurde vehement dementiert, dass es sich bei ihnen um Spione handele. Beide sind bei der israelischen Gesellschaft Egged beschäftigt.
Auch Türken waren entsetzt über die Verhaftung der Israelis.
Auch Türken äußerten sich entsetzt über die Verhaftung. So schrieb beispielsweise der Journalist Can Atkali, dass Tausenden von Menschen die Verhaftung drohe, wenn das Fotografieren des Palastes als »Akt der Spionage« gilt.
Dann am frühen Donnerstag die gemeinsame Twitter Nachricht vom israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett und Außenminister Yair Lapid: »Nach gemeinschaftlichen Anstrengungen mit der Türkei sind die Oknins aus dem Gefängnis freigelassen worden und befinden sich auf dem Weg nach Hause«.
RÜCKKEHR Nach ihrer Rückkehr drückte das Paar aus der Stadt Modiin seine Dankbarkeit gegenüber allen aus, die an ihrer Freilassung gearbeitet haben, vor allem der Regierung. »Und wir bedanken uns beim gesamten israelischen Volk. Jetzt wollen wir einfach nur mit unserer Familie zusammen sein.« Bennett, Lapid und Israels Präsident Isaak Herzog danken anschließend dem türkischen Präsidenten. Erdogan hatte sich nicht zu der Affäre geäußert.
Warum nicht? »Wahrscheinlich, weil er erst abwägen wollte, was er mit den Oknins machen soll.« Davon geht der Türkeiexperte Assa Ophir von der Bar-Ilan-Universität aus. Israelische Zeitungen berichten, man nehme an, dass das Paar festgenommen wurde, weil lokale Behörden tatsächlich meinten, es wolle das Land am Bosporus ausspionieren. Höhere türkische Autoritäten seien zunächst nicht informiert gewesen.
Ophir meint, dass es sich durchaus so zugetragen haben könnte. »Doch schon nach kürzester Zeit ist Erdogan informiert worden. Das ist keine Frage. Dann hat er überlegt, was ihm in dieser Situation den größten Vorteil bringt.« Die Gefahr, dass die Oknins als politisches Pfand eingesetzt werden könnten, habe durchaus bestanden. »Besonders am Anfang sah es nicht gut aus, vor allem wegen der sehr belasteten Beziehungen zwischen den Ländern.«
»Die Türkei hat in den vergangenen Jahren eine extrem negative PR gehabt. Ihr Ruf ist schlecht.«
türkei-Experte assa ophir
»Doch die Türkei hat in den vergangenen Jahren eine extrem negative PR gehabt. Ihr Ruf ist schlecht. Nicht nur im Westen, sondern auch in unserer Region. Es gab Verstimmungen mit Ägypten, den Saudis und anderen.« Außerdem gebe es das für sie »gute alte Feindbild nicht mehr, nachdem sich gleich mehrere arabische Staaten mit Israel aussöhnen«. Also sei es nach Ophirs Verständnis besser für Erdogan gewesen, die Israelis ziehen zu lassen.
ANALOGIE Der Experte stellt eine Analogie zwischen der israelisch-türkischen Beziehung und einer Paarbeziehung her. »Schon Ben Gurion beklagte sich, dass wir lediglich ein ›Seitensprung der Türkei‹ seien. Obwohl es ernsthafte Gefühle gebe, liefen sämtliche Verbindungen im Geheimen ab. Nichts durfte an die Öffentlichkeit gelangen.«
Dann, nach den Oslo-Abkommen, hätte man einige Jahre lang wie ein verheiratetes Paar gelebt. Es gab strategische Abkommen, gemeinsame Armeemanöver, und die Israelis strömten in Scharen in die Türkei zum Urlauben. Die beiden Länder waren jetzt engste Verbündete im Nahen Osten.
FLOTILLE Die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern hätten die Beziehung zu Ankara allerdings abgeschwächt, so Ophir. Und dann kam die Mavi Marmara. Seit dem Vorfall auf der türkischen Flotille, die im Jahr 2010 die israelische Blockade des Gazastreifens brechen wollte, liegen die Beziehungen auf Eis. Damals waren bei Kämpfen zwischen israelischen Soldaten und gewalttätigen Aktivisten neun türkische Staatsangehörige getötet worden.
»Das war die Scheidung. Wenn wir auch weiterhin gemeinsame Interessen hatten, war es danach doch so, dass wir uns lieber nur von Weitem sahen«, beschreibt es der Experte.
»Wir hoffen auf wärmere Beziehungen durch die intensiven Kontakte der vergangenen Tage.«
kabinettsminister matan kahana
Für die Freilassung der Oknins habe Jerusalem der Türkei angeblich nichts im Gegenzug geben müssen. Kabinettsminister Matan Kahana bestätigte das in einem Radiointerview. Außerdem hoffe er auf »wärmere Beziehungen durch die intensiven Kontakte der vergangenen Tage«. Die Israelis wünschten sich das tatsächlich, weiß Ophir. Eine aktuelle Umfrage vom Mitvim-Institut zeigt, dass sich rund 60 Prozent der Bewohner des jüdischen Staates freuen würden, wenn es zwischen den Ländern nicht mehr so eisig zugehe.
PROPAGANDA In der Türkei allerdings sieht das anders aus. »Wir sind nach den USA das zweitgehasste Land der Welt.« Die Propaganda Erdogans habe in zwei Jahrzehnten großen Einfluss auf die Meinung und Bildung in der Türkei gehabt. »Sie ist zusehends islamistisch und antisemitisch geworden und hat sich vom Westen entfernt. Und das lässt sich nicht schnell ausmerzen.«
Der Türkeikenner ist nicht sehr hoffnungsfroh, was wärmere Beziehungen angeht. Zwar könnte die Kommunikation der vergangenen Tage sie etwas verbessern«, an eine »zweite Eheschließung« glaubt er nicht. »Das Misstrauen sitzt mittlerweile zu tief. Für einen Neustart bräuchte es einen anderen Partner in der Türkei.«