Tel Aviv

80.000 Israelis protestieren im strömenden Regen

»Demokratia, Demokratia«, forderten die Demonstranten immer wieder. Foto: Flash90

Von Balkonen und Hausdächern war weit und breit nur ein Meer aus Regenschirmen und blau-weißen Israel-Flaggen zu sehen. Normalerweise ist der Tel Aviver Rothschild-Boulevard im Regen verwaist. Doch obwohl ein Wolkenbruch den nächsten jagte, drängten sich an diesem Samstagabend Zigtausende auf der Ausgehmeile der Stadt. Sie alle hatten nur ein Ziel: den Habima-Platz am nördlichen Ende der Straße.

BUSSEN Rund 80.000 waren gekommen, um gegen die Regierungspläne für weitreichende Änderungen im Justizsystem zu protestieren. Es war die zweite Woche der Demonstrationen, nachdem Justizminister Yariv Levin (Likud) angekündigte hatte, die unabhängige Justiz einzuschränken - und der größte Protest, den Israel seit Jahren gesehen hat. Viele waren mit gecharterten Bussen aus dem ganzen Land angereist.

Zum Klang von Hupen und Trommeln skandierten sie: »Demokratia, Demokratia« oder »Freiheit, Gleichheit und eine aufrichtige Regierung«. Auch in Jerusalem und Haifa fanden Demonstrationen statt, allerdings mit wesentlich weniger Menschen.  

»Ich bin völlig durchnässt und friere, aber das ist besser als diese Regierung«, sagte Maayan, während sie durch Pfützen lief und ein Schild in die Höhe hielt: »Eine Demokratie besteht aus drei Säulen«. Die Studentin war mit Freunden aus einem der Vororte gekommen, um ihrem Unmut Luft zu machen.

»Seit die neue Koalition an der Macht ist, habe ich solche Angst um mein Land, dass ich kaum schlafen kann.«

Demonstrantin maayan

»Seit die neue Koalition an der Macht ist, habe ich solche Angst um mein Land, dass ich kaum mehr schlafen kann. Wir müssen demonstrieren, wenn es sein muss, jeden Tag. Weil unser Leben sonst bald völlig anders aussehen könnte und unsere Rechte, vor allem die für Frauen, vielleicht fundamental eingeschränkt werden.«

EMOTIONAL Auf einem Banner hinter der Bühne auf dem Platz, wo Israels Nationaltheater sein Zuhause hat, stand: »Kampf für die Demokratie«. Mehrere Sprecher traten auf, darunter die einstige Außenministerin Zipi Livni und die ehemalige Richterin am Obersten Gerichtshof, Ayala Procaccia.

Eine sichtlich emotionale Livni betonte, »dass niemand über dem Gesetz steht, nicht einmal der Premierminister«, in Anspielung auf den laufenden Korruptionsprozess gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu »Gemeinsam werden wir den Staat schützen, denn er ist für uns alle da.«

Procaccia machte klar, dass man am Beginn einer neuen Ära stehe, in der Demokratie neu definiert wird: »keine wertebasierte Demokratie, sondern eine zerbrochene Demokratie, die sich ganz auf die ›Wahl des Wählers‹ stützt. Dabei haben die anderen demokratischen Prinzipien kein Gewicht mehr«.

AUGENBLICK »Doch die Öffentlichkeit«, machte sie klar, »wird die Zerstörung der Werte, die die Grundlage unseres Systems bilden, nicht akzeptieren. Wir befinden uns in einem schicksalhaften Augenblick der Entscheidung für die moralische Zukunft Israels.«

Unter den Anwesenden waren auch der ehemalige Premierminister Ehud Barak, Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, der ehemalige IDF-Chef Gadi Eisenkot, die Vorsitzende der Arbeitspartei, Merav Michaeli, und der Vorsitzende der islamistischen Partei Raam, Mansur Abbas.

Oppositionsführer Yair Lapid hatte am Tag zuvor gesagt, dass er sich dem Protest nicht anschließen werde, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass er und Gantz nicht vor der Menge sprechen dürften.

Nur vereinzelt gab es Zusammenstöße mit der Polizei, nachdem einige Demonstranten versucht hatten, die Stadtautobahn zu blockieren.

Der offen homosexuelle Sänger Ivri Lider sang zum Auftakt der Kundgebung einen seiner Hits, während die Menge ihre Handys in die Höhe hielt und den abendlichen Habima-Platz erhellte.

Im Anschluss rief der Vorsitzende der Bewegung für die Qualität der Regierung, Eliad Shraga, der Menge zu: »Denken Sie immer daran, dass wir die Kälte und den Regen einer liberalen Demokratie der Hitze und Hölle einer faschistischen Diktatur vorziehen.« Die Regierung aber ziele darauf ab, »die DNA des Staates Israel zu verändern und ihn von einem säkularen Staat in einen religiös-fundamentalistischen Staat zu verwandeln«.

WARNUNGEN Trotz der Warnungen der Polizei vor möglicher Gewalt und des Aufrufs des rechtsextremen Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, endeten alle Demonstrationen weitgehend friedlich. Nur vereinzelt gab es Zusammenstöße zwischen wenigen Demonstranten und Polizisten, nachdem einige in Tel Aviv versucht hatten, die Stadtautobahn Ayalon zu blockieren.

Die Sicherheitskräfte konnten sie jedoch zurückdrängen. Die Straßen in der Nähe des Habima-Platzes waren während der gesamten Kundgebung gesperrt.

In der nördlichen Hafenstadt Haifa hatten sich Hunderte von Menschen im Zentrum versammelt. Vor der Residenz des Präsidenten in Jerusalem protestierten Tausende. Sie forderten Isaac Herzog auf, einzugreifen. »Wach auf, das Haus brennt«, schrien sie. »Wach auf, das Land ist mehr wert!«

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