Cyberkrieg

1.000 Anschläge pro Minute

Virtueller Terrorismus: Attacken aus dem Internet sind eine permanente Bedrohung. Foto: Frank Albinus

Es klingt wie eine apokalyptische Zukunftsvision: Hacker, die per Tastatur ganze Staaten lahmlegen. Doch was, wenn Cyber-Terroristen tatsächlich in die Tagesgeschäfte der Börsen eindringen, Stromnetz oder Wasserversorgung eines Landes lahmlegen? Das, glauben Sicherheitsexperten in Israel, könnte im Prinzip sofort geschehen. Attacken aus dem Internet bedrohen die Stabilität praktisch permanent. Israels Versorgungssysteme müssen heute schon 1.000 Attacken abwehren – pro Minute.

Das Internet ist der neueste Kriegsschauplatz, auf dem sich Israel Angreifern aus der ganzen Welt gegenübersieht. Itzchak Ben-Israel, Leiter des Programms für Sicherheitsstudien an der Uni Tel Aviv, weiß, dass die Lage ernst ist. »Es reicht nicht, dass wir so geschützt sind wie andere Staaten. Wir müssen höhere Mauern um unsere Systeme errichten, denn wir haben es mit mehr Feinden zu tun als andere Nationen. Israel wird ständig von Islamisten, Antisemiten, extremistischen Palästinensern attackiert.«

Besonders beunruhigend sei, dass praktisch jeder ein virtueller Terrorist werden könne. Mit guten Computerkenntnissen sei alles möglich, so der Sicherheitsexperte. Und damit ist die Gefahr schnell nicht mehr virtuell, sondern real. Wenn sensible Versorgungsnetze eines Landes von Hackern manipuliert werden, ist ein kriegsähnlicher Zustand keine bloße Science-Fiction.

Stromnetz Wie etwa für den Stromanbieter des Landes. Dessen Vorstandsvorsitzender Jiftach Ron-Tal erklärte auf der jährlichen Cyber-Versammlung des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien, dass es sein Unternehmen am schlimmsten trifft. IEC muss sich jeden Tag mit 10.000 bis 20.000 Angriffen aus dem Internet beschäftigen. Ron-Tal ist schon lange der Meinung, dass die Schlacht im Netz brandgefährlich ist: »Ein Cyberkrieg ist ein langwieriger Krieg. Anders als ein einzelner taktischer Militärschlag ist dieser viel bedrohlicher. Es würde auch länger dauern, sich davon zu erholen.«

Das Elektrizitätsunternehmen sei ein besonders sensibles Ziel, so der Chef, »denn wir können nichts lagern. Strom wird produziert und sofort verbraucht.« Ist die Produktion lahmgelegt, ist einfach nichts mehr da. Zudem sei Israel eine Art Strominsel, nicht verbunden mit anderen regionalen Netzen, wie etwa in Europa üblich. Allerdings werde derzeit an Kooperationen mit Zypern und Griechenland gearbeitet.

Noch sind die Lieferungen von Haifa bis Eilat gut geschützt, versichert er. »Wir decken täglich Hackversuche über Viren, falsche Passwörter und Ähnliches auf. Meistens können wir sie sogar zurückzuverfolgen. Sie stammen aus der ganzen Welt, der Großteil aus den USA, China, Russland, Südkorea und sogar aus Israel selbst.« Nur eine relativ geringe Zahl (100 bis 200 pro Woche) wird vom Erzfeind Iran auf die Reise geschickt.

Firewalls In den Werken herrscht mittlerweile immer Ausnahmezustand. »Früher gab es den Status ›Normalbetrieb‹ und ›Notfall‹. Doch diese Zeiten sind vorbei. Jetzt befinden wir uns praktisch permanent im Kriegszustand«, so Ron-Tal. Dabei stellt man sich sowohl auf Terroranschläge mit konventionellen Waffen auf die Infrastruktur der Werke als auch auf Cyberangriffe aus dem Netz ein. Wobei Ron-Tal betont, dass Angriffe mit realen Raketen auf die Stromnetze, etwa durch die libanesische Hisbollah, eher kontrolliert werden könnten. »Unsere Netze sind so weit verzweigt, dass wir bei einem Treffer weiter funktionieren würden.«

Im Cyberbereich indes bietet sich ein anderes Bild. »Die Stromversorgung läuft hauptsächlich über zwei Netze, ein administratives und ein operatives. Wenn die getroffen werden, haben wir ein echtes Problem.« Daher sei IEC permanent damit beschäftigt, Firewalls zu installieren und auf den neuesten Stand zu bringen.

Professor Ben-Israel bestätigt, dass der Rote Alarm ohne Unterlass leuchten müsse. »Die Gefahr ist groß, und die Gefahr ist da. Wir können uns nicht erlauben, hinterherzuhinken, sondern müssen den anderen immer einen Schritt voraus sein.«

Ein Fachmann in Sachen Abwehr ist der ehemalige Sicherheitschef der Armee, Amos Yadlin. Auch er warnte auf der Versammlung: »Die Cyberwelt ist wie das nächste Pearl Harbor oder sogar wie eine Atombombe.« Grund zur Sorge gibt für Yadlin vor allem der Mangel an Vorkenntnissen: »Es gibt keine Geschichte dazu, und wir haben keine Erfahrungen mit den Möglichkeiten der Zerstörung durch einen Cyberkrieg. Und leider gibt es auch niemanden, der das wirklich abschätzen kann.«

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