Jugendkongress

Vier Tage in Berlin

Etwas verloren steht David in der Lobby des Kongresshotels in Berlin und schaut sich verwundert um. »Ganz schön viel los hier«, sagt er mit Blick auf die rund 400 anderen Teilnehmer des Jugendkongresses, die wie er an diesem Wochenende gerade aus ganz Deutschland angereist sind. Der 23-jährige Medizinstudent aus Münster nimmt zum ersten Mal an der Veranstaltung der ZWST und des Zentralrats der Juden teil. »Ich hoffe, dass ich viele Gleichaltrige kennenlernen werde«, beschreibt er seine Erwartungen an den Kongress.

Auch Anna aus Leipzig freut sich darauf, in Berlin junge jüdische Erwachsene in ihrem Alter zu treffen. Doch anders als David ist die 25-Jährige bereits zum dritten Mal bei dem Event dabei. »Für mich ist das inzwischen eine Art Familientreffen«, betont Anna. Besonders interessiert ist sie an dem Kongressthema: Im Studium beschäftigt sie sich zurzeit mit dem europäischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert. »Es ist erschreckend, wie viele Parallelen zur Gegenwart es gibt«, befindet sie.

alarmzeichen Genau aus diesem Grund haben die Organisatoren des Jugendkongresses sich dafür entschieden, den zunehmenden Antisemitismus in Europa zu thematisieren. »Dass sich Juden im Herzen des liberalen Westeuropa nicht mehr sicher fühlen können, müsste für die europäischen Demokratien eigentlich ein äußerstes Alarmzeichen sein«, betont Mark Dainow, Jugenddezernent des Zentralrats. »Mit dem Kongressprogramm möchten wir den jungen Erwachsenen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie auf die antisemitischen Tendenzen reagieren können«, erklärt auch Aron Schuster, stellvertretender Direktor der ZWST.

Darauf hat Referent Ron Schleifer von der israelischen Universität Ariel eine klare Antwort parat: »Vernetzt euch! Engagiert euch! Seid smart!«, legt er den Besuchern seines Workshops »Muslimischer Antisemitismus« am Freitag in der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz ans Herz. Für den Politikwissenschaftler spielen die neuen Medien beim Eintreten gegen Antisemitismus eine zentrale Rolle. Eine einzige Idee kann den Diskurs fundamental verändern, ist Schleifer überzeugt. »Wenn ein guter Post auf Twitter erst einmal viral geht, ist er nicht mehr zu stoppen.«

Jonathan Marcus aus Berlin hört den Worten von Ron Schleifer aufmerksam zu. Der 33-jährige Berliner teilt dessen Eindruck, dass junge Juden sich engagierter in die Diskussion um den Antisemitismus einmischen sollten. »Name it and put a price on it!«, nach diesem Prinzip müsste das Engagement erfolgen, schlägt Jonathan vor, der in seiner Freizeit ehrenamtlich das jüdische Lernfestival Limmud mitorganisiert. Er ist davon überzeugt, dass den Antisemiten klare Grenzen gesetzt werden müssen. »Sonst verwischen langsam die roten Linien, was hoffähig ist und was nicht.«

Warnung Kurz nach dem Workshop spricht Zentralratspräsident Dieter Graumann über ein Ereignis, das alle Grenzen der Menschlichkeit in unvorstellbarem Maße überschritt: die Wannsee-Konferenz vor 72 Jahren, auf der die Vernichtung des europäischen Judentums organisiert wurde. Graumann spricht vom »Wannsee als Warnung« und »Botschaft für uns«. Die Teilnehmer des Jugendkongresses fordert er auf, die Fackel des Gedenkens weiter zu tragen: »Auch wenn es schmerzhaft ist und es gewiss auch schönere Aufgaben und Pflichten gibt.«

Der ermordeten Juden zu gedenken, ist für Ramin aus Hamburg eine Selbstverständlichkeit. Die Großeltern des persischen Juden haben während des Holocausts zwar in Teheran gelebt. Die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten, ist für den 30-jährigen Immobilienhändler dennoch »eine Mizwa«, wie er sagt.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der ernsten Themen auf dem Jugendkongress hat Ramin die große Party am Samstagabend mit der israelischen Showband »Netanel Kuperman« gefallen. »Die Musik war großartig, die Stimmung ausgelassen – wir haben bis drei Uhr nachts getanzt«, sagt Ramin verschmitzt.

Linkspartei Verkatert, aber gespannt auf den Gesprächsverlauf besucht Ramin Sonntagfrüh die abschließende Podiumsdiskussion »Wie antisemitisch ist Deutschland?« An der nehmen neben Aron Schuster und dem Schoa-Überlebenden Noah Klieger aus Israel jeweils ein Vertreter der Jugendorganisationen der großen Parteien teil – mit Ausnahme der Linkspartei, die die Einladung ausschlug. »Wie bezeichnend, dass die Linke nicht teilnimmt«, findet Ramin. »Allein dafür hat sich das Panel schon gelohnt.«

Ein positives Fazit zieht am Ende des Jugendkongresses auch Medizinstudent David aus Münster. Er hat gleich nach den Begrüßungsreden am Donnerstag die Bekanntschaft anderer Teilnehmer gemacht. Darunter auch Studenten aus seiner Nachbarstadt Osnabrück. »Das ist von Münster nur ein Katzensprung«, sagt David. »Wir werden uns definitiv bald treffen.«

Besonders beeindruckt hat David, mit so vielen anderen jungen Juden in Berlin zusammen zu sein. »In der Villa der Wannsee-Konferenz wurde mir klar, dass hier, wo der Mord an unseren Leuten beschlossen wurde, sich nun wieder Juden aus ganz Deutschland treffen.« Das sei ein positives Signal, ist sich David sicher. »Wir sind hier – und wir bleiben hier.«

Lesen Sie hier in Auszügen die Rede Dieter Graumanns in der Wannsee-Villa:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18464

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Erste Hinweise auf Tatverdächtigen

Für Hinweise, die zur Tataufklärung führen, ist eine Belohnung in Höhe von 5.000 Euro ausgesetzt

 06.05.2024

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Hannover

Tränen des Glücks

Auf der Damentoilette gibt es eine Schminkorgie, während Backstage auch mal die Gefühle durchgehen. Aber »je näher der Abend, desto geringer die Aufregung«

von Sophie Albers Ben Chamo  31.03.2024

Hannover

»Alle sollen uns hören und sehen!«

Tag zwei der Jewrovision beweist, dass immer noch mehr Energie möglich ist. Nach Workshops und Super-Hawdala geht es zur Kirmes und auf die Zielgerade zur Generalprobe am Sonntagvormittag

von Sophie Albers Ben Chamo  30.03.2024

Jewrovision

Perfekter Auftritt

Der Countdown zur 21. Jewrovision läuft. Rund 1300 Teilnehmer und Gäste aus den deutschen Gemeinden purzeln in Hannover aus den Bussen und bereiten sich auf das große Finale am Sonntag vor: Time to Shine!

von Sophie Albers Ben Chamo  29.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt

 26.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024

Centrum Judaicum Berlin

Neue Reihe zu Darstellungen von Juden in DDR-Filmen

Im April, Mai, August, September und Oktober werden die entsprechenden Filme gezeigt

 20.03.2024