München

Suche nach Identität

Schauspieler Christian Berkel (l.) und Regisseur Emanuel Rotstein bei der Buchpremiere Foto: Marina Maisel

Das kulturelle Kalenderjahr im Jüdischen Gemeindezentrum wird einerseits akzentuiert durch die Jüdischen Filmtage und anderseits durch die Jüdischen Kulturtage am Jakobsplatz.

Und so war Christian Berkel als einer der sechs Erzähler bereits für die Vorstellung des dokumentarischen Mehrteilers Guardians of Heritage im Januar 2018 erwartet worden. Das Zwiegespräch zwischen dem bekannten Schauspieler und dem Filmemacher Emanuel Rotstein musste dann aber krankheitsbedingt abgesagt werden. Als eines der späteren Highlights wurde es anlässlich der Vorstellung von Berkels Roman Der Apfelbaum, in dem er seine dramatische Familiengeschichte beschreibt, nachgeholt.

In Lodz gewann
er entscheidende
neue Eindrücke.

Wie mag sich Christian Berkel fühlen, dessen Großmutter mit ihrer Entscheidung, das jüdische Elternhaus in Lodz für ihre Liebschaft mit einem Goj, einem Nichtjuden, zu verlassen, in eine allem Jüdischen fremd bis feindlich gegenüberstehende Welt eintrat? Dessen Mutter Deutschland, ja Europa, verließ, wie ein unruhiger Geist wiederkehrte und ihrem Sohn nur gelegentlich Fragmente einer von den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts, von den Rassegesetzen der Nationalsozialisten definierte und von ihrer Verfolgungsgeschichte traumatisierte Lebensgeschichte zuwarf.

Mit seiner Spurensuche näherte Christian Berkel sich einer Gemeinschaft, der er halachisch angehört, die seine Mutter aber die meiste Zeit, jedoch nicht durchgehend konsequent, außen vor gelassen hatte. Denn sie hatte nicht deren Werte und Traditionen, sondern nur Verfolgung und Entwurzelung erfahren. Also nichts, was sie ihren Kindern weitergeben wollte. Und am Ende ihres Lebens versank sie in eine Demenz, die sie noch die Reste ihrer Realität nach und nach vergessen ließ.

Liebevoll, humorvoll erzählt Christian Berkel davon, wie er »mit einem Block voller Notizen« die Mutter besuchte und nichts Vernünftiges mehr von ihr erfahren konnte. Aus diesem ersten von 48 Kapiteln las Berkel und schilderte die Situa­tion wohldurchdacht und druckreif.

schweigen Hinter manchem dieser Sätze verbirgt sich eine ganze Welt: »Jahrelang bin ich vor meiner Geschichte davongelaufen. Dann erfand ich sie neu.« Diese Worte könnten auch für seine Mutter gelten, deren Schweigen für Christian Berkel verstörend gewesen war. Auf die Frage nach einer gemeinsamen Sprache folgte ein kleiner Exkurs. Nach Frankreich in die Schule geschickt, fühlte er sich von dem Moment an zweisprachig. Heute nun lebt er mit diesen zwei Sprachen, mit zwei Kulturen, zwei Religionen – und empfindet diesen Meta-Zustand als eine Bereicherung.

Ganz anders als die Mutter Sala, die wiederum zu ihrer eigenen Mutter Iza ein schwieriges Verhältnis gehabt haben muss, sie gar dafür verachtete, von ihr das Judentum geerbt zu haben: »Sala wollte nicht jüdisch sein und hasste Iza für dieses ungebetene Geschenk.« Während Iza ihre Liebschaften wechselte, wird für Sala die Begegnung mit Otto, der aus ärmlichsten Verhältnissen stammt, zum Schicksal. Er schließt ein Medizinstudium ab, und es gelingt ihm die Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft. Christian Berkel dringt in beide Familienzweige vor und überbrückt weiße Flecken auf der Identitätslandkarte.

verfolgung Dabei entdeckt er, dass Urgroßmutter, Großmutter und Mutter etwa zeitgleich in die Verfolgungsmaschinerie der Nazis gerieten: die Älteste von Lodz ins Vernichtungslager Chelmno, die Mittlere in die Fänge der Franquisten in Spanien und die Jüngste ins Durchgangslager Gurs.

Den Traum der Mutter,
Schauspielerin zu werden,
erfüllte der Sohn.

Den Traum der Mutter, Schauspielerin zu werden, erfüllte erst der Sohn, der seit 2006 in der ZDF-Serie Der Kriminalist die Hauptrolle spielt, davor und danach jedoch in vielen deutschen und internationalen Filmproduktionen mitwirkte, wie beispielsweise in Der Untergang mit Bruno Ganz (2004), Flightplan – Ohne jede Spur mit Jodie Foster (2005), Inglourious Basterds (2009) bis hin zur Komödie Was uns nicht umbringt (2018).

Dank des Senders HISTORY und Emanuel Rotstein kam Berkel nach Lodz und Jerusalem und konnte seinen zehn Jahre dauernden Recherchen essenzielle Eindrücke hinzufügen. Gewidmet hat er sein erstes Buch seiner Frau, der Schauspielerin und erfolgreichen Autorin Andrea Sawatzki, die ihn »zu fühlen lehrte«, und den Söhnen Moritz und Bruno.

Sawatzki, die sich gerade für Dreharbeiten in München aufhielt, ließ es sich nicht nehmen, ihrem Mann ein Abendessen im Restaurant »Einstein« auszurichten. So gab es zum Abschluss für den gebürtigen Berliner Christian Berkel, der sein Versprechen, zu kommen, ausgerechnet an seinem 61. Geburtstag einlöste, ein koscheres Dinner und ein herzliches LeChaim.

Christian Berkel: »Der Apfelbaum«. Roman. Ullstein, Berlin 2018, 413 S., 22 Euro

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