Düsseldorf

Sie lassen die Geschichte nicht ruhen

Die Preisträger könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein, als sie in der Düsseldorfer Synagoge die Josef-Neuberger-Medaille entgegennahmen: hier der hoch gewachsene Polizeibeamte in Uniform mit dem mächtigen grauen Bart, dort die einen Kopf kleinere Historikerin im dunklen Kleid.

Was beide eint: Sie sind leidenschaftliche Erforscher menschlicher Schicksale und geben so der folgenden Generation einen tiefen Einblick in mörderische Zeiten. Die Historikerin und langjährige Leiterin der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte, Angela Genger, und Hauptkommissar Klaus Dönecke sind für ihren Einsatz von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf mit der Josef-Neuberger-Medaille ausgezeichnet worden.

Tagebücher Angela Genger leitete von 1980 bis 1988 die Alte Synagoge in Essen und führte in dieser Zeit rund 120 Zeitzeugen-Interviews. Eine Arbeit, an die sie ab 1988 als Gründungsdirektorin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf anknüpfen konnte. Schnell suchte sie die Nähe zur Jüdischen Gemeinde und zum historischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität, holte junge Historiker, baute ein Netzwerk auf. Und immer wieder redete sie mit Holocaust-Überlebenden, veröffentlichte deren Erinnerungen, aber auch Tagebücher und Briefwechsel. Intensiv forschte sie außerdem zur Geschichte der Düsseldorfer Juden und der Deportation vieler von ihnen in die Ghettos.

Für ehemalige Düsseldorfer, die ihre Heimatstadt besuchen wollten, wurde sie zu einer Art Botschafterin der Landeshauptstadt, wie Laudator Falk Wiesemann, Akademischer Oberrat der Universität, feststellte – und so sammelte sie auch weiterhin Interviews. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Vermittlung des Wissens an die nach dem Krieg Geborenen: »Mit ihren Ideen für eine innovative Gedenkstättenarbeit hat sich Angela Genger im In- und Ausland einen Namen gemacht«, sagte Wiesemann. Als Leiterin der Gedenkstätte ging sie 2010 zwar in den Ruhestand, doch als freie Mitarbeiterin blieb sie dem Haus an der Mühlenstraße erhalten.

Klaus Dönecke begann seine Rede mit dem Verlesen eines Briefs aus dem Krieg. Ein im Osten eingesetzter Polizist beschrieb darin seinen Angehörigen daheim im familiären Plauderton, dass er einer »toten Jüdin die Stiefel ausgezogen« habe und die Schuhe jetzt nach Hause schicke, in der Hoffnung, dass sie passten. Die Mischung aus mörderischem Geschehen und treuherzigen Grüßen ließ die Zuhörer aufhorchen. So etwas bleibt im Gedächtnis. Dönecke untersucht die von solchen Polizisten angerichteten Gräuel – anhand der vielen erhaltenen Briefe und Fotos.

Er widmet sich speziell der Geschichte des Reservepolizeibataillons 67, das im Januar 1943 im polnischen Örtchen Dzieraznia 150 Menschen ermordete. Das Grauen, das durch die Zeilen erlebbar wird, führte bei Dönecke jahrelang zu Albträumen. »Es sind weniger geworden. Aber die bösen Träume kommen immer noch«, erzählt der Beamte.

Puzzle Für ihn ist die Geschichte des Bataillons wie ein Puzzle, von dem er nicht weiß, wie groß es ist und wie viele Steine noch aus dem Dunkel der Geschichte auftauchen. Im Februar geht Dönecke in den Ruhestand – aber auch er will danach weiterforschen. Die Gemeinde stellt ihm ein Büro zur Verfügung – deutlich größer als sein heutiges Dienstzimmer. NRW-Innenstaatssekretär Bernhard Nebe hob in seiner Laudatio Döneckes Ruf im In- und Ausland hervor. So habe der Beamte zur ersten Gruppe deutscher Polizisten gehört, die in Uniform die israelische Gedenkstätte Yad Vashem besucht hätten.

Die Josef-Neuberger-Medaille erinnert an den Anwalt und späteren NRW-Justizminister und Vorsitzenden der Düsseldorfer Gemeinde, Josef Neuberger (1902–1977). Preisträger sind unter anderem Angela Merkel, der verstorbene NRW-Ministerpräsident Johannes Rau und die Toten Hosen. Übergeben wurden die beiden Medaillen von Ruth Rubinstein und Ran Ronen, Vorstandsmitglieder der Gemeinde, beim traditionellen Jahresempfang. Zuvor hatte der Vorstandsvorsitzende der Gemeinde, Oded Horowitz, eine kurze Rückschau auf das vergangene Jahr gegeben. Dabei nannte er als ein besonderes Ereignis die Gründung des jüdischen Albert-Einstein-Gymnasiums im August.

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