Jubiläum

Seit 151 Jahren Teil der Stadtgesellschaft

1870 beschlossen elf Männer, in Gelsenkirchen eine eigene jüdische Gemeinde zu gründen - jetzt wurde an sie erinnert

von Michael Thaidigsmann  30.08.2021 18:22 Uhr

Handschriftlich wurden die Statuten der neu gegründeten Synagogengesellschaft festgehalten.

1870 beschlossen elf Männer, in Gelsenkirchen eine eigene jüdische Gemeinde zu gründen - jetzt wurde an sie erinnert

von Michael Thaidigsmann  30.08.2021 18:22 Uhr

Es war kein rundes Jubiläum mehr, das am vergangenen Sonntag in Gelsenkirchen gefeiert wurde. Schuld war die Corona-Pandemie, wegen der die Feier zum 150-jährigen Bestehen der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen letztes Jahr ausfiel. Das tat der guten Stimmung in der 2007 neu gebauten Synagoge aber keinen Abbruch.

ELF GRÜNDER Anlass des nun nachgeholten Events war ein Treffen von elf jüdischen Männern am 28. August 1870 in Gelsenkirchen. Dort vereinbarten sie die Gründung einer eigenen »Synagoge« in der Stadt. Bis dato hatten die Juden der Stadt zur Synagogengemeinde Wattenscheid und damit zur Hauptsynagogengemeinde in Hattingen. Im Gegensatz zu heute war Gelsenkirchen damals noch eine Kleinstadt mit kaum mehr als 20.000 Einwohnern. Mittlerweile sind es mehr als zehn Mal so viele.

In ihrer Ansprache sagte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach: »Unsere Gründungsväter waren die Herren Baß, Diesenberg, Heuser, Markus, Steinberg, Vogelsang, Weinberg, Wolff und die drei Herren Rubens, die in einer auch damals nicht so einfachen Zeit den Mut und Willen hatten, jüdisches Leben in Gelsenkirchen heimisch zu machen.«

DOKUMENT Die Gründungssatzung, die anlässlich des Treffens angefertigt wurde, ist noch erhalten. Dass damals noch andere Sitten herrschten, zeigt gleich der erste Paragraf des Dokuments. Dort heißt es: »Den Anordnungen des Vorstands oder Stellvertreters hat jedes Mitglied unbedingt Folge zu leisten und bestimmen diese den Ort und die Zeit der religiösen Zusammenkünfte. Die Mitglieder haben bis zum Schluß der Zusammenkünfte auf den ihnen zugetheilten Plätzen andächtig zu verweilen, namentlich darf bei Verlesung eines Abschnittes der ›Thora‹ keiner das Local verlassen.«

Es dauerte nach dieser Zusammenkunft noch drei Jahre, bis 1874 die jüdische Gemeinde formell gegründet wurde. Schon 1885 konnte die Synagoge an der Neustraße (der heutigen Gildenstraße) eingeweiht werden. Wie so viele andere jüdische Gotteshäuser auch wurde sie in den Novemberpogromen der Nazis 1938 zerstört. 2007 wurde aber an gleicher Stelle ein Neubau eröffnet.

Zum Festakt angereist war auch Abraham Lehrer aus Köln. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach von einem besonderen »Zeichen« und stellte das Jubiläum in einem größeren Zusammenhang, dem Gedenkjahr 1700 Jahre Judentum in Deutschland. »Dass Juden schon auf deutschem Boden lebten, lange bevor es Deutschland überhaupt gab, dürfte den wenigsten bekannt sein. Jüdisches Leben gehört zu Deutschland und ist Teil dieser Gesellschaft.« Dass man davon aber immer noch weit entfernt sei, so Lehrer weiter, zeigten auch die jüngsten Ereignisse in Gelsenkirchen.

PROTEST Im Mai war ein ebenso judenfeindlicher wie gewaltbereiter Mob vor die Synagoge gezogen, um gegen Israel zu »protestieren«. Dabei kam es massenhaft zu antisemitischen Sprechchören. Die Polizei identifizierte insgesamt 16 Verdächtige und leitete Ermittlungen ein.

Judith Neuwald-Tasbach will in dieser Sache »am Ball bleiben«, sagte sie nach dem Festakt im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Vorsitzende zeigte sich trotz der Bedrohungen optimistisch gestimmt: »Die jüdische Gemeinde ist mitten in Gelsenkirchen zu Hause, sie ist ein aktiver Teil der Stadtgesellschaft geworden. Wir hoffen, dass wir trotz, oder besser gesagt, gerade wegen des immer lauter werdenden Antisemitismus und Rassismus, gemeinsam eine gute Zukunft miteinander gestalten können – mit Respekt voreinander und Neugier auf den anderen.«

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