Ludwig Thoma

Säulenheiliger und Antisemit

Am 21. Januar 1867 wurde Ludwig Thoma in Oberammergau geboren. Genau 150 Jahre später laufen die Vorbereitungen für die Festlichkeiten, mit denen der wohl bekannteste bayerische Heimatdichter in unterschiedlichsten Formen geehrt werden soll, zwischen Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden auf vollen Touren. Doch das Loblied auf den Mann, der das vermeintlich Urbayerische repräsentiert, Gestalten wie den »Münchner im Himmel« erschuf und mit einer Büste in der Ruhmeshalle an der Theresienwiese verewigt wurde, wird von einem krassen Misston begleitet.

Der Münchner Autor Martin A. Klaus hat sich in der soeben erschienenen Biografie Ludwig Thoma. Ein erdichtetes Leben (dtv) auch intensiv mit einer dunklen Seite des Heimatdichters (1867–1921) auseinandergesetzt, die bisher nur ansatzweise bekannt war: seinem ausgeprägten Antisemitismus, seinen rechtsradikalen Überzeugungen, seiner Nähe zu den Nazis und deren innerem Zirkel.

dokumentation Martin A. Klaus, der sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Leben des Autors beschäftigt, ist aufgrund seiner Recherchen davon überzeugt, dass sich Ludwig Thoma und Adolf Hitler auch persönlich kannten. »Auch wenn keine Begegnung dokumentiert ist, kann man davon ausgehen, dass es so war.« Der Autor der Biografie spricht damit die enge Bekanntschaft Thomas mit dem Schriftsteller Dietrich Eckart an, der ein wichtiger Förderer Hitlers und Wegbereiter des Nationalsozialismus war. »Eckart war es, der Hitler in der Nachkriegszeit in die Münchner Gesellschaft einführte und überall herumreichte«, erklärt Klaus. »Und Eckart war mit Thoma befreundet, spielte sogar regelmäßig mit ihm in einer Kartelrunde. Natürlich hat er Hitler auch mit Thoma bekannt gemacht.«

Doch selbst ohne historisch dokumentiertes Zusammentreffen sprechen die letzten 14 Monate im Leben Thomas, der im August 1921 in seinem Haus am Tegernsee als vermögender Mann starb, eine klare Sprache. In dieser Zeit hat Ludwig Thoma für den Miesbacher Anzeiger nahezu 200 Beiträge verfasst, in denen er gegen die Regierung in Berlin, gegen die Sozialdemokratie und Juden auf bösartigste Weise hetzte.

Jahre zuvor, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, galt Thoma, zunächst als Autor, dann als Chefredakteur der in München erscheinenden satirischen Wochenzeitung »Simplicissimus« als linksliberal, weit entfernt von rechter Politik. Seine Werke, die er in dieser Zeit in schneller Abfolge schrieb und die seine damalige Einstellung widerspiegeln, wurden ein Riesenerfolg. Nach seinem Tod wurden sie fürs Kino, Fernsehen und Radio verfilmt und vertont, aber auch in zahlreichen Theatern in Bayern auf die Bühne gebracht: Die Lausbubengeschichten (1905) etwa, Tante Frieda (1907), Der Münchner im Himmel (1911) oder Jozef Filsers Briefwexel (1912). Diese Werke sind es, die die Öffentlichkeit mit Ludwig Thoma bis heute in Verbindung bringt.

Wie tief die Spuren sind, die der seit fast 100 Jahren tote bayerische Dichterfürst dadurch hinterlassen hat, sind allgegenwärtig. Es gibt zahlreiche Plätze, Straßen und Schulen in Bayern, die nach ihm benannt wurden. Sein Geburtshaus in Oberammergau, in dem mit einer Schau an sein Jubiläum erinnert werden soll, ist ein Touristenziel. In Rottach-Egern, wo er auf dem Friedhof begraben liegt, ist im Kurpark eine Skulptur von ihm zu finden, und in Berchtesgaden trägt ein Bier seinen Namen. Nicht nur in diesen Orten ist Ludwig Thoma bis heute ein Säulenheiliger.

ruhmeshalle Bezogen auf die hohe schriftstellerische Qualität des Heimatdichters kann selbst Biograf Martin A. Klaus den Jubel der Thoma-Fans anlässlich des 150. Geburtstages verstehen: »Das ist keine Frage. Bei der Bewertung seiner Persönlichkeit muss man allerdings auch die andere Seite des Ludwig Thoma sehen, seinen Antisemitismus und sein rechtsextremes Gedankengut. Das wollte und will man nicht sehen, so wie in vielen anderen Fällen auch.«

Auch die Stadt München nahm die dunkle Seite des Erfolgsautors Thoma viele Jahrzehnte lang nicht wahr. Stattdessen würdigte sie Vertreter der schreibenden und publizierenden Zunft regelmäßig mit der Ludwig-Thoma-Medaille. Erst zu Beginn der 90er-Jahre, als unter anderem der bereits ausgezeichnete Kabarettist Dieter Hildebrandt die Medaille mit Hinweis auf die antisemitischen Veröffentlichungen Thomas zurückgab, reagierte die Stadt und stellte die Verleihung – ohne Kommentar – ein. Öffentlich diskutiert wurde das Thema nicht. War das Thema zu heikel, zu unangenehm?

König Ludwig I. hat vor rund 170 Jahren in München die Bavaria und die zum Ensemble gehörende Ruhmeshalle errichten lassen. Mit der Aufstellung lebensechter Büsten bayerischer Persönlichkeiten ehrte er Bayern, die sich um Land, Wissenschaft oder Kunst verdient gemacht hatten. Diese Tradition wurde über all die Jahre bis in die heutige Zeit aufrechterhalten. Erst vor ein paar Jahren hat der zuständige Ministerrat grünes Licht für ein paar weitere Büsten ehrenvoller Bayern gegeben. Ludwig Thoma hat dort schon seit Jahrzehnten seinen Platz. Thoma-Biograf Klaus stellt sich die Frage, ob das sein muss. »Darüber diskutieren«, fordert er, »sollte man auf jeden Fall.«

Diskussionsbedarf im Umgang mit der Form des Andenkens an Ludwig Thoma könnte sich nach der Buchveröffentlichung auch in Dachau ergeben, einem zentralen Erinnerungsort für die Verbrechen der Nazis: Im gleichen Ort, in dem das erste Konzentrationslager und der Prototyp für alle weiteren errichtet wurde, in dem Zehntausende Menschen ermordet und noch mehr gequält wurden, gibt es einen nach dem Dichter benannten Platz, bis vor Kurzem noch eine Ludwig-Thoma-Schule sowie auch ein Ludwig-Thoma-Festbier.

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