Darmstadt

Mit Herz und Bauchgefühl

Hawdala beim Darmstädter Schabbaton Foto: Rafael Herlich

Aus den sozialen Netzwerken sind sie nicht mehr wegzudenken. Influencer erreichen viele und zumeist junge Menschen. Ihren Einfluss nutzen sie zur Selbstdarstellung, manchmal aber auch, wie etwa der YouTuber Rezo, für politische Statements. Oft verbreiten sie bezahlte Werbebotschaften. Der Darmstädter Schabbaton widmete sich in diesem Jahr jüdischen Influencern.

Das von der Jüdischen Gemeinde Darmstadt in Kooperation mit dem Verband Jüdischer Studierender in Hessen und dem »Achtzehnplus«-Programm der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) ausgerichtete Format fand zum zweiten Mal statt.

»Jüdische Jugendliche und junge Erwachsene kommen an einem Ort zusammen, feiern gemeinsam in einer vollen Synagoge den Schabbat, verbringen Zeit miteinander, lernen bei Workshops und feiern zusammen eine große jüdische Party im Anschluss an den Schabbat«, beschreibt Organisator Alexander Stoler das vielfältige Programm.

Teilnehmer Rund 80 Teilnehmer im Alter von 18 bis 35 Jahren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen am vergangenen Wochenende nach Darmstadt. Am Freitagabend begann der Schabbaton mit einem gemeinsamen Kabbalat Schabbat in der Synagoge. Im Anschluss an Kiddusch und Abendessen stand Gemeinderabbiner Jehoschua Ahrens den Teilnehmern Rede und Antwort.

»Am Israel Chai«-Gesänge hallten am Samstagmittag durch den Gemeindesaal. Eine kommunikative, gemeinschaftliche Atmosphäre hatte sich unter den Teilnehmern entwickelt. Unter dem Motto »Do you speak influence« erwartete sie ein dichtes Nachmittagsprogramm.

Viktor Dryndak kann inzwischen von seinem Einkommen als Werbebotschafter leben.

In der Synagoge sprach zunächst Viktor Dryndak über seinen Weg zum Influencer. Er wurde in der Ukraine geboren und kam im Alter von elf Jahren nach Deutschland. »Ich war schon immer sportlich«, sagt der durchtrainiert wirkende 29-Jährige. Dryndak spielte Fußball beim TuS Makkabi Frankfurt. Nach zwei Kreuzbandrissen habe er beschlossen, auf Fitnesstraining umzusteigen, erzählt Dryndak.

Vor sechs Jahren begann er, seine Trainingserfolge auf Instagram zu dokumentieren. Inzwischen folgen 146.000 Abonnenten Dryndaks Account. Das ermöglicht ihm, sein Geld teilweise als Werbebotschafter zu verdienen. Im Fitnessstudio Selfies zu machen, sei sein Beruf, scherzt Dryndak.

Der Frage eines Teilnehmers, ob er seine Position für Wohltätigkeit oder politische Botschaften gegen Antisemitismus nutze, wich der Influencer aus: »Bisher noch gar nicht.« Mit antisemitischer Diskriminierung habe er bisher keine Erfahrungen gemacht. Die Frage nach seinen Visionen beantwortete er mit dem Satz: »Persönlich ist für mich Fitness die Nummer eins.«

CHerut Einen politischen Akzent setzte im Anschluss der Londoner Aktivist Harry Saul Markham. Der 19-Jährige leitet die britische Sektion der zionistischen Organisation »Cherut«. Deren Arbeit fuße auf drei Grundsätzen, sagt Markham. Zum einen müsse man sich nicht dafür entschuldigen, Teil der zionistischen Bewegung zu sein.

Die zweite Säule sei die Einigkeit des jüdischen Volkes. »Es ist Zeit für uns, zusammenzukommen«, sagt der extrovertierte und kämpferische Redner. Als dritten Grundsatz benennt Markham das Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Seine Mission formuliert er klar: »Wir versuchen, einen neuen Juden, einen stolzen Juden zu erschaffen.«

Die jüdische Gemeinschaft muss sich stärker für Israel engagieren, sagt Harry Saul Markham.

In Großbritannien sieht Markham eine verbreitete antiisraelische Stimmung. In den dortigen Medien werde der Zionismus mit Kolonialismus gleichgesetzt. Labour-Parteichef Jeremy Corbyn, der Hamas und Hisbollah zu seinen Freunden zähle, könnte bald Premierminister werden. Das jüdische Establishment schweige jedoch, beklagt Markham. Die Unterhauswahl im Dezember werde über die jüdische Zukunft Großbritanniens entscheiden, sagt er. Zum Abschluss seiner Rede plädierte Markham für ein stärkeres Engagement der jüdischen Gemeinschaft für Israel.

Designerin Im Gemeindesaal stellte sich danach die Frankfurter Designerin Yael Ungar den Fragen der Schabbaton-Teilnehmer. Unter dem Label »seven cards« vertreibt die 37-Jährige weltweit eigenhändig gestaltete jüdische Grußkarten. Sie wurde in Israel geboren und kam im Alter von vier Jahren nach Deutschland. »Alle meine Projekte, an denen ich arbeite, haben einen jüdischen Bezug«, bekennt die studierte Innenarchitektin. So arbeitet sie auch als Projektmanagerin für die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt.

Erfolg ist mit viel Disziplin verbunden, sagt Designerin Yael Ungar.

Das Interesse der Teilnehmer für Ungars Erfahrungen als Gründerin war spürbar hoch. Man könne auch als Frau und Mutter erfolgreich selbstständig arbeiten, sagt sie. »Es ist alles machbar«, betont Ungar. Selbstständigkeit bedeute aber auch viel Arbeit. »Das Allerwichtigste ist Selbstdisziplin«, sagt sie – ohne die Mitarbeit und Unterstützung ihrer Familie unerwähnt zu lassen.

Ungar berichtete, wie sie anfangs selbst gebastelte Rosch-Haschana-Karten verschickte. Die Nachfrage sei immer mehr gestiegen. Grußkarten für Barmizwa, Chanukka und weitere Anlässe folgten. Momentan sei ihre »Weihnukka«-Karte ein Bestseller.

Businessplan An ihr Projekt sei sie ohne speziellen Businessplan herangegangen, sagt Ungar, aber »mit Herz und Bauchgefühl«. Für ihr Marketing nutze sie Instagram viel mehr als Facebook. Making-of-Geschichten seien dabei wichtig, sagt Ungar. Überhaupt komme es in sozialen Netzwerken zunehmend auf Bewegtbilder an.

Mit den Schabbaton-Teilnehmern diskutierte Yael Ungar noch einige Zeit über die Vor- und Nachteile von Instagram. Nach einer Pause und einem Abendgebet feierten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer gemeinsamen Hawdala den Beginn der neuen Woche.

 

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