Stuttgart

Mahner und Brückenbauer

Meinhard Tenné sel. A. (1923–2015) Foto: Horst Rudel

Der langjährige Vorstandssprecher und Ehrenvorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), Meinhard Mordechai Tenné, ist tot. Er starb am 29. September nach schwerer Krankheit im Alter von 92 Jahren in Stuttgart. Immer wieder blitzten auch in den letzten Wochen sein starker Wille und seine Verschmitztheit auf. Es trauern um ihn seine Ehefrau Inge, drei Söhne und drei Enkel, ein unzählbarer Freundeskreis von Weggefährten und die Israelitische Religionsgemeinschaft.

Meinhard Mordechai Tenné war ein wichtiger Zeitzeuge und Brückenbauer, der mit kluger Prägnanz und rauem Charme stets für die Gesprächsbereitschaft zwischen den Religionen und Ethnien appellierte. Sein nimmermüdes Werben für den Trialog von Juden, Christen und Muslimen wird gerade in der aktuellen Flüchtlingsdebatte fehlen.

trialog Noch bei seinem letzten öffentlichen Auftritt im Mai dieses Jahres im Stuttgarter Staatsministerium anlässlich der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik erinnerte Meinhard Mordechai Tenné sel. A. daran, dass es zum Trialog keine Alternative gebe. Und als er im Jahre 2013 für sein Lebenswerk vom Bund Deutscher Dialog Institutionen (BDDI) mit dem Deutschen Dialogpreis ausgezeichnet wurde, sagte der damals 90-Jährige: »Wer sein Leben lebenswert leben will, darf sich nicht verschließen wie eine Auster. Er muss sich öffnen, muss sich gegenseitig verstehen lernen und akzeptieren im Bewusstsein, dass wir alle Geschöpfe des Einen sind.«

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, würdigte den Verstorbenen als eine der prägenden Persönlichkeiten der Generation der Schoa-Überlebenden: »Trotz seines schweren Schicksals streckte er die Hand zur Versöhnung aus und setzte sich für eine Verständigung zwischen Juden und Christen ein.« Tenné sei zu einem Brückenbauer geworden: »Er scheute das klare Wort nicht, brachte aber vor allem eine tiefe Gläubigkeit gepaart mit großer Toleranz mit.«

Der Tod von Meinhard Tenné sel. A. sei für die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs sowie für die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland ein herber Verlust, so Schuster. »Wir werden ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.«

biografie Tenné wurde 1923 in Berlin geboren, floh 1938 mit dem Vater vor dem nationalsozialistischen Terrorsystem in die Schweiz. Seine Mutter und die Schwester wurden in Auschwitz ermordet. Durch die Staatsgründung Israels im Jahre 1948 fand der bis dahin heimatlose Tenné in Tel Aviv ein neues Zuhause. In den 60er-Jahren wurde er vom israelischen Tourismusministerium in die Schweiz, später nach Österreich und Deutschland entsandt, wo er 1966 der erste Leiter des israelischen Verkehrsbüros in Frankfurt wurde.

In den 70er-Jahren siedelte er nach Stuttgart über, engagierte sich in der IRGW und warb in den bewegten Jahren der Neuzuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion für ein friedliches Miteinander aller. Was er im Mikrokosmos der örtlichen Gemeinde wollte, strebte er auch in der 600.000 Einwohner zählenden Stadt Stuttgart an, in der Bürger aus 180 Nationen leben.

Mit Gleichgesinnten gründete er den Verein »Haus Abraham« und die Stiftung »Stuttgarter Lehrhaus für interreligiösen Dialog«. Unermüdlich bekannte er sich zu seinem Credo: Der Mensch ist gut, vom Gegenteil muss überzeugt werden. Leise Zweifel an seinem Credo befielen Tenné erst mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft junger Muslime, doch er hoffte zugleich auf die Wirkkräfte einer Politik der Toleranz. Dass das Land Baden-Württemberg, das ihm Heimat wurde, von einem Ministerpräsidenten geführt wird, der Hannah Arendt zu einer Herzensphilosophin gemacht hat, gab Tennés Hoffnung Nahrung.

engagement Für sein langjähriges Engagement wurde Tenné von der Landeshauptstadt Stuttgart, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) und der IRGW mit der Otto-Hirsch-Medaille geehrt. Er war Träger der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse. Tenné wurde auf dem jüdischen Friedhof Stuttgart-Steinhaldenfeld bestattet. Die Jüdische Gemeinde wird am 29. Oktober eine Feier zum Angedenken Tennés ausrichten.

Erinnert werden wird an einen Humanisten, einen Mahner, der gesagt hat: »Wir haben mehr Gemeinsamkeiten, als uns bewusst ist, doch wir sollten nicht versuchen, anderen unseren Glauben überzustülpen. Martin Bubers Übersetzung des Verses 18, Kapitel 19 aus dem 3. Buch Mose lautet: »Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du«.

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