Regensburg

Katholikentag in der Synagoge

Eine Hochzeit ist es nicht, wenn auch ein beliebter Trauspruch über der gemeinsamen Feier von Juden und Christen am Donnerstagabend, 18 Uhr, im Kolpinghaus steht. »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott« (Buch Ruth 1, 16).

Die Feier gilt als Höhepunkt im christlich-jüdischen Dialogprogramm des 99. deutschen Katholikentags, der vom 29. Mai bis 2. Juni eine Reihe gemeinsamer Podien beinhaltet. Landesrabbiner Henry G. Brandt und Karl Kardinal Lehmann werden im Kolpinghaus Grundsatzreferate über das Verhältnis von Christentum und Judentum halten. Der Augsburger Kantor Nikola David umrahmt die Feier mit seinem Gesang. Der ausgebildete Opernsänger stand als lyrischer Tenor auf den Bühnen von Novi Sad, Eisenach, Dessau und Augsburg, ehe er im vergangenen Jahr offiziell als Kantor eingeführt wurde.

Gekrönt wird diese Feier durch eine symbolische Geste. Der emeritierte Landesrabbiner Brandt überreicht dem Vorsitzenden des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Alois Glück, einen Sederteller. Glück übergibt im Gegenzug eine Kerze.

Im Anschluss daran lädt der Katholikentag um 20 Uhr zu einem Empfang in die Jüdische Gemeinde Regensburg. Ilse Danziger erwartet als Vorsitzende der Gemeinde und Hausherrin unter anderen Karl Kardinal Lehmann, den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, Bischof Gebhardt Fürst (Stuttgart), Regensburgs Oberbürgermeister Joachim Wolbergs, Rabbiner Brandt und den Erzbischof von Bombay, Oswald Kardinal Gracias. Der indische Theologe ist Teil des achtköpfigen Kardinalrats, der den Papst bei der Leitung der Weltkirche unterstützt.

GAstgeber Für die Jüdische Gemeinde Regensburg ist es nicht das erste Mal, dass sie als Gastgeber hohe und höchste Vertreter des römischen Klerus empfängt, wie Ilse Danziger bestätigt. »Wir haben im September 2006 den päpstlichen Tross mit Sekretär Erzbischof Georg Gänswein an der Spitze beherbergt, während Benedikt XVI. seinen Bruder Georg, unseren direkten Nachbarn, besuchte.« Bei der Visite des deutschen Papstes in Regensburg hatte die Gemeinde für Gänswein und den päpstlichen Leibarzt Hühnchen mit Gemüse gekocht. Diesmal gibt es kalte Küche wie beim großen Kiddusch, also Fisch, Salate, Challot, Hummus, Wein und Säfte.

Das Verhältnis der Religionen ist nicht einseitig. Der orthodoxe Gemeinderabbiner Josef Bloch ist im Gegenzug Mieter des Kollegiatsstifts St. Johann, bei dem Domkapellmeister Georg Ratzinger seit seiner Emeritierung Kanoniker ist.

Die Jüdische Gemeinde selbst sieht sich seit Jahrzehnten als Brückenbauer zwischen den Religionen. Die Vorstände Hans Rosengold sel. A. , der mit einer Jüdin aus Ortaköy, Istanbul, verheiratet war, und Otto Schwerdt hatten in Regensburg diese Tradition des guten Einvernehmens begründet. Juden und Muslime verstehen sich in der Domstadt. Sie laden im Ramadan Vertreter der jüdischen Gemeinde zum Fastenbrechen ein. Moschee und Synagoge arbeiten in der Organisation »Religionen für den Frieden« zusammen. »Bei uns läuft es gut. Wir können als Gemeinde als Beispiel für andere dienen«, meint Danziger selbstbewusst.

Die Gemeindevorsitzende nutzt den Katholikentag als Bühne. »Seit Jahrzehnten verstehen sich die Religionen in Regensburg untereinander prächtig. Gut, dass das auch einmal einer breiteren Öffentlichkeit dargestellt wird. Es ist ein Impuls aus Regensburg, vielleicht wird er andernorts aufgegriffen.« Ilse Danziger hegt andererseits auch die Erwartung, »dass wir in unseren Anliegen besser wahrgenommen werden«. Die Gemeinde platzt aus allen Nähten.

Die in der Pogromnacht 1938 zerstörte Jugendstil-Synagoge wurde nicht wieder aufgebaut. Die Gemeinde betet im Saal, der in den 60er-Jahren errichtet wurde. Ilse Danziger wird deswegen den Empfang im Gemeindessaal am Brixner Hof auch nutzen, um in ihrer Begrüßungsrede auf die Raumsituation der über 1000 Mitglieder zählenden Gemeinde hinzuweisen. »Ein Empfang für 100 Menschen wie beim Katholikentag bringt uns schon an den Rand unserer Kapazität.« Danziger ist den Veranstaltern des 99. Deutschen Katholikentags dankbar, »dass wir unsere eigenen Themen selbst darstellen können. Normalerweise referieren ja bei solchen Anlässen immer andere über uns, die sich das angelesen haben.«

Kompetenz Die Besucher des Katholikentags haben kompetente Gesprächspartner. Unter dem Motto »Frag den Rabbiner!« steht Josef Bloch Rede und Antwort. »Ein Palast in der Zeit«, heißt der Vortrag, in dem David Martin Kurz vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern über die Bedeutung des Schabbats sprechen wird. Die Feste des jüdischen Volkes werden »im Klang ihrer Gebete« vorgestellt. Kein Thema des Judentums bleibt unberücksichtigt. Die Podien und Vorträge finden in einem extra ausgewiesenen Lehrhaus nahe der Synagoge statt. Dort wird auch Ilse Danziger selbst sprechen. »Einen neuen Anfang wagen«, ist ihr Vortrag überschrieben. Es geht über den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Bayern.

Die Ausstellung »Im Wartesaal Deutschland« über Mendl Man und die jiddische DP-Zeitung »Der nayer Moment« beleuchtet Regensburgs Rolle für das Judentum nach dem Krieg. Bis einschließlich Freitag werden stündlich Führungen: durch die Synagoge, das jüdische Regensburg (Martin David Kurz) sowie eine Stolpersteinführung von Rainer Ehm angeboten. Gleich der erste Rundgang am Donnerstag um 14 Uhr baut eine Brücke zu allen drei Religionen: Er startet an der Synagoge, geht zur Moschee und endet in der Kirche.

Die Regensburger Gemeinde
Eine jüdische Gemeinde existiert in Regensburg mindestens seit dem 10. Jahrhundert innerhalb der Mauern des alten Römerlagers Castra Regina. Im 11. Jahrhundert erreichte die Gemeinde ihre erste Blütezeit. 1195/96 kam Rabbi Jehuda ben Samuel he-hasid (»Jehuda der Fromme«) nach Regensburg und gründete eine berühmte Talmudschule. Regensburg war für einige Jahre Zentrum jüdischer Theologie. 1519 wurden die Juden aus der reichsfreien Stadt vertrieben. Zwischen 1861 und 1871 wuchs die Gemeinde auf 430 Mitglieder an. Unter Rabbiner Dr. Seligmann-Mayer wurde 1912 eine große Synagoge gebaut, mit Gemeindehaus, Betsaal und Schule, die in der Pogromnacht 1938 in Flammen aufging. Die Namen Hans Rosengold und Otto Schwerdt stehen für den Neubeginn nach 1945. Durch die Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist die Gemeinde mittlerweile auf über 1000 Mitglieder angewachsen.

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