Kommunikation, Respekt und Achtsamkeit: Diese Grundsätze werden auf der Webseite des »Runden Tisches Frieden« in Chorweiler prominent hervorgehoben. Seit 2014 arbeiten die im Kölner Norden vertretenen Religionsgemeinschaften zusammen, um Spannungen abzubauen und für ein friedliches Miteinander zu werben. In dem Stadtteil leben viele Zuwanderer. Vor zehn Jahren wurde in Chorweiler eine »Friedensglocke« gegossen, die mittlerweile am zentralen Pariser Platz hängt und einmal im Monat geläutet wird, nämlich dann, wenn der »Chorweiler Abendfrieden« stattfindet.
Vertreter verschiedenster Konfessionen sind Teil des Runden Tisches. Auch die Synagogen-Gemeinde Köln (SGK), die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen und eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland, war ebenfalls mit von der Partie. Sie unterhält seit rund 20 Jahren in Chorweiler ein von der Katholischen Kirche übernommenes Begegnungszentrum, denn in dem Stadtteil leben viele jüdische Zuwanderer.
Doch seit gestern gehört die Synagogen-Gemeinde nicht mehr zu den Mitgliedern des Runden Tisches. Auslöser für den Rückzug war ein Eklat, der mit dem geplanten Besuchs von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst beim »Abendfrieden« in Zusammenhang steht. Weil Köln gerade mitten im Kommunalwahlkampf steht, wollte der CDU-Landeschef am Montag nach Chorweiler kommen und auch dem Runden Tisch seine Aufwartung machen.

Doch hinter den Kulissen brodelte es offenbar aus ganz anderen Gründen. Hendrik Wüst stehe »für eine bedingungslose Unterstützung Israels, eines Staates, der im Gazastreifen Völkermord und Apartheid begeht«, stand in einer Zuschrift an das Bürgerzentrum in Chorweiler. Deshalb sei die an ihn ausgesprochene Einladung zum »Abendfrieden« ein »Skandal«. Es werde in Chorweiler eine Demonstration gegen Wüst geben, falls der Ministerpräsident es wagen sollte, dennoch zu kommen, so eine weitere Zuschrift. Wer dahinter steckte, wollte das Bürgerzentrum aus Datenschutzgründen nicht verraten.
Am Ende stattete der CDU-Politiker gemeinsam mit dem Kölner CDU-OB-Kandidat Markus Greitemann dem Begegnungszentrum der Synagogen-Gemeinde in Chorweiler einen 45-minütigen Besuch ab. Man habe über Antisemitismus und Israel gesprochen, sagte SGK-Vorstand Abraham Lehrer der Jüdischen Allgemeinen, im Vorfeld aber klargemacht, dass die Visite kein Wahlkampfauftritt sein dürfe.
Wüst hatte vorsichtshalber seinen Auftritt beim »Abendfrieden« abgesagt, offenbar, um kein Öl ins Feuer zu gießen. Das städtische Bürgerzentrum in Chorweiler und weitere Mitglieder des Runden Tisches hatten die Verschiebung der Visite angeregt, nachdem einige Bürger Protest eingelegt hatten.
Für die jüdischen Vertreter war damit aber das Tischtuch zerschnitten; sie traten vom Runden Tisch zurück. »Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass sich die Initiative in jüngster Zeit Gruppierungen mit deutlich pro-palästinensischer Ausrichtung gebeugt hat«, so die Synagogen-Gemeinde am Dienstag in einer Erklärung. Ein weiteres Engagement in der Initiative sei nicht in Einklang mit den eigenen Werten und Grundsätzen zu bringen.
Man fühle sich regelrecht »im Stich gelassen« von den beteiligten christlichen Gemeinden und muslimischen Verbänden, sagte SGK-Vorstand Abraham Lehrer, der auch Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, dieser Zeitung. Am Donnerstag habe man eine Mail geschickt an die anderen örtlichen Vertreter des Runden Tisches und gebeten, nicht einzuknicken und den Wüst-Besuch nicht abzusagen. Darauf habe es keinerlei Reaktion seitens der Kirchen oder der muslimischen Vertreter gegeben. Nur einige Privatleute hätten sich solidarisch gezeigt mit der jüdischen Seite, so Lehrer. »Die haben sich positioniert. Die haben gesagt, ›Das kann man nicht so machen, man muss mit der jüdischen Gemeinschaft reden.‹ Aber das waren die Einzigen.«
Erst am Dienstag, anlässlich einer Pressekonferenz, bei der der Austritt aus dem Runden Tisch verkündet wurde, sei eine Vertreterin des Bürgerzentrums auf die Vertreter der SGK zugekommen und habe sie gebeten, den Austritt nochmals zu überdenken, so Lehrer. Zu einem Gespräch sei es anschließend aber nicht mehr gekommen.