Köln

»Im Stich gelassen«

Abraham Lehrer Foto: picture alliance/dpa

Kommunikation, Respekt und Achtsamkeit: Diese Grundsätze werden auf der Webseite des »Runden Tisches Frieden« in Chorweiler prominent hervorgehoben. Seit 2014 arbeiten die im Kölner Norden vertretenen Religionsgemeinschaften zusammen, um Spannungen abzubauen und für ein friedliches Miteinander zu werben. In dem Stadtteil leben viele Zuwanderer. Vor zehn Jahren wurde in Chorweiler eine »Friedensglocke« gegossen, die mittlerweile am zentralen Pariser Platz hängt und einmal im Monat geläutet wird, nämlich dann, wenn der »Chorweiler Abendfrieden« stattfindet.

Vertreter verschiedenster Konfessionen sind Teil des Runden Tisches. Auch die Synagogen-Gemeinde Köln (SGK), die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen und eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland, war ebenfalls mit von der Partie. Sie unterhält seit rund 20 Jahren in Chorweiler ein von der Katholischen Kirche übernommenes Begegnungszentrum, denn in dem Stadtteil leben viele jüdische Zuwanderer.

Doch seit gestern gehört die Synagogen-Gemeinde nicht mehr zu den Mitgliedern des Runden Tisches. Auslöser für den Rückzug war ein Eklat, der mit dem geplanten Besuchs von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst beim »Abendfrieden« in Zusammenhang steht. Weil Köln gerade mitten im Kommunalwahlkampf steht, wollte der CDU-Landeschef am Montag nach Chorweiler kommen und auch dem Runden Tisch seine Aufwartung machen.

Chorweiler ist ein Stadtteil im Kölner Norden, der einen hohen Anteil an Zuwanderern hat, auch jüdischenFoto: picture alliance / ZB/euroluftbild.de

Doch hinter den Kulissen brodelte es offenbar aus ganz anderen Gründen. Hendrik Wüst stehe »für eine bedingungslose Unterstützung Israels, eines Staates, der im Gazastreifen Völkermord und Apartheid begeht«, stand in einer Zuschrift an das Bürgerzentrum in Chorweiler. Deshalb sei die an ihn ausgesprochene Einladung zum »Abendfrieden« ein »Skandal«. Es werde in Chorweiler eine Demonstration gegen Wüst geben, falls der Ministerpräsident es wagen sollte, dennoch zu kommen, so eine weitere Zuschrift. Wer dahinter steckte, wollte das Bürgerzentrum aus Datenschutzgründen nicht verraten.

Am Ende stattete der CDU-Politiker gemeinsam mit dem Kölner CDU-OB-Kandidat Markus Greitemann dem Begegnungszentrum der Synagogen-Gemeinde in Chorweiler einen 45-minütigen Besuch ab. Man habe über Antisemitismus und Israel gesprochen, sagte SGK-Vorstand Abraham Lehrer der Jüdischen Allgemeinen, im Vorfeld aber klargemacht, dass die Visite kein Wahlkampfauftritt sein dürfe.

Wüst hatte vorsichtshalber seinen Auftritt beim »Abendfrieden« abgesagt, offenbar, um kein Öl ins Feuer zu gießen. Das städtische Bürgerzentrum in Chorweiler und weitere Mitglieder des Runden Tisches hatten die Verschiebung der Visite angeregt, nachdem einige Bürger Protest eingelegt hatten.

Für die jüdischen Vertreter war damit aber das Tischtuch zerschnitten; sie traten vom Runden Tisch zurück. »Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass sich die Initiative in jüngster Zeit Gruppierungen mit deutlich pro-palästinensischer Ausrichtung gebeugt hat«, so die Synagogen-Gemeinde am Dienstag in einer Erklärung. Ein weiteres Engagement in der Initiative sei nicht in Einklang mit den eigenen Werten und Grundsätzen zu bringen.

Man fühle sich regelrecht »im Stich gelassen« von den beteiligten christlichen Gemeinden und muslimischen Verbänden, sagte SGK-Vorstand Abraham Lehrer, der auch Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist, dieser Zeitung. Am Donnerstag habe man eine Mail geschickt an die anderen örtlichen Vertreter des Runden Tisches und gebeten, nicht einzuknicken und den Wüst-Besuch nicht abzusagen. Darauf habe es keinerlei Reaktion seitens der Kirchen oder der muslimischen Vertreter gegeben. Nur einige Privatleute hätten sich solidarisch gezeigt mit der jüdischen Seite, so Lehrer. »Die haben sich positioniert. Die haben gesagt, ›Das kann man nicht so machen, man muss mit der jüdischen Gemeinschaft reden.‹ Aber das waren die Einzigen.«

Erst am Dienstag, anlässlich einer Pressekonferenz, bei der der Austritt aus dem Runden Tisch verkündet wurde, sei eine Vertreterin des Bürgerzentrums auf die Vertreter der SGK zugekommen und habe sie gebeten, den Austritt nochmals zu überdenken, so Lehrer. Zu einem Gespräch sei es anschließend aber nicht mehr gekommen.

Darmstadt

Jüdische Kulturwochen: Großer Andrang bei Eröffnung

Das Programm schließt den Extremismusforscher Ahmad Mansour mit ein

von Imanuel Marcus  03.09.2025

Interview

Zusammenlegung von jüdischen Gemeinden »schmerzlich«, aber denkbar

Zu wenig engagierter Nachwuchs und mögliche Zusammenschlüsse von jüdischen Gemeinden - so sieht die Lage laut Zentralrat der Juden derzeit aus. Präsident Schuster äußert sich auch zur Rabbinerausbildung in Potsdam

von Leticia Witte  17.07.2025

Frankfurt am Main

Jüdische Gemeinde sagt »Resonanzräume«-Festival ab

Grund ist die »die aktuelle Eskalation der Situation zwischen Israel und dem Iran«, so die Kulturabteilung

 17.06.2025

München

Brandanschlag von 1970: Staatsanwaltschaft ermittelt wieder

Sieben Menschen starben beim Anschlag auf das IKG-Gemeindezentrum am 13. Februar 1970. Nun gibt es eine neue Spur und neue Ermittlungen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert