Konstanz

Fest der Freiheit

Die Torarollen werden vom Betsaal in die neue Synagoge hinübergetragen. Foto: dpa

Es war ein großer Tag in Konstanz. Und das nicht nur für die Synagogengemeinde, sondern für die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Im Beisein des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wurde die neue Synagoge im Zentrum der Bodensee-Metropole Konstanz am Sonntag feierlich eröffnet. Torarollen wurden aus dem bis jetzt benutzten privaten Betsaal in das neue Gotteshaus hinübergetragen. Gemeindemitglieder und Rabbiner tanzten mit ihnen auf der Straße.

Einen Tag des Aufbruchs und der Erinnerung nannte denn auch Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Eröffnung, der noch viele folgen mögen, so Lehrers Wunsch. Der Bau des neuen Gotteshauses zeuge von dem Willen, »hier in Konstanz jüdische Zukunft zu gestalten«. Die jüdische Gemeinschaft friste heute nicht irgendwo im Hinterhof ihr Dasein, sondern inmitten dieser Gesellschaft, betonte Lehrer.

halle Aus dieser lasse man sich auch durch solche Anschläge wie in Halle nicht vertreiben. »Wir weichen nicht zurück«, sagte Lehrer. Furchtbar überrascht habe der Anschlag nicht, denn schon seit Jahren warne der Zentralrat vor dem Erstarken des Antisemitismus, »ob er religiös motiviert ist, ob er von rechts, links oder aus der Mitte der Gesellschaft kommt«.

Die Inneneinrichtung wurde im Kibbuz Lavi entworfen.

Lange hätten die Behörden weggeschaut, jetzt müssten sie gemeinsam mit dem Staat und den Bildungseinrichtungen sowie der Zivilgesellschaft den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus zu ihrer zentralen Aufgabe machen.

»Wir Juden werden dieses Land nicht verlassen«, betonte Lehrer, sondern, im Gegenteil, »unseren Platz in der Mitte dieser Gesellschaft behaupten«. Religionsfreiheit spielte in der Weimarer Verfassung und spielt heute eine wichtige Rolle in unserer Verfassung, sie ist ein zentraler Bestandteil unserer Demokratie«, sagte Lehrer.

Null-Toleranz-Haltung Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden, begrüßte die mehr als 200 Gäste. Er sagte, dass die Synagoge eine Heimat für Juden unterschiedlicher Richtungen werden solle und daher über zwei Gebetsräume verfüge. Suliman mahnte außerdem, die Eröffnung finde in schweren Zeiten statt, und rief zu einer »Null-Toleranz-Haltung« gegen Ausgrenzung und Bedrohung auf.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann überbrachte die Glückwünsche der Landesregierung. Er bezeichnete den Tag als Feier der Freiheit jüdischen Lebens und demokratischer Grundrechte. Den Jüdinnen und Juden seines Landes sicherte der Ministerpräsident unbedingten Schutz zu.

Der mehrstöckige Bau, dessen Inneneinrichtung im Kibbuz Lavi entworfen wurde, ist ein lichtdurchfluteter Raum mit dem Aron Hakodesch im Zentrum. Dieser wurde teilweise auch von den Kindern der Gemeinde gestaltet. Für den Vorstandsvorsitzenden Benjamin Nissenbaum, einen gebürtigen Konstanzer, der dort auch zur Schule ging und sein Leben in der Stadt verbringt, ist dies ein großer Moment.

»Wir sind sehr stolz, ihn erleben zu dürfen.« Der 66-jährige Nissenbaum spielt damit auch auf die lange Entstehungsgeschichte der neuen Synagoge an, die beinahe eine Leidensgeschichte geworden wäre.

Die alte Privatsynagoge war auf Dauer zu klein geworden.

Denn die kleine Synagoge, die bis jetzt benutzt wurde und ganz in der Nähe des Neubaus liegt, ist im Laufe der Jahre zu klein geworden. »An den Feiertagen standen die Menschen oft bis auf den Gang«, erinnert sich Nissenbaum. Dabei ist seine emotionale Bindung an dieses Gotteshaus groß, denn es war in den 60er-Jahren von seinen Eltern, Schoa-Überlebenden, gegründet und auch betrieben worden. »Ich erinnere mich noch an die ersten Sederabende hier«, erzählt Nissenbaum. Auf Holzbänken und -stühlen habe man damals Pessach gefeiert.

Grundstück Doch schließlich entschied man sich nach langem Nachdenken dann doch 2003 für einen Neubau – die Suche nach einem geeigneten Grundstück begann. Fündig wurde man nahe dem ehemaligen Gasthof »Anker«, der allerdings unter Denkmalschutz stand. Im Laufe der Bauarbeiten kamen dann historische Wandmalereien zum Vorschein, die nun in das Grundstück mit eingebaut wurden.

Dieses befindet sich in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Synagoge, die wie viele Gotteshäuser in Deutschland in der Pogromnacht von 1938 zerstört worden war. 1940 wurden viele Jüdinnen und Juden, die nicht in die Schweiz oder andere Länder flüchten konnten, ins KZ Gurs in Frankreich deportiert und ermordet. An sie erinnert heute eine Stele in der Nähe der neuen Synagoge.

Vor dem Neubau galt es zunächst noch einen internen Streit zu beenden. Zeitweise gab es in der Stadt nämlich zwei jüdische Gemeinden, eine orthodoxe und eine liberale. Erst als sich unter dem Druck des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (IRG) die beiden Gemeinden wieder vereinigten, war der Weg frei.

2016 erfolgte der Spatenstich, die Stadt Konstanz stellte das Grundstück zur Verfügung. Ursprünglich waren 3,1 Millionen Euro Baukosten geplant, nun liegt man bei etwas über fünf Millionen.

Die neue Synagoge ist nach orthodoxem Ritus gestaltet: Die Männer sitzen unten, die Frauen auf der Empore. »Die neue Synagoge soll aber ausdrücklich ein Haus für alle jüdischen Konstanzerinnen und Konstanzer sein«, betont Nissenbaum.

Das Haus soll liberalen und orthodoxen Betern offenstehen.

Ebenso gibt es zwei getrennte Küchen, für milchig und fleischig. Das Haus verfügt auch über einen Schabbatlift und eine Mikwe. Ein koscheres Restaurant war ursprünglich geplant, doch habe man die Bewilligung dafür nicht erhalten, bedauert Benjamin Nissenbaum. Schließlich kommen vor allem im Sommer sehr viele Touristen aus den USA, aber auch Israel und anderen Ländern an den Bodensee. »Wir hätten hier gerne ein Angebot gemacht«, betont der Vorstandsvorsitzende.

Aufenthaltsraum Immerhin verfügt man jetzt über einen Aufenthaltsraum, in dem sich die Gemeindemitglieder treffen können, das habe in der vorigen Synagoge gefehlt. Eine Zeit lang verfügte die Gemeinde über einen Koscherladen, der die Funktion einer Begegnungsstätte hatte, sagt er, doch habe man ihn wieder schließen müssen.

Die Zeremonie am Sonntag leitete Landesrabbiner Moshe Flomenmann aus Lörrach, da die Synagogengemeinde Konstanz derzeit keinen eigenen Rabbiner hat. Doch sei man mit einem Kandidaten im Gespräch, sagt Benjamin Nissenbaum. Er sei zuversichtlich, dass man mit ihm bald zum Abschluss komme.

Die Synagoge in Konstanz ist die erste, die nach dem Anschlag von Halle eröffnet wurde, und entsprechend streng waren die Sicherheitsmaßnahmen. Eine Polizeistreife bewacht das Haus rund um die Uhr, außerdem gibt es eine Sicherheitsschleuse. »Natürlich macht uns das traurig, dass so etwas überhaupt notwendig ist«, sagt Nissenbau.

Dennoch wolle man nicht auf Synagogenführungen und den Austausch mit den Menschen in der Stadt und der Umgebung verzichten. »Es soll ein Haus der Begegnung sein.« Und was den neuen Antisemitismus in Deutschland betreffe, von dem nun so viel die Rede sei, ist der 66-Jährige absolut überzeugt: »Dieser muss auch mit der Erziehung in den Schulen bekämpft werden.« Am 17. November lädt die Gemeinde zum Tag der offenen Tür ein.

Mitarbeit: Theresa Jäckh

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