München

»Es ist immer da«

Die Journalistin Andrea von Treuenfeld sprach mit Kindern von Zeitzeugen über das Schicksal der Eltern

von Helmut Reister  18.12.2017 17:27 Uhr

Rachel Salamander, Martin Moszkowicz und Nina Ruge (v.l.) Foto: Sharon Bruck

Die Journalistin Andrea von Treuenfeld sprach mit Kindern von Zeitzeugen über das Schicksal der Eltern

von Helmut Reister  18.12.2017 17:27 Uhr

Welche Erfahrungen machten die Kinder jener Menschen, die den Holocaust überlebten? Wie prägend waren die Erinnerungen der Eltern an Flucht, Konzentrationslager und die ermordete Familie? Wie war es für sie, in einem Land aufzuwachsen, das nur wenige Jahre zuvor ihre jüdische Familie auslöschen wollte?

Die Autorin Andrea von Treuenfeld hat diese Fragen prominenten Kindern von Holocaust-Überlebenden gestellt und das Ergebnis in ihrem Buch Erben des Holocaust. Leben zwischen Schweigen und Erinnerung (Gütersloher Verlagshaus) aufgeschrieben. Mit drei der im Buch vorkommenden Protagonisten – der Publizistin Rachel Salamander, der TV-Moderatorin Nina Ruge und dem Filmproduzenten Martin Moszkowicz – stieg die Autorin bei einer Veranstaltung der IKG-Kulturabteilung im Gemeindezentrum tief in die Geschichte ein. Danach war klar: Obwohl sie ihn nicht selbst erlebt haben, ist der Holocaust ein wesentliches Element ihrer Biografie.

Kafka Rachel Salamander, die nicht nur wegen ihrer inzwischen acht Literaturhandlungen eine Ausnahmestellung bei der Vermittlung jüdischer Kultur einnimmt, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit im »Föhrenwald«, einem DP-Lager vor den Toren Münchens. »Niemandsland« sei es gewesen, erinnert sie sich.

In der Gesprächsrunde bezieht sie sich auf Kafka, der in einem Brief geschrieben hatte, dass er sich alles aneignen müsse, was andere Leute ganz selbstverständlich haben: eine Gegenwart, eine Zukunft und sogar eine Vergangenheit. Rachel Salamander sprach von einem sehr schwierigen, nie zu Ende gehenden Prozess. »Ich bin auch heute noch nicht richtig angekommen, ich fühle mich immer noch als Lernende. Es ist immer da«, erklärte sie den Gästen im Gemeindezentrum.

Von schwierigen Lernprozessen berichtete auch TV-Moderatorin Nina Ruge, die erst als Erwachsene vom jüdischen Teil ihrer Familiengeschichte erfuhr, weil vor allem in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten das System der Verdrängung gesellschaftlicher Standard gewesen sei. Was Nina Ruge aber auch klar wurde: »Ich spürte, dass mein Vater einen Preis bezahlt hatte für dieses Verdrängen. Er hat sämtliche Emotionen, die verbunden waren mit dem, was er erlebt hatte, abgespalten.« Für sie selbst habe das auch bedeutet, kein Urvertrauen erfahren zu haben. Das habe sie erst nach einem langen Lernprozess entwickeln können.

Auschwitz Der Vater des Filmproduzenten Martin Moskowicz hat Auschwitz und den Todesmarsch überlebt; dessen Mutter und alle sechs Geschwister wurden umgebracht. Nur dem Großvater gelang es, nach Südamerika zu fliehen. Im Gespräch im Gemeindezentrum verriet der Filmemacher und Kommunikationswissenschaftler, warum er noch nie in Auschwitz war. »Der Ort«, sagte er, »gibt mir nichts, ich brauche das nicht. Aber nicht, weil ich Angst habe, sondern weil es ein Ort des Schreckens ist – und auch ein Ort, der in der Vergangenheit liegt. Ich blicke lieber nach vorne, wenn es nur irgendwie geht.«

Welche Emotionen das Thema freisetzt, wurde an dem Abend im Gemeindezentrum deutlich – und sie durchziehen auch das ganze Buch. Dazu tragen weitere bekannte Persönlichkeiten bei, etwa der Fußballkommentator Marcel Reif, der Schauspieler und Fernsehmoderator Ilja Richter oder Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. hr

Sachsen

Zahlreiche Spenden für Rettung von Synagogen-Relikt

Baumaßnahmen für die Sicherung des Mauerrests sollen im kommenden Frühjahr beginnen

 09.07.2024

Potsdam

Neues Synagogenzentrum vor Einweihung

Zu dem Festakt wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet

 04.06.2024

Berlin

Mehrere Hundert Menschen bei bunter Lag-BaOmer-Parade

Rabbiner Yehuda Teichtal: Starkes Zeichen für fried- und respektvolles Miteinander

 27.05.2024

Boris Schulman

Dieses Jahr ist Jom Haschoa anders

Zum Tag des Gedenkens an die Schoah reflektiert unser Autor die Bedeutung des Heimatbegriffs in Bezug auf Deutschland und Israel

von Boris Schulman  07.05.2024

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Erste Hinweise auf Tatverdächtigen

Für Hinweise, die zur Tataufklärung führen, ist eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgesetzt

 06.05.2024

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Hannover

Tränen des Glücks

Auf der Damentoilette gibt es eine Schminkorgie, während Backstage auch mal die Gefühle durchgehen. Aber »je näher der Abend, desto geringer die Aufregung«

von Sophie Albers Ben Chamo  31.03.2024

Hannover

»Alle sollen uns hören und sehen!«

Tag zwei der Jewrovision beweist, dass immer noch mehr Energie möglich ist. Nach Workshops und Super-Hawdala geht es zur Kirmes und auf die Zielgerade zur Generalprobe am Sonntagvormittag

von Sophie Albers Ben Chamo  30.03.2024