Berlin

Es geht um die Wurst

Itay Grinfeld hat einen Berliner Reiseführer unter seinen Arm geklemmt und steht vor dem Eingang der Synagoge Joachimstaler Straße. »Hier müsste es sein«, stellt seine Freundin Yael nach einem prüfenden Blick auf die Hausnummer fest. Die beiden israelischen Touristen klappern derzeit die Sehenswürdigkeiten Berlins ab und haben zufällig im Internet vom neuen koscheren Sommer-Grilltreff der jüdischen Gemeinde erfahren.

Nun wollen die beiden 25-Jährigen es sich schmecken lassen. Gespannt schauen sie auf den Hof der Synagoge und setzen sich schließlich an einen Tisch. Als Erstes bestellen sie eine Suppe – auf Hebräisch, ganz wie zu Hause. Violetta Lenhardt, die für den Service zuständig ist, ruft die Bestellung ihrem Mann Wolfgang zu, der seinen Arbeitsplatz zwischen den zwei großen Grills hat.

gründung Gegenüber von Itay und Yael sitzt der Berliner Simon Saslavski und trinkt eine Cola. Der 67-Jährige ist Beter in der Joachimstaler Straße, besucht den Grilltreff aber nicht wegen des Essens, wie er erklärt: »Es schmeckt sehr gut hier, aber meine Frau ist eine gute Köchin, deshalb esse ich fast immer zu Hause.« Wie manch anderer ist Saslavski zum Grill gekommen, um sich mit anderen Gemeindemitgliedern bei einem Getränk zu unterhalten.

Ins Leben gerufen wurde der Grill Anfang August. »Bisher kommen überwiegend israelische Touristen«, erklärt Grillmeister Wolfgang Lenhardt. »Rund 15 Gäste essen jeden Tag bei uns.« Die Aufsicht über die Kaschrut hat Rabbiner Yitshak Ehrenberg übernommen. »Wir haben als größte jüdische Gemeinde kein koscheres Gemeinderestaurant mehr«, kritisiert der Rabbiner. »Dabei müsste es doch für koscher lebende Juden so ein Angebot unbedingt geben.«

Als Ehrenberg vor etwa einem Jahr Wolfgang und Violetta Lenhardt kennengelernt hatte, fragte er sie deshalb kurzerhand, ob sie nicht einen Sommergrill organisieren wollten. Mit dem kulinarischen Angebot versucht Ehrenberg, eine Leerstelle zu füllen: Seit fast drei Jahren gibt es keine Küche mehr im ehemaligen Restaurant »It’s Gabriel’s«, vormals »Arche Noah«, im Gemeindehaus an der Fasanenstraße. Wer derzeit koscher essen gehen möchte, der hat nur wenige Möglichkeiten: das Café Bleibergs in der Nürnberger Straße etwa oder das Milo in der Münsterschen Straße. Allerdings werden diese Restaurants nicht von der Gemeinde betrieben.

kontrollen Das Gemeinderestaurant »It’s Gabriel’s« war bekanntlich alles andere als ein Publikumsmagnet. Viele Touristen und Berliner hatten sich von den Sicherheitskontrollen, die am Eingang des Hauses durchgeführt werden, abschrecken lassen. Auch deshalb gibt es nun einen freien Zugang zum Sommergrill. »Es wäre besser, wenn wir vor der Tür an der Straße grillen könnten«, meint allerdings Violetta Lenhardt. Dann würden auch Passanten auf das Angebot aufmerksam werden. Vor dem Gebäude weist bisher noch kein Schild auf den Grilltreff hin.

Violetta Lenhardt hat Wirtschaft studiert und ist eine Quereinsteigerin in der Gastronomiebranche. Ihr Mann Wolfgang hingegen hat in den 60er-Jahren in einem der besten Restaurants Deutschlands, der Gutsschänke Neuhof in Hessen, seine Ausbildung absolviert. Anschließend arbeitete er in der Schweiz und in England und kochte auch für Zwei-Sterne-Restaurants. Wieder in Deutschland lernte er Violetta kennen und lieben – und mit ihr die russische Küche.

Violettas Mutter stammt aus St. Petersburg. In Berlin war sie Inhaberin des Restaurants Iwuschka in der Neuen Kantstraße. Als die heute 83-Jährige in Rente ging, überließ sie das Restaurant ihrer Tochter. Gemeinsam mit ihrem Mann führte sie es unter dem Namen Lenhardts weiter, bis sie sich vor einigen Jahren auf Cateringangebote spezialisierten. In die koschere Küche arbeiteten sie sich vor etwa vier Jahren ein, nachdem sie des Öfteren Aufträge für jüdische Kunden angenommen hatten, die zuvor Stammgäste in ihrem Restaurant gewesen waren.

Kreativität Es sei schon eine Herausforderung, auf Butter und Sahne für eine Soße zu verzichten, findet Wolfgang Lenhardt. »Doch mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und koche jetzt eben anders.« Ob italienisch, asiatisch oder deutsch – mit etwas Kreativität könne man jede Küche koscher kochen, ist er überzeugt.

Bereits am Mittag verarbeitet das Ehepaar für den Sommergrill die Kichererbsen zu Hummus. Dann bereiten sie Tomaten- und Sesamsoßen vor, lassen Suppe und marokkanischen Couscous im Topf ziehen. Währenddessen waschen sie Salat und Gemüse und schneiden alles klein. Anschließend nehmen sie Hähnchenschaschlik, marinierten Lachs, Hähnchenbrust- und Tilapiafilet aus der Kühlung und transportieren alles in Thermobehältern in die Joachimstaler Straße. »Wir müssen viel improvisieren«, bekennt Wolfgang Lenhardt. Die Küche in ihrem Restaurant muss regelmäßig gekaschert werden, viele neue Töpfe mussten sie wegen der Trennung von Milch und Fleisch kaufen.

Was das Ehepaar Lenhardt sich am Ende der Grillsaison wünscht? »Zumindest die Null muss stehen«, findet Wolfgang. Er und seine Frau sind sich darüber im Klaren, dass die Zukunft des Grills ungewiss ist. Wann die aktuelle Grillsaison beendet wird, entscheidet jedoch das Wetter. Solange es einigermaßen warm bleibe, werde er den Grill anzünden, kündigt Wolfgang an. Und Rabbiner Ehrenberg ergänzt: »Das Angebot wird auf jeden Fall koscher-fleischig bleiben.«

Die Lenhardts nicken zustimmend, auch wenn bei ihnen zu Hause nicht koscher gegessen wird. »Aber dort ist ohnehin alles ganz anders als in unserem Grill: Daheim stehe ich am Herd und koche«, erklärt Violetta. »Mein Mann braucht dann nur noch zu essen.«

Öffnungszeiten: Sonntag bis Donnerstag 17.30-21.00 Uhr

www.berlinsynagoge.com/de/koscheres-essen-in-berlin/mehadrin-sommer-grill

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