München

Einmal um die Welt

Das griechische Wort »Diaspora« wie das hebräische »Galut« bedeutet wörtlich »die Wegführung ins Exil«, das Leben in der Zerstreuung, also überall außerhalb Israels. Dieses Motto hat der »European Council of Jewish Communities« nun zum Motto des Europäischen Tages der jüdischen Kultur 2017 erhoben. Er findet seit 18 Jahren statt, und seit der Eröffnung des Jüdischen Gemeindezentrums am Jakobsplatz vor zehn Jahren beteiligt sich die IKG daran.

Man kann Diaspora unterschiedlich interpretieren – geografisch, gesellschaftspolitisch und natürlich auch religiös. Das Programm des IKG-Kulturzentrums spiegelt diese Vielfalt einfallsreich wieder. Zum Europäischen Tag der jüdischen Kultur am Sonntag, 3. September, 17 Uhr, gibt es im Hubert-Burda-Saal ein Konzert der Band »Marcia:Bloom«, in dem die Musik und die Sprache der sefardischen Juden im Zentrum steht, die 1492 aus Spanien und bald auch aus Portugal nach Holland und Süditalien, Griechenland und ins Osmanische Reich vertrieben wurden.

Den Gegensatz zu »Sefarad« bildet »Aschkenas«, wie die Juden Mitteleuropas ihre Heimat nannten, die sie auf der Flucht nach Osten beziehungsweise über den Atlantik in der Selbstbezeichnung Aschkenasim mitnahmen. Aus einer Diaspora kann man in eine andere geraten.

Freundschaft So erging es etwa dem – nichtjüdischen – bayerischen Original Oskar Maria Graf, der sich mit den Autoren der am 10. Mai 1933 verbrannten Werke solidarisierte, und seinem verfolgten Schriftstellerkollegen Richard Friedenthal. Über ihre Freundschaft wird der Münchner Privatgelehrte Dirk Heißerer am Mittwoch, 6. September, 19 Uhr, so unterhaltsam wie kenntnisreich berichten. Und mit dieser Veranstaltung begibt sich das IKG-Kulturzentrum in die Schwabinger Diaspora – genauer gesagt in die Räume von »By Prinzip« an der Münchner Freiheit.

Eine politische Bestandsaufnahme bieten kurz vor der Bundestagswahl Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, der sich zurzeit kritisch mit der deutschen Flüchtlingspolitik auseinandersetzt, und Rafael Seligmann, der mit Deutsch meschugge einen utopischen Roman über die deutsche Parteienlandschaft geschrieben hat, am Mittwoch, 13. September, 19 Uhr, im Jüdischen Gemeindezentrum.

Die Vorstellung von Selma Sipurs Roman Tango in Tel Aviv am zweiten Tag des Oktoberfestes, am 17. September, 18 Uhr, wieder im »By Prinzip«, hat etwas mit Argentinien und Israel, vor allem aber mit dem Antisemitismus in Schweden zu tun, der inzwischen immer mehr Juden zur Alija veranlasst. Eine Odyssee der grausamsten Art, nämlich durch zahlreiche Konzentrationslager, hat Max Mannheimer (1920– 2016) überlebt. Der letzte Film mit ihm, Dachauer Dialoge, wird am 23. September, 21 Uhr, zum ersten Jahrestag seines Todes im Gabriel Filmtheater uraufgeführt.

Australien Weitere Themenabende sind dem Fluchtpunkt »Down Under« gewidmet, wo 17.000 Schoa-Überlebende Aufnahme fanden; andere verschlug es ausgerechnet nach Deutschland, wie am Beispiel der Ex-Föhrenwalder Familie Waks anschaulich erzählt wird. Wiederum andere fanden ihre Heimat und ihr Auskommen in der Musik und im Film, wie aus den Erzählungen rund um Marlene Dietrich und ihre jüdischen Freunde deutlich werden wird, vorgetragen von der Autorin Eva Gesine Baur. Wie es sich für »Vaterjuden in Deutschland« anfühlt, hier aufzuwachsen, erklärt die Soziologin Ruth Zeifert in ihrem gleichnamigen Vortrag.

Andere Widersprüche brechen auf, wenn man – wie Eva Gruberová und Helmut Zeller für ihr aktuelles Buch Taxi am Shabbat – eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas unternimmt. Für Charlotte Knobloch könnte es kaum ein passenderes Thema für den Kulturherbst am Jakobsplatz geben. »Schärft sich doch das Bewusstsein für die eigene Identität in der Diaspora besonders«, stellt Knobloch fest. »Fern einer Heimat, umgeben von einer Mehrheit, die eine andere Religion hat, andere Traditionen pflegt, sind Ab- und Ausgrenzungen deutlicher spürbar. Oft genug schmerzlich.«

Eine Heimat in der Fremde, in München, zu haben und ein »Band zu der spirituellen Heimstätte Israel«, ist kein Widerspruch. Charlotte Knoblochs Wunsch ist, »dass sich bei den Menschen, mit denen wir in unserer Heimat in der Diaspora zusammenleben, die Erkenntnis durchsetzt, dass der vermeintlich ›andere‹ gar nicht so anders ist«.

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