München

Eine Puppenstube für die Gemeinde

Es heißt, dass man bei jedem Umzug ein Stück seines Lebens zurücklässt und damit Platz für Neues schafft. Ingrid Franz, geborene Blattner, kommt insgesamt auf sieben Ortswechsel. Zu den Dingen, die sie nie aufgab, gehörte ihr Puppenstubenmobiliar für Wohnraum und Schlafkammer.

Als Weihnachtsgeschenk hatte die damals Neunjährige 1949 eine große Baby-Puppe und Miniatur-Bauernmöbel im bayerischen Volkskunststil erhalten. Die mit Blumen und rustikalen Motiven bemalten blauen Möbel aus Weichholz stammten aus dem »Volkskunsthaus Wallach«. Moritz Wallach führte es von 1910 bis 1938. Zu den Kunden, die die Trachten, Stoffe und Wohn-Accessoires kauften, zählten alteingesessene Münchner, aber auch Adlige aus dem In- und Ausland, Industrielle und Künstler.

Das Jüdische Museum stellte die Bedeutung der ursprünglich aus Westfalen stammenden jüdischen Familie Wallach in einer 2007 sorgfältig recherchierten Ausstellung vor.

Ausstellung Das Jüdische Museum München stellte die Bedeutung der ursprünglich aus Westfalen stammenden jüdischen Familie Wallach 2007 in einer sorgfältig recherchierten Ausstellung nebst Katalog unter dem Titel Dirndl, Truhen, Edelweiss – Die Volkskunst der Brüder Wallach vor. Im Katalog ist auch das schändliche »Arisierungs«-Verfahren beschrieben, in dem Moritz Wallach am 1. August 1938 dazu gezwungen wurde, die Schlüssel seiner Firma in der Residenzstraße 3 zu übergeben.

Am 11. November 1938 wurde sein Bruder Max, der die 1922 in Dachau gegründete »Wallach Werkstätten AG« und ab 1922 ergänzend eine Stoffdruckerei leitete, aus der Stadt vertrieben und schließlich in Theresienstadt ermordet. Die Flucht gelang seinen Brüdern Karl über Russland und Moritz (1879–1964) per Schiff im März 1939 in die USA.

Im Jahr 1948 kehrte Moritz Wallach zwecks Firmenrückerstattung nach München zurück, was bis Mai 1949 dauerte. Der Betrieb wurde von einem Geschäftsführer für Moritz Wallach, der regelmäßig nach Bayern kam, betreut. 1985 wurde das Unternehmen an die Firma Lodenfrey verkauft, die das Geschäft noch bis 2004 unter dem Namen »Wallach« führte.

»Überraschungsgeschenk« Ingrid Franz hat eine konkrete Vorstellung davon, wie es zu dem »Überraschungsgeschenk« kam. Ihre Großtante Tessa führte schräg gegenüber von »Wallach« ein Modegeschäft und hatte ihr Landhaus bei Prien am Chiemsee »von oben bis unten von der Firma Wallach einrichten lassen«. Sie trug Wallach-Dirndl, saß auf Wallach-Stuhlbezügen, und ihre Vorhänge waren mit typischen Motiven aus dem Stoffsortiment der Firma Wallach bedruckt.

Aus der Familienüberlieferung kennt Ingrid Franz die Geschichte, dass die Großtante zeitweise ein jüdisches Ehepaar in einer Kammer hinter einer Tapetentür beherbergte und sie selbst – bei einer Hausdurchsuchung – auf den Topf unmittelbar davor gesetzt wurde. Niemand wollte sich dem schreienden Kleinkind nähern. Die Tapetentür blieb unentdeckt. Es lag nahe, dass man die Familientradition, bei Wallach einzukaufen, mit dem ersten für Geschenke verfügbaren Geld wieder aufnahm.

Aus der Familienüberlieferung kennt Ingrid Franz die Geschichte, dass die Großtante zeitweise ein jüdisches Ehepaar in einer Kammer hinter einer Tapetentür beherbergte.

Ingrid Franz ist Katholikin, ihr Mann Wolfgang Protestant. Seit ihrer Heirat 1968 setzen sich die beiden für Ökumene in der Kirche ein. Seit 1986 war Ingrid Franz aktiv in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, zuletzt bis 2018 als zweite katholische Vorsitzende. 2015 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, weil sie »sich als Multiplikatorin für die Ökumene wie für die Versöhnung von Christen und Juden engagiert und damit um das Gemeinwohl besonders verdient gemacht hat«.

Ihre bayerischen Puppenmöbel, deren Herkunft ihr bewusst war, hütete Ingrid Franz sorgsam, gab sie nie aus der Hand – bis jetzt. Nun hat sie diese der Israelitischen Kultusgemeinde zum Geschenk gemacht. Im Jüdischen Gemeindezentrum werden sie ab dem Europäischen Tag der jüdischen Kultur im September zu sehen sein.

Boris Schulman

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