27. Januar

»Die Erinnerung schützt«

Fordert dazu auf, den Rechtsruck in der Gesellschaft ernst zu nehmen: IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch Foto: dpa

Ein entschiedeneres und konsequenteres Vorgehen gegen den zunehmenden Judenhass, Rechtsextremismus und Fremdenhass forderte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bei einer Veranstaltung zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar in Dresden. An der Gedenkstunde im Plenarsaal des Sächsischen Landtags, die vom Synagogenchor Dresden musikalisch gestaltet wurde, nahmen mehr als 300 geladene Gäste aus Politik und Gesellschaft teil, darunter zahlreiche Vertreter von Opferverbänden.

»Nicht das Vergessen, die Erinnerung schützt uns vor Wiederholung«, mahnte die IKG-Präsidentin in ihrer Rede mit Blick auf den Anlass der Feierstunde, den 71. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, und den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zustand in Deutschland, Europa und der ganzen Welt.

fassungslos Auschwitz, so Charlotte Knobloch, sei zu einem Symbol für den Holocaust, für menschenverachtende Grausamkeit, für staatlich verübten Völkermord geworden. Deshalb mache es sie fassungslos, dass bereits sieben Jahrzehnte nach dem Holocaust auch in Europa wieder Menschen ausgegrenzt, diffamiert und ermordet werden, nur weil sie Juden sind. »Das ist ein Armutszeugnis. Aber Sprachlosigkeit und Ratlosigkeit können wir uns nicht erlauben«, sagte Knobloch.

Auch der sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler rief in seiner kurzen Ansprache zu »mehr gesellschaftlicher Wachsamkeit« und »mehr politischer Entschiedenheit« gegen antisemitisches Gedankengut und antijüdische Ressentiments auf. »Es beschämt mich, wenn Juden in Europa heute wieder in Angst leben, wenn sie wieder ihr Judentum in der Öffentlichkeit verbergen müssen und aus Europa emigrieren«, erklärte der Landtagspräsident.

Deutliche Kritik an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern übte Charlotte Knobloch in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Man habe den Entwicklungen im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt »in unentschuldbarer Weise« zugesehen und sich aus der Verantwortung gestohlen. »Dabei wollte doch Deutschland früher und entschiedener zur Stelle sein, wenn Freiheit, Demokratie und Menschenrechte irgendwo auf der Welt bedroht sind. Stattdessen ließ man geschehen, was kein Politiker, kein Mensch mit Herz und Verstand hätte akzeptieren dürfen.«

Flüchtlinge Nach Überzeugung der IKG-Präsidentin ist das Problem der Flüchtlinge nur auf europäischer Ebene zu bewältigen. »Wenn die EU diese Krise nicht gemeinsam bewältigt, ist die europäische Idee in Gefahr«, sagte sie. Sie wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Zuwanderer aus Ländern, Systemen und Kulturen kämen, deren Prinzipien im krassen Widerspruch zu westlichen Werten stehen.

Ein Großteil der Flüchtlinge, so Knobloch, habe Demokratie nie erfahren und leben können und sei freiheitsfeindlich sozialisiert worden. Die kulturelle Kluft sei auch die zentrale Herausforderung bei der Hilfe. Sie stellte aber auch klar: »Unser christlich-jüdisches Menschenbild gebietet es, Voreingenommenheiten zu zähmen und jenen zu helfen, die wegen Not, Krieg und Verfolgung ihre Heimat aufgeben mussten.«

Charlotte Knobloch sprach in ihrer Rede auch davon, wie wichtig es für jeden wahrhaften Demokraten ist, den Satz »Wir sind das Volk« ernst zu nehmen und das »Wir« nicht den ideologischen Scharfmachern und Hetzern zu überlassen. Dies sei angesichts der massiven Auswüchse rechtsradikaler Verachtung gegenüber Menschen und Einrichtungen seit Monaten von ganz besonderer Bedeutung.

Brandstifter Die IKG-Präsidentin scheute sich auch nicht, darauf hinzuweisen, dass es in Sachsen »besonders viele Gleichgesinnte« mit einer Ideologie gibt, die von Feindseligkeit geprägt ist und alle gesellschaftlichen und politischen Institutionen »unter Generalverdacht« stellt. »Pegida, Legida und Co. sind keine Patrioten. Sie sind Scharfmacher und Brandstifter, die mit Flammen zündeln«, so Knobloch.

In ihre deutliche Kritik bezog die IKG-Präsidentin auch die AfD mit ein. »Diese Partei«, sagte sie, »bringt zu viele Gestalten und Thesen hervor, die nicht nur Geschmackssache sind, sondern radikal, rechts, nationalistisch – und damit gefährlich. Sie singen im Chor mit Pegida und ähnlichen Gruppen, die inzwischen ganz offen rechtsradikal und antisemitisch sind. Vielfach unterwandert und gesteuert von Neonazis.

Diese Bewegungen fordern ungeniert den Systemumsturz im Internet und sind Katalysatoren für tägliche Gewalttaten und Übergriffe auf Flüchtlingsheime und Drohungen gegen Politiker, Journalisten und andere sogenannte politische Gegner.« Was ihr große Sorge bereitet, ist der Umstand, dass auch die Judenfeindlichkeit längst wieder salonfähig geworden ist und die Mitte der Gesellschaft erreicht hat.

Mitgefühl Auch Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig ging bei der Gedenkstunde im Landtag auf diese Zusammenhänge ein. »Wir brauchen Streit um die Sache und Respekt, keine Hetzparolen«, sagte er. Und er verlor auch den Anlass nicht aus den Augen: »Wenn es ein Vermächtnis von Auschwitz für das Heute gibt, dann ist es die besondere Achtung vor den Werten Vielfalt, Toleranz und Mitgefühl in einer pluralen Gesellschaft.«

Der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der seit 2006 jeweils am Tag der Befreiung von Auschwitz begangen wird, erinnert an den Massenmord an den Juden im Nationalsozialismus. Allein in Auschwitz wurden 1,1 Millionen Menschen ermordet.

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