Nachruf

Schalom Libertad!

Arno Lustiger (1924–2012) Foto: Rafael Herlich

Der Hörsaal im Casinogebäude des IG Farben-Hauses war bis auf den letzten Platz besetzt mit Studierenden und Lehrenden der Frankfurter Goethe-Universität, mit Überlebenden des Holocaust und des Widerstands, mit Journalisten und Künstlern, als Arno Lustiger nach fünf Semestern als Gastprofessor am Fritz Bauer Institut seine letzte Vorlesung hielt. Das war am 19. Juli 2006, genau 70 Jahre nach Arno Lustigers Aufnahmeprüfung für das Gymnasium seiner Heimatstadt Bedzin.

Todesmarsch Die Schuluniform, die ihm seine Mutter im Sommer 1936 zur bestandenen Prüfung schenkte, hat der damals Zwölfjährige nicht lange tragen können. Deutsche Truppen überfielen Polen. Im August 1943 wurde die jüdische Bevölkerung von Bendzin nach Auschwitz deportiert. Die Familie Lustiger, die sich vor der Deportation in einem Keller versteckt hatte, ging einige Tage später gemeinsam ins Zwangsarbeiterlager Annaberg in Schlesien, um dort zusammenbleiben zu können. Aber sie wurde auseinandergerissen. Der Vater, David Lustiger, wurde in Auschwitz ermordet, Arno überlebte die Lager Auschwitz-Blechhammer, Groß-Rosen, Buchenwald und Langenstein. Auf dem Todesmarsch konnte er fliehen. US-Soldaten fanden den vollkommen Entkräfteten und halfen ihm zurück ins Leben.

Eher durch Zufall kam der damals 21-Jährige 1945 als »Displaced Person« nach Frankfurt/Main, das zunächst als Zwischenstation auf dem Weg in die USA oder nach Israel gedacht war. Aber Arno Lustiger musste wegen seiner kranken Mutter und Schwester bleiben. Er baute als Textilfabrikant ein erfolgreiches Unternehmen auf und gehörte zu den Gründern der jüdischen Nachkriegsgemeinde in Frankfurt. Ihrer großen Tradition und Geschichte war eine der ersten von ihm edierten Publikationen gewidmet.

Spanischer Bürgerkrieg In den 80er-Jahren dann fand Arno Lustiger zu seinem Lebensthema, dem jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Denn nicht »wie die Lämmer zur Schlachtbank« hatten sich die Juden Europas führen lassen – im Gegenteil, wo immer sie die Möglichkeit dazu fanden, haben sich jüdische Männer und Frauen gegen die Mörder zur Wehr gesetzt.

In den Lagern war der junge Arno Lustiger ihnen begegnet, jüdischen Partisanen im Kampf gegen Hitlers Truppen, jüdischen Freiheitskämpfern aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Als er 1984 einen Herzinfarkt erlitt, nahm Lustiger sich vor: Wenn ich das überlebe, werde ich die Geschichte der jüdischen Widerstandskämpfer aufschreiben, um sie dem Vergessen zu entreißen. Er überlebte und schrieb »Schalom Libertad!« Juden im Spanischen Bürgerkrieg. Diesem ebenso materialreichen wie spannenden Buch folgten unter anderem das Standardwerk Zum Kampf auf Leben und Tod. Das Buch vom Widerstand der Juden 1933-1945, dann das Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden. Übersetzungen von Lustigers Werken erschienen in den USA, in Polen, Frankreich, Spanien und in Russland.

Ein Forscher im Elfenbeinturm ist Arno Lustiger dabei nicht geworden. Jahrelang nahm er an öffentlichen Demonstrationen und an vielen kontrovers geführten Debatten teil. Seine Rede zum Holocaustgedenktag im Deutschen Bundestag 2005 bleibt auch Jahre später bewegend und leider aktuell. Am Dienstag ist Arno Lustiger im Alter von 88 Jahren gestorben.

Meinung

Steinmeier auf Kuschelkurs mit einem Terrorfreund

Der Bundespräsident untergräbt mit seiner Schmeichelei gegenüber Recep Tayyip Erdogan einmal mehr Deutschlands Staatsräson

von Nils Kottmann  26.04.2024

Berlin

»Menschen haben nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt«

Ahmad Mansour wundert sich nicht über die Schließung zweier Jugendzentren in Berlin

von Sophie Albers Ben Chamo  26.04.2024

Diplomatie

USA, Großbritannien und Kanada verhängen Sanktionen gegen Iran

Es handelt sich um eine Reaktion auf den iranischen Angriff auf Israel

 26.04.2024

USA

Antiisraelische Proteste an Unis: Abschlussfeier abgesagt

An der Ostküste werden mehr als hundert Festnahmen gemeldet

 26.04.2024

Berlin

Polizei verbietet antiisraelisches »Palästina-Protestcamp«

Die Teilnehmer hätten Straftaten begangen, darunter auch Volksverhetzung, sagt die Polizei

 26.04.2024

Köln

Wallraff-Preis für israelische und palästinensische Initiativen

Mit gemeinsamen Aktionen setzen sich »Women of the Sun« und »Women Wage Peace« für Frieden ein

 26.04.2024

Berlin/Gaza

Brief an Hersh Goldberg-Polin

Lieber Hersh, wir kennen uns nicht – und doch sind unsere Lebenswege verbunden ...

von Ruben Gerczikow  26.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert deutsche UNRWA-Politik

Josef Schuster: »Die Bundesregierung tut sich mit dieser Entscheidung keinen Gefallen«

 26.04.2024

Dresden

Friedmann und Petri bei Diskussion zur Europawahl

Der Umgang mit Judenhass, Rassismus und Rechtsextremismus stehen im Fokus des Panels

 26.04.2024