Wähler

Zünglein an der Urne

von Hannes Stein

Eine Grundregel amerikanischer Politik lautet: Es ist völlig egal, wen die Demokraten als Präsidentschaftskandidaten aufstellen, die Juden würden sogar einen Besenstiel wählen. Eine weitere Grundregel lautet, dass Florida sehr wichtig ist und das dortige Wahlergebnis mit zitternden Knien erwartet wird. Dritte Grundregel: Die Stimmen der Juden in Florida waren in der Vergangenheit häufig das Zünglein an der Waage. Zwar wohnen in Südflorida nach jüngsten Schätzungen nur etwa 600.000 Juden (Gesamtbevölkerung: mehr als 18 Millionen Menschen), aber die schreiten alle geschlossen zur Wahlurne. Kein Jude wird am 4. November zu Hause bleiben, eine Dose Bier öffnen und gähnend auf den Sportkanal umschalten. Das wäre zutiefst gojisch.
Eine Gallup-Umfrage hat nun für ganz Amerika einen verblüffenden Trend ergeben: 32 Prozent der befragten Juden gaben an, dass sie für McCain stimmen würden, 61 Prozent erklärten ihre Unterstützung für Obama. Wenn man das Mikroskop auf Florida feinjustiert, könnte dies dramatische Folgen haben. Wahlastrologen wollen nämlich wissen, dass der Einzug der Republikaner ins Weiße Haus dann besiegelt ist, wenn sie mehr als 20 Prozent der jüdischen Wähler in Florida für sich gewinnen können.
Adam Hasner, der Sprecher der Mehrheit im Repräsentantenhaus von Florida, der für McCain in den Wahlkampf zieht, klingt dann auch nachgerade triumphalistisch. »Bei dieser Wahl werden mehr Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft republikanisch wählen als je zuvor«, prophezeit er. »Die jüdische Gemeinschaft hat schon seit langer Zeit Beziehungen zu McCain, ... sein Leumund in Bezug auf Israel ist makellos ..., McCains Taten ragen hoch über Obamas Rhetorik hinaus.« Na schön, kann man sagen, Klappern gehört zum Handwerk.
Unbestreitbar ist aber, dass manche Juden ein Problem mit Obama haben: Nicht nur, weil sein zweiter Vorname – Hussein – irgendwie muslimisch klingt, nicht nur, weil er lange Umgang mit dem antisemitischen Prediger Jeremiah Wright pflegte, nicht nur, weil im Internet böse Gerüchte über ihn herumschwirren, sondern auch und vor allem, weil er angekündigt hat, er werde mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad verhandeln, der Israel eine »stinkende Leiche« genannt hat.
Darüber hinaus hat John McCain in Florida eine Geheimwaffe: Joe Lieberman. Seit dem Wahlkampf des Jahres 2000 kennt der Mann, der einst an der Seite von Al Gore demokratischer Vizepräsident werden wollte, diesen südlichen Bundesstaat wie seine Westentasche. Lieberman hat seine Mitgliedschaft bei den Demokraten seither gekündigt, und jetzt erklärt der parteilose Politiker seine Unterstützung für John McCain. »Bei allem Respekt glaube ich, dass die Demokratische Partei die stärkste Wurzel ihrer Außen- und nationalen Sicherheitspolitik vergessen hat«, sagt Lieberman. McCain habe dagegen immer geglaubt, »dass Israel unser natürlicher Verbündeter ist, seit Anbeginn seiner modernen Existenz bis zum heutigen Tag im Krieg gegen islamische Terroristen und Extremisten«.
Lieberman genießt unter amerikanischen Juden hohes Ansehen: Er ist orthodox, aber nicht fanatisch, bei innenpolitischen Themen eher linksliberal, in der Außenpolitik ein Falke. Sogar Gegner bescheinigen ihm, dass er ein durch und durch anständiger Mensch sei.
Naturgemäß nehmen die Unterstützer Obamas all dies nicht so einfach hin. Dan Gelber, der Sprecher der Minderheit im Repräsentantenhaus von Florida, sagt: »Als Jude bin ich von Obama beeindruckt. Er hat einen feinen Sinn für soziale Gerechtigkeit, und er unterstützt Israel nicht nur, sondern versteht es. Er ist intelligent und akademisch gebildet und wird sowohl die Wirtschaft als auch die nationale Sicherheit besser handhaben als McCain.«
Die bekannte Komikerin Sarah Silverman hat extra für Obama eine Internet-Kampagne gestartet (www.thegreatshlep.com). Sie ruft jüdische Enkel auf, ihre Großeltern in Florida zu besuchen (die meisten Juden in Florida sind Rentner, die sich einen schönen Lebensabend an der Sonne gönnen), damit sie ihre Altvorderen bewegen, die Demokraten zu wählen. »Obama ist der beste Präsidentschaftskandidat, den wir je hatten«, sagt Sarah Silverman. Für den Fall, dass Fakten nicht ausreichen sollten, um den Seide oder die Bubbe zur richtigen Wahlentscheidung zu bewegen, rät Sarah Silverman zu blanker Erpressung: »Wenn deine Großeltern für Obama stimmen, kriegen sie dieses Jahr noch einen Besuch. Wenn nein – hoffen wir nur, dass sie bis nächstes Jahr gesund bleiben.«
Allerdings ist Sarah Silverman nicht die beste Geheimwaffe in Obamas Arsenal. Die ist vielmehr Sarah Palin: Seit John McCain sich die Frau aus Alaska als Vizepräsidentin ausgesucht hat, hat die Unterstützung der Juden in Florida für ihn deutlich nachgelassen. Die Reaktion von Hannah Handler Hostyk ist hier ganz exemplarisch: »Ich war schockiert«, sagt die orthodoxe Jüdin. »Ich habe mir Reden beim republikanischen Parteitag und ein paar Debatten angeschaut. Es stieß mich immer mehr ab.« Verstörend findet Hannah Handler Hostyk, dass Sarah Palin Abtreibungen unter allen denkbaren Umständen (auch bei Vergewaltigung oder Inzest) ablehnt, dass sie überhaupt extrem christlich ist und anscheinend nichts über Wirtschaft und Außenpolitik weiß. Bei anderen Juden hat außerdem für Verstörung gesorgt, dass der Pastor von Sarah Palins Kirche in ihrer Heimatstadt Wasilia ein Mitglied der Gruppe »Jews for Jesus«, die Juden zum Christentum bekehren möchte, als Redner einlud. Palin lauschte seiner Ansprache und fand offenbar weiter nichts dabei.
Hannah Handler Hostyk wird ihr Kreuzchen jedenfalls bei den Demokraten machen – zum ersten Mal in ihrem Leben. Wie viele Juden in Florida ihrem Beispiel folgen werden und wie viele Bubbes und Seides dann doch eher John McCain vertrauen, erfahren wir am 4. November.

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

New York City

UN-Sicherheitsrat verurteilt Israels Angriff auf Katar einhellig

Sogar die USA schlossen sich der Erklärung an

 12.09.2025

Eurovision Song Contest

Gegen Israel: Irland erpresst Eurovision Song Contest-Veranstalter

Nach Slowenien hat auch Irland verkündet, dem Eurovision Song Contest fernzubleiben, sollte Israel teilnehmen. Damit verstoßen sie gegen Grundregeln des international beliebten TV-Wettbewerbs

 11.09.2025

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025