Dresden

Wendepunkte

Die dezent rosafarbenen Lippen sind fest geschlossen. Eher spricht der – über die Schulter zurückgeworfene Blick – aus den wachen großen Augen. Ein Gefühl von Anmut scheint von der schlanken jungen Frau auszugehen, deren natürliche Schönheit von einer selbstbewussten Frisur in Violett gekrönt wird. Was sie wohl sagen möchte? Vielleicht verraten es die Zeitungsschnipsel, die sich wie Gedankenfetzen um den Kopf der Blassblauen zu einem Berg auftürmen.
»Das ist das Porträt von einer meiner Freundinnen«, erklärt Sofia Kasparova. Die Collage aus Zeitungspapier und Farbe ist ihr Lieblingsbild. Das hat die 21-Jährige dann auch zur neuen Ausstellung im HATiKVA-Verein in Dresden beigesteuert. In zwei Räumen des jüdischen Kulturvereins werden von diesem Donnerstag an bis zum 3. Januar 2010 rund 20 Bilder von Hobbykünstlern gezeigt.

ausstellungskosten Die überschaubaren Unkosten übernimmt ebenfalls der Verein. »Wir bemühen uns immer um Ausstellungen in unserem Haus«, sagt Irina Kasparova, Organisatorin der kleinen Bilderschau, und erklärt weiter, »sehr häufig kommen die Künstler aus dem Umfeld der Jüdischen Gemeinde in Dresden.« So ist es auch dieses Mal. Neben der Tochter der 58-jährigen Irina Kasparova stellen noch die 21-jährige Julia Makhaeva und die 80-jährige Anna Konofska ihre Werke aus.
Der Altersunterschied zwischen den Kunstschaffenden ist Teil des Konzepts. »Denn wir haben die Veranstaltung mit dem Thema ›Wendepunkt‹ überschrieben«, erläutert Irina Kasparova. So sollen zum einen die Stillleben, in der Technik der klassischen Malerei gehalten, von Anna Konofska auf die modernen Grafiken und Collagen der beiden jüngeren Künstlerinnen treffen, die sich eher an Mode- und Produktdesign orientieren.
Zum anderen findet sich in den Biografien der drei Frauen eine Gemeinsamkeit, wie Irina Kasparova weiß: »Jede von ihnen ist aus Russland nach Deutschland gekommen. Das bedeutet für jede einen persönlichen Wendepunkt.« Seit dem Jahr 1991 zählt auch die jüdische Gemeinde in Dresden zunehmend Mitglieder, die ein ähnliches Schicksal teilen. Sprachbarrieren oder das Aufeinandertreffen von verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten bedeuteten dabei auch offiziell einen Wendepunkt für die jüdische Institution. Das sollte auch als Ansatzpunkt für die Ausstellung dienen.

Ausdruck Sofia Kasparova erinnert sich noch gut. Mit ihrer Familie hatte sie 2004 St. Petersburg verlassen. »Das war natürlich eine krasse Umstellung, obwohl ich mich darauf vorbereitet habe«, meint sie. Sie habe festgestellt, dass ihre Herkunft auch ihre künstlerischen Arbeiten beeinflusse. Schon seit Kindertagen habe sie Kunstschulen besucht und vieles probiert, aber erst seitdem sie in Deutschland lebe, würde sie in ihre Bilder zunehmend Elemente russischer Folklore einflechten. So habe sie ein Faible für Schnörkel und greife häufig zu den Farben Rot und Gold. »Wahrscheinlich ist das ein Ausdruck von Sehnsucht«, resümiert sie.
In Deutschland ist Sofia Kasparova trotzdem angekommen. Mittlerweile ist in ihr der Wunsch gewachsen, die Kunst zum Beruf zu machen. So plant sie ab Herbst ein Studium der Bildenden Künste am Caspar-David-Friedrich-Institut in Greifswald aufzunehmen. Als Hobby bleiben ihr dann das Sticken und ihre zweite Leidenschaft, die darin besteht, sich sportlich als Bogenschützin in einem mittelalterlichen Schwertkampf-Verein zu engagieren.

Berufung Wie Sofia Kasparova hat sich auch Julia Makhaeva dafür entschieden mit der eigenen Kunst später ihren Le-
bensunterhalt zu bestreiten, denn sie studiert in Dresden Produktdesign. Früher habe sie ebenfalls Unterricht im Zeichnen genommen. Aus dieser Zeit sind in der Ausstellung mit Bleistift gezeichnete Stillleben zu sehen. »Im Moment zeichne ich weniger. Ich widme mich eher dem De-
sign«, sagt sie. Den Bleistift hat Julia Mak-
haeva so auch bei den anderen Bildern für die kleine Exposition angesetzt. Allerdings sind dies eher abstraktere Körperstudien, die im Rahmen des Studiums entstanden sind. »Ich habe lange gesucht bis ich wusste, was ich mit der Kunst will. Jetzt habe ich mich für diese etwas technische Sache entschieden«, erklärt Julia Makhaeva.
In der Entscheidung für ihre künstlerische Richtung sieht sie ihren persönlichen Wendepunkt. Ihrer Emigration aus Russland im Jahre 2002 misst sie keine so große Bedeutung bei. »Es fiel mir leicht, mich zu integrieren, denn ich habe schnell neue Freunde gefunden«, sagt sie.
Aus zeitlichen Gründen wird zur Vernissage nur Sofia Kasparova Fragen und Anregungen der Besucher entgegennehmen können. Erwartet werden zur Eröffnung am Donnerstag um 17 Uhr rund 30 Interessiere. Es wird ein kleiner Imbiss bereitstehen und der Klarinettist und Saxofonist Gennadiy Nepomnyashschiy, ebenfalls Mitglied der Dresdner Gemeinde, wird musikalisch unterhalten. Außerdem wird es eine Erklärung zur Ausstellung in Deutsch und Russisch geben, obwohl ausdrucksstarke Motive wie die blassblaue Dame ja ganz ohne Worte auskommen.

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