Pforzheim

Vor der eigenen Haustür

von Heide Sobotka

Gern hätte sich Siegbert Sonnenberg mit dem Satz: »Das gibt es nur woanders und weit weg«, beruhigt. Aber das kann der Schulleiter des Kepler-Gymnasiums im württembergischen Pforzheim nicht. Ein 17-jähriger Schüler seines Gymnasiums ist von Mitschülern antisemitisch beschimpft worden und verlässt jetzt die Schule. »Er will nicht der Vorzeige-Jude sein«, sagte Rami Sulimann von der Jüdischen Gemeinde in Pforzheim.
Der eigentliche Vorfall liegt schon zwei Monate zurück. Offenbar hatten in der Nacht des zweiten Weihnachtsfeiertages Jugendliche vor dem Haus der jüdischen Familie Feuerwerkskörper entzündet, uriniert und antisemitische Schmähungen gerufen. Alex’ Familie benachrichtigte die Polizei. Nach den Feiertagen ging Alex (der Name wurde von der Redaktion geändert) zu Direktor Sonnenberg mit der Bitte, die Schule wechseln zu dürfen. Doch der konnte sich den Wunsch nicht erklären und hakte nach. Stück für Stück erfuhr Sonnenberg, was am Weihnachtsabend vorgefallen war. Da der Staatsschutz ermittelte und nicht nur die drei Haupttäter im Visier hatte, sondern auch noch sechs Schüler, die zugeschaut hatten, unternahm Sonnenberg zunächst nichts, um die Polizeiarbeit nicht zu behindern.
Alex’ Familie hatte inzwischen einen Anwalt eingeschaltet. Auch die jüdische Gemeinde Pforzheim stellte sich sofort hinter dem 17-Jährigen. Gemeindevorsitzender Rami Suliman kündigte an: »Egal wie die Polizeiermittlungen ausfallen werden oder was ein Gericht entscheidet. Wenn die Jungen die Schule nicht verlassen, werden wir Alex von der Schule nehmen.« Die Gemeinde nähme die Tat sehr ernst und werde nicht kneifen, betont Suliman. Auch Schulleiter Sonnenberg und der Anwalt der Familie äußerten sich in dieser Weise. »Von 17-Jährigen kann ich ein Maß an Einsichtsfähigkeit verlangen, auch wenn sie sich in einem stark alkoholisierten Zustand befunden haben mögen«, sagt Sonnenberg.
Bislang hätten die Täter keinerlei Einsicht gezeigt, bemängelt Rechtsanwalt Alexander Ganz. Weder die Familien noch die Jugendlichen hätten sich bei Alex und seiner Familie entschuldigt. Inzwischen hat einer der Jungen seine Tat eingeräumt, sagte am Dienstag ein Polizeisprecher. Er habe auch Kontakte zu einer rechtsextremen Gruppierung gehabt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Ermittlungen gegen zwei seiner Freunde seien noch nicht abgeschlossen.
Rechtsanwalt Alexander Ganz hätte es lieber gesehen, wenn die drei Tatverdächtigen gleich vom Unterricht ausgeschlossen worden wären. »Wie soll Alex einen unbesorgten Schulalltag erleben, wenn die Schüler tagtäglich mit ihm das Klassenzimmer teilen?«, fragt Ganz.
Schulleiter Sonnenberg haben die antisemitischen Schmähungen seines Schülers sehr getroffen. Er müsse erkennen, dass so etwas nicht tief im Osten und ausschließlich an Hauptschulen vorkäme, sondern auch an Gymnasien, an denen die Schüler die best mögliche Ausbildung bekämen. Sonnenberg sucht jetzt nach neuen Wegen, damit rechte Umtriebe nie wieder an seiner Schule passierten. Zusammen mit der Religionslehrerin der jüdischen Gemeinde, Susanne Benizri-Wedde, will er ein Projekt für die Zukunft ent- wickeln. »Es reicht offensichtlich nicht aus, dass wir das Judentum im Religions-, im Deutsch-, im Politik- und im Ethikunterricht theoretisch behandeln, wir müssen praktische Basisarbeit leisten. Wir müssen lehren, respektvoll miteinander umzugehen«, sagt Sonnenberg.
Darüber hinaus wolle er in der Schule mit einem Vertrauenslehrer eine Anlaufstelle schaffen, an die sich betroffene Schüler und Eltern in Zukunft wenden können. Denn offensichtlich habe Pforzheim ein dauerhaftes rechtes Problem. Gruppen wie der »Heidnische Sturm« und »Ein Herz für Deutschland« müssten wohl sehr ernst genommen werden, erkennt Sonnenberg. Und sie sind ganz nah und direkt vor der Haustür.

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