Neokonservative

Von Trotzki zu Bush

von Ingo Way

Es stimmt also doch: Die amerikanischen Neokonservativen sind eine jüdische Bewegung. Fast alle ihre Protagonisten sind Juden, und ihre politische Philosophie ist genuin jüdisch. Was bisher als antisemitische Verschwörungstheorie galt, die erfunden wurde, um politische Gegner zu diskreditieren, erfährt nun seine seriöse Be- glaubigung durch den Journalisten Jacob Heilbrunn, Redakteur der konservativen Zeitschrift »The National Interest«.
Heilbrunn, der selbst eine Zeit lang mit dem Neokonservatismus sympathisiert hat, geht es allerdings nicht darum, diese politische Richtung zu dämonisieren. Er will mit einigen Mythen aufräumen, die über die Neocons im Schwange sind – sowohl solchen, die ihre Gegner über sie verbreiten, als auch solchen, die sie selbst über sich in die Welt setzen.
Zu den Letzteren gehört für Heilbrunn die Behauptung, so etwas wie eine neokonservative Bewegung existiere gar nicht, höchstens vereinzelte Denker, die böswillig unter dem Label »neokonservativ« zusammengefasst würden.
Irrtum, sagt Heilbrunn. Die Neocons seien eine wohlorganisierte Gruppierung, deren Wurzeln bis in die 40er-Jahre zurückreichen. Damals begann eine Gruppe junger Trotzkisten am New Yorker City College, sich gegen den Stalinismus zu wenden. Dieselben Leute wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu Demokraten und Antikommunisten, gründeten Zeitschriften wie »The Public Interest« und »Encounter«. Doch erst in den späten 60er-Jahren entstand das, was wir heute als neokonservative Agenda kennen – als Reaktion auf die Verharmlosung kommunis- tischer Regime und den Antizionismus der 1968er-Linken. Die Neocons, ursprünglich Anhänger der Demokratischen Partei, wandten sich in ihrer Forderung nach einer harten Haltung gegenüber der Sowjetunion (nicht zuletzt wegen deren Antisemitismus) den Republikanern zu und halfen Reagan an die Macht. Ihr letzter Streich: die Vorbereitung des Irakkrieges. Mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und dem Vorsitzenden der verteidigungspolitischen Kommission des Pentagon, Richard Perle, saßen erstmals zwei Neokonservative im Zentrum der Macht.
Der Neokonservatismus, so Heilbrunn, ist »eine Denkweise, die durch die Erfahrungen jüdischer Immigranten und durch den Holocaust geprägt wurde«. Die protestantischen Eliten der USA hätten in den Augen der Neokonservativen nicht genug getan, um den Mord an den europäischen Juden zu verhindern. Daher hätten sie ein »Gegenestablishment« gegründet, um die amerikanische Politik dazu zu drängen, einen zweiten Holocaust nicht zuzulassen.
Heilbrunns Hauptkritik an den Neokonservativen ist, dass sie die gesamte Weltpolitik durch die Brille des Holocaust betrachten und typisch jüdischen Welterlösungs- fantasien anhängen würden. Zwar will er sie mit dem Hinweis auf ihre jüdischen Wurzeln nicht diskreditieren, wohl aber die Geltung ihrer Aussagen relativieren, indem er sie gleichsam einem ethnischen Partikularismus zurechnet.
Gewiss, die Neocons sorgen sich um Israel, und womöglich steht der Umstand, dass viele von ihnen Juden sind, damit nicht völlig außer Zusammenhang. Wird die Sorge allein dadurch schon unberechtigt? Heilbrunns Abkehr von den Neokonservativen hat mit seinen eigenen gescheiterten Hoffnungen wegen des Irakkriegs zu tun. Doch abgesehen von der ungeklärten Frage, wie dieser dereinst von Historikern beurteilt werden wird: Das von den Neokonservativen auf die Tagesordnung gesetzte Thema einer Demokratisierung des Nahen Ostens mag im Interesse Israels sein – aber gewiss auch in dem des Westens und nicht zuletzt dem der dortigen Bevölkerungen.

jacob heilbrunn: they knew they were right. the rise of the neocons
Doubleday, New York u.a. 2008, 320 S., 26,00 $

MIA-Jahresbericht

Deutlich mehr antiziganistische Vorfälle

Am häufigsten sei es zu verbalen Stereotypisierungen gekommen

 23.06.2025

Berlin

Frei informiert die Fraktionschefs über Lage in Nahost

Die Bundesregierung ist nach dem US-Angriff auf den Iran im Krisenmodus. Am Vormittag findet ein Informationsgespräch im Kanzleramt statt, an dem auch die rechtsextremistische AfD teilnimmt

 23.06.2025

Iran-Krieg

Steinmeier sieht noch Chancen für Diplomatie

Für Diplomatie ist im nahen Osten derzeit kein Raum. Das muss aus Sicht von Bundespräsident Steinmeier aber nicht so bleiben

 18.06.2025

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025