Versammlungsfreiheit

Von Rechts wegen

von Aaron Buck

Die Debatte ging bis spät in die Nacht. Doch nun ist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zufrieden: »Bayern wird sich künftig besser gegen rechtsextremistische Aufmärsche schützen können.« Am 16. Juli hat der bayerische Landtag das umstrittene Versammlungsgesetz verabschiedet. In Kraft tritt es am 1. Oktober 2008. Damit ist der Freistaat das erste Bundesland mit eigenem Versammlungsrecht, seit die Regelungskompetenz im Zuge der Föderalismusreform I von 2006 auf die Länder übergegangen ist. Der Abstimmung war eine Marathonsitzung im Parlament vorausgegangen – das Spiegelbild einer seit Monaten anhaltenden Kontroverse.
Um Kundgebungen von Extremisten leichter verbieten zu können, hatte das Kabinett im März die Verschärfung des Versammlungsrechts beschlossen. Von Anfang an regte sich gegen den Gesetzesentwurf des bayerischen Innenministers politischer und gesellschaftlicher Widerstand. Die heterogene Schar der Gegner – darunter die Landtagsopposition aus SPD und Grünen, Gewerkschaften, Globalisierungsgegner sowie andere gesellschaftliche Gruppen und Institutionen – eint der Vorwurf, die CSU-Regierung schränke die Versammlungsfreiheit aller Bürger in Bayern stark ein.
Der Würzburger Verfassungsrechtler Helmuth Schultze-Fielitz erinnerte Anfang Mai in einer Anhörung im Landtag an die Intention des Grundgesetzes, den demokratischen Kräften zu vertrauen; insofern sei das Gesetz ein Rückschritt. Der SPD-Rechtsexperte Klaus Hahnzog, Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof, charakterisierte den Entwurf als »unwürdig für ein Land, das sich stolz Freistaat nennt«. Jetzt erwägt die Bayern-SPD den Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Das bestätigte ihr rechtspolitischer Sprecher, Franz Schindler auf Anfrage.
Innenminister Herrmann verteidigte das neue Versammlungsrecht. Die Demonstrationsfreiheit werde hundertprozentig gewährleistet. »Wer etwas anderes aus dem Gesetz herausliest, sieht Gespenster.« Herr- mann warf den Gegnern vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit vor. Er betonte, das Gesetz basiere auf dem geltenden Bundesgesetz und setze die einschlägige Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichts um. An einigen Stellen enthalte es sogar Liberalisierungen bestehender Vorschriften. Gleichzeitig solle Randalierern und Chaoten nicht die Straße überlassen werden.
Das Gesetz zielt darauf ab, extremistische Versammlungen beschränken und verbieten zu können, insbesondere wenn sie an Tagen oder Orten stattfinden sollen, die hinsichtlich der NS-Gewaltherrschaft Symbolkraft haben und die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletzen können, oder wenn sie Meinungen transportieren, die die Nazidiktatur billigen, verherrli- chen, rechtfertigen oder verharmlosen.
Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, lobte die Verschärfung des Versammlungsrechts. Mit dem Gesetz werde die demokratische Grundordnung gefestigt, sagte Knobloch dieser Zeitung. Es sei nichts anderes als ein klares Bekenntnis gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.
Kritiker wie die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beklagen hingegen Regelungen wie die Anzeigepflicht, das Uniformierungsverbot sowie die polizeilichen Übersichtsaufnahmen. Die bayerische FDP-Landesvorsitzende spricht von einem überaus bürokratischen Gesetz, das »von einem obrigkeitsstaatlichen Geist durchwirkt« sei. Die Fülle an Auflagen könne alle einschüchtern, die ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, ob überhaupt Regelungsbedarf besteht. Ende Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verbot einer Kundgebung zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel bestätigt. Die Richter stellten klar, dass der Schutz des öffentlichen Friedens und der Menschenwürde der Opfer des Nationalsozialismus sowie ihrer Nachkommen den Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertige. Dieses Grundsatzurteil bestätigte gleichzeitig die 2005 erfolgte Verschärfung des Volksverhetzungs- paragrafen und die entsprechende Anpassung im Bundesversammlungsgesetz. Somit müssten die Länder, so Leutheusser-Schnarrenberger, gar nicht tätig werden.
Innenminister Herrmann bezweifelt nicht, dass sich das Bundesgesetz bewährt hat – bestimmten Entwicklungen der vergangenen Jahre trage es aber nicht mehr ausreichend Rechnung. Dirk Heckmann, Verfassungsrechtler in Passau, sagte der Jüdischen Allgemeinen, er halte die explizite Absage an rechtsextremistische Versammlungen im neuen bayerischen Versammlungsrecht für ein »rechtspolitisch richtiges Signal«. Zwar könnten Aufmärsche wie jener in Wunsiedel auch nach bisheriger Rechtslage wirksam unterbunden werden. Diese Rechtsprechung erfahre nun aber eine weitere demokratische Legitimation.

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025