GUS

Stolz und Ferne

Die Mehrheit der Juden, die heute in Russland und der Ukraine leben, sind stolz auf ihre jüdische Identität und zeigen dies auch öffentlich. Ihre Bindungen an Israel, Zionismus und Religion hingegen sind schwach. Dies ergab eine Pilotstudie des von Rabbiner Adin Steinsaltz geleiteten Instituts für Jüdische Studien in der GUS (Institute for Jewish Studies in the CIS), deren Ergebnisse Ende Dezember in Jerusalem vorgestellt wurden. Die Untersuchung war von der Jewish Federation of New York finanziert worden und basierte auf einer Umfrage unter rund 800 Männern und Frauen.
Nach der großen Auswanderungswelle in den 90er-Jahren leben heute noch schätzungsweise 230.000 halachische Juden in Russland und 104.000 in der Ukraine. Wird »jüdisch« im Sinne des israelischen Rückkehrgesetzes definiert – die betreffende Person muss mindestens einen jüdischen Großelternteil haben –, dann steigen die Zahlen um ein Vielfaches. Von den befragten Personen wird denn auch eine großzügige Auslegung der Zugehörigkeitskriterien favorisiert. Nur etwa 13 Prozent wollen »Jüdisch sein« an halachischen Kriterien festmachen. 33 Prozent der Befragten sind der Meinung, jede Person, die sich individuell als »jüdisch« betrachte, sei auch tatsächlich jüdisch. Nur 16 Prozent assoziieren »Jüdisch sein« mit einem traditionell-religiösen Lebensstil.
Sehr ambivalent äußerten sich die Befragten in Bezug auf Assimilation und ethnische Abgrenzung. 61 Prozent halten es für »überlebenswichtig«, einer fortschreitenden Assimilation in die Mehrheitsgesellschaft entgegenzuwirken. Doch viele, die sich so äußerten, sind selbst mit einem nichtjüdischen Ehepartner verheiratet. Weitaus klarer waren die Positionen der Befragten in Bezug auf ethni- sches Selbstbewusstsein und die Erinnerung an den Holocaust. 70 Prozent der Befragten halten es für wichtig, die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten. 75 Pro-zent erklärten, dass sie stolz auf ihre jüdische Abstammung seien. Besonders ausgeprägt war dieser Stolz unter jungen Leuten unter 30.
Relativ gering fiel das Interesse an Israel aus. Nur neun Prozent der Befragten messen dem Zionismus auch heute noch eine wichtige Funktion bei, für 42 Prozent der Befragten ist er bedeutungslos.
Die Ergebnisse zeigen ein durchaus ähnliches Bild wie vorherige Studien in den UdSSR-Nachfolgestaaten: Auch knapp 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ist das Interesse an jüdischer religiöser Praxis und der Wiederaneignung jüdischer Traditionen eher die Ausnahme.
Larissa Remennick von der Bar-Ilan-Universität Tel Aviv, Autorin der internationalen Studie »Russian Jews on Three Continents: Identity, Integration and Conflict«, sieht die distanzierte Haltung gegenüber Religion und Tradition im Kontext genereller multiethnischer Ausdifferenzierungsprozesse. »Sich in der GUS jüdisch zu fühlen, das wird heute mit einem ausgeprägten ethnischen Stolz verbunden – aber kaum mit religiöser Observanz. Unter Russen, Ukrainern, Georgiern oder Armeniern können wir ähnliche Tendenzen ethnischen Selbstbewusstseins beobachten.« Remennick registriert allerdings auch, dass unter den jüngeren russischen und ukrainischen Juden die Beschäftigung mit der Schoa schwächer wird – »was für die Identität ihrer Eltern und Großeltern aber noch von eminenter Bedeutung war«.
Auch für den israelisch-russischen Migrationsforscher Ariel Borschevsky kommen die Ergebnisse des Institutes für jüdische Studien in der GUS nicht über- raschend. »Russische Juden machen ihr Judentum lieber an sozialen und kulturellen Werten fest«, so Borschevsky. Die Ergebnisse der neuen Studie stimmten traurig. »Nach Millionen-Investitionen in die jüdische Gemeinde- und Bildungsarbeit in den GUS-Staaten sehen wir kaum einen Wandel der kollektiven Identität.« Es sei fraglich, ob auf diesen recht vagen Identitäten starke lokale Gemeinschaften aufgebaut werden können.
David Palant, geschäftsführender Direktor des Institutes für Jüdische Studien in der GUS, übte seinerseits Kritik an der bisherigen Arbeit internationaler jüdischer Organisationen in der GUS: »Die meisten kommen mit einer festgelegten Agenda: Zio- nismus, Tora und religiöse Gebote. Dann wundern sie sich, wenn die einheimischen Juden entgegnen: ‚Wir sind stolz auf unser Judentum, aber wir entwickeln unsere eigene Art, jüdisch zu sein.«

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