Polizeianwärter

Siebzig Jahre in drei Tagen

von Daniela Breitbart

Der Teufel steckt im Detail. »Sehen Sie den Äskulapstab? Solche Spuren gibt es hier überall«, sagt Rainer Grieger und zeigt auf das schmiedeeiserne Balkongeländer des zweistöckigen, langgestreckten Gebäudes. Es ist das ehemalige Krankenrevier des SS-Truppenlagers in Oranienburg, auf dessen Gelände die Brandenburger Fachhochschule der Polizei ihren Campus errichtet hat. Früher wurde hier medizinisches Personal für die SS ausgebildet. Heute nutzen Hochschulleitung und Verwaltung das Gebäude. Auch Präsident Grieger hat hier sein Büro. Wie lebt und arbeitet es sich an einem solchen Ort? Grieger zögert einen Augenblick. »Manche haben schon ein mulmiges Gefühl«, sagt er dann. »Aber wir begreifen unsere Präsenz als Chance – die Themen Grundrechte und Demokratie bekommen in diesem Umfeld eine ganz besondere Dimension.«
In den kasernenartigen Gebäuden, die seit 2006 Hörsäle oder Seminarräume beherbergen, waren früher Kompanien der SS-Totenkopfverbände angesiedelt – mit Mannschaftsunterkünften, Pferdeställen und Garagen. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. In den scheinbar endlosen, weißgetünchten Gängen riecht es nach frischer Farbe und neu verlegten Böden. Nur die Informationstafeln an den Wänden erinnern an die dunklen Kapitel der Geschichte. Trotz des makellosen Fassadenanstrichs wirkt das Gelände unwirtlich. Doch »die Studenten nehmen den Ort gut an«, sagt Grieger. »Sie zeigen verstärkt Interesse an der Geschichte, befassen sich mit polizeilichen Biografien, wollen verstehen, wie aus ganz normalen Männern Mörder werden konnten.«
Eine solche Sensibilität wirkt irgendwie beruhigend, ist doch die Polizei nach der »Personenschützer-Affäre« um den TV-Moderator Michel Friedman und den antisemitischen Äußerungen an der Berliner Polizeischule ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Mangelnde Geschichtskenntnis wird man den Brandenburger Ordnungshütern jedenfalls nicht vorwerfen können. Zwar wird das Fach Polizeigeschichte erst im nächsten Jahr auf den Stundenplan gesetzt, wenn das Diplom- in ein Bachelorstudium überführt wird. Verpflichtend ist und bleibt aber ein dreitägiges Seminar in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Die liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Hochschule. Nur eine kleine schmale Straße trennt sie von dem ehemaligen Konzentrationslager.
Am zweiten Tag des Seminars sitzen 20 junge Männer und Frauen in Dreier- und Vierergruppen vor ihren Laptops, diskutieren und blättern konzentriert in Stapeln von Bildern und Dokumenten, die ungeordnet vor ihnen liegen. Aus dem Stimmengewirr tauchen immer wieder Worte wie »KZ« und »Rassismus« auf. So entstehen Kurzvorträge, zum Beipiel über das Selbstbild von SS und Polizei, Zwangsprostitution oder eine Häftlingsbiografie. »Das ist besser als Frontalunterricht«, sagt Christl Wickert und rückt energisch ihre dunkel geränderte Brille zurecht. Die Pädagogin arbeitet bei der Gedenkstätte und leitet die Seminare für die jungen Polizisten. Sie will, dass die Studierenden Eigeninitiative zeigen, Fragen stellen – und auch Vorurteile äußern. »Oft gelingt es mir, Dinge richtigzustellen. Das ist ein schöner Erfolg.«
Kaum einer der Studierenden bleibt von den Eindrücken unberührt. »Viele sagen mir am zweiten oder dritten Tag, sie hätten schlecht geschlafen«, erzählt Wickert. Volker Harms, Student im ersten Semester, nickt. »Es ist ein besonderes Gefühl, an einem so historischen Ort ausge- bildet zu werden«, sagt der 34-Jährige. »Wenn man mit der Uniform übers Gelände geht, starren einen die Leute an. Das steckt man nicht einfach so weg.«
Auch aktuelle Themen kommen während des Seminars zur Sprache. »Eine Studentin erklärte, sie schütze lieber rechte als linke Demonstrationen, weil sie disziplinierter ablaufen. Das fand ich durchaus verständlich«, sagt Wickert. Manchmal begegnet sie Desinteresse oder der Behauptung »wir wissen schon alles«. »Die kann ich schnell entkräften«, sagt sie und lächelt. »Aber wenn ich ein Gespräch mit einem Zeitzeugen vorschlage, sehe ich in mindestens zehn leuchtende Augenpaare.«
Dass die Studenten lernen, aus der Geschichte Schlussfolgerungen für ihre eigene Arbeit heute zu ziehen, wünscht sich auch Rainer Grieger. »Es geht nicht um das Einpauken von Detailwissen, sondern um die Vermittlung von Werten«, betont der ehemalige Polizist. Konkret bedeutet das: Verantwortung zu übernehmen und sich nicht auf Befehle »von oben« zu berufen – besonders, wenn es darum geht, in Rechte anderer einzugreifen. »Und das muss man als Polizist häufig«, sagt Grieger. »Da brauchen wir handlungssichere und verantwortungsbewusste Beamte.«

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025

Ehrung

Ravensburger-Stiftung ehrt Bildungsstätte Anne Frank mit Preis

Es werde eine herausragende Bildungsinitiative gewürdigt, teilte die Stiftung mit

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025

Jerusalem

Planungsausschuss berät über E1-Siedlung

Es geht um den Bau von rund 3400 Wohneinheiten in dem Gebiet zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Ma’ale Adumim

 20.08.2025

Jerusalem

Israel entzieht Vertretern Australiens in Palästinensergebieten Visa

Australien ist eines der westlichen Länder, die im kommenden Monat einen palästinensischen Staat anerkennen wollen. Darauf und auf Einreiseverbote für israelische Politiker folgt ein Gegenschritt

 18.08.2025

Halle

Datenbank über Opfer medizinischer Forschung in NS-Zeit veröffentlicht

Tausende Menschen wurden im Nationalsozialismus zu medizinischen Untersuchungen gezwungen. Ihre Schicksale sollen nun sichtbar werden

 18.08.2025

Dresden

Tora-Rolle entsteht in aller Öffentlichkeit

Vor dem Dresdner Stadtmuseum kann demnächst jeder durch ein Schaufenster zusehen, wie eine Thora-Rolle entsteht

 14.08.2025