koscheres Bier

Siebentausend Liter Freude

von Tobias Kühn

Michael Huschens sieht nicht aus wie einer, der jeden Tag mit Bier zu tun hat. Der 28-Jährige ist schlank und schlaksig, nicht der geringste Ansatz eines Bierbauchs zeichnet sich unter seinem T-Shirt ab. Und das, obwohl er regelmäßig trinkt – manchmal sogar während der Arbeitszeit. Michael Huschens ist Braumeister. In der Hartmanns- dorfer Brauerei, zehn Kilometer nordwestlich von Chemnitz, plant und bewacht der gebürtige Schwarzwälder die Herstellung von neun Millionen Litern Bier im Jahr.
Jung wie Huschens ist auch das Unternehmen. Zwar wirbt es mit »Braurecht seit 1887«, doch architektonisch erinnert nichts daran. Das alte Hartmannsdorfer Brauhaus wurde vor zwölf Jahren komplett abgerissen, es entstanden drei neue Gebäude in modischem Grau – schlicht in der Form, aber praktisch: auf der einen Seite das Sudhaus mit seinen blitzenden Edelstahlkesseln, gegenüber der Bürotrakt, und in der Mitte ein Querriegel für Abfüllung und Lager – bestens zu erreichen für große Lastwagen, die auf dem riesigen Hof sogar wenden können. In den Ecken stehen hunderte Bierkästen, aufgetürmt zu meterhohen Trutzburgen, allesamt bestückt mit Flaschen, die Michael Huschens mit seinen 23 Mitarbeitern gefüllt hat.
Vor sechs Wochen probierte der junge Braumeister etwas Neues aus. Er produzierte erstmals ein koscheres Pils: 7.000 Liter, das sind 21.000 Flaschen. »Simcha« heißt die Marke, hebräisch für »Freude«. Auf dem Etikett prangt das Koschersiegel des Berliner Rabbiners Yitshak Ehrenberg, und auf jedem der weißen Kartons, in denen das Getränk zu je 24 Flaschen abgepackt ist, steht der Slogan »Sachsens erstes koscheres Bier«.
Noch bis vor einem halben Jahr wussten weder Michael Huschens noch seine Mitarbeiter, was Kaschrut ist. Sie kannten die Redewendung, etwas sei nicht ganz koscher, aber von Speisegesetzen hatten sie keine Ahnung. Niemand von ihnen ist jüdisch. Anfang des Jahres kam Rabbiner Yitshak Ehrenberg nach Hartmannsdorf und schaute sich an, wie Huschens und seine Kollegen Bier brauen. Seitdem weiß Michael Huschens, wann ein Bier ein koscheres ist: Das Malz muss koscher sein und ebenso der Hopfen, das Wasser aus der hauseigenen Quelle ist es sowieso. »Nach deutschem Reinheitsgebot gebrautes Bier sollte eigentlich ohnehin koscher sein«, findet Huschens. Denn die Hygienevorschriften seien so streng, dass sie denen des Rabbiners nahezu gleichkämen. Was Huschens bis vor sechs Monaten noch nicht wusste: Der Hopfen, den die Hartmannsdorfer Brauer für ihre Biere verwenden, ist bereits seit längerer Zeit koscher. Schon vor Jahren hat der bayerische Zulieferer seine zu Pellets gepressten Hopfenblätter vom Münchner Rabbinat zertifizieren lassen. Außer dem koscheren Malz, das in grauen Plastiksäcken im Sudhaus lagert, muss für das Simcha-Bier keine Zutat extra bestellt werden. »Eigentlich keine große Umstellung«, sagt Huschens. Sein Chef Ludwig Hörnlein, geschäftsführender Gesellschafter der Brauerei, bestätigt dies. »Es ist für uns ein relativ geringer Mehraufwand«, sagt er. Investitionen seien nicht nötig gewesen.
Bis vor vier Jahren gehörte das Unternehmen einer thailändischen Brauereigruppe. Sie hatte das alte Hartmannsdorfer Brauhaus Mitte der neunziger Jahre aufgekauft, abgerissen und eine moderne Spezialitätenbrauerei aufgebaut. Die stellt neben den lokalen Marken »Hartmannsdorfer Pils«, »Mittweidaer Löwenbräu« und einigen Limonaden ein thailändisches Bier her, das in Asia-Läden und Thai-Restaurants in der gesamten Bundesrepublik verkauft wird, außerdem ein griechisches Eisbier sowie »GlühBo«, einen Glühwein mit Bockbierwürze. Wenn der gebraut wird, müssen die Hartmannsdorfer, so will es der Rabbiner, auch nach gründlicher Reinigung der Anlagen noch mindestens zwei weitere Produkte durchlaufen lassen, bevor sie wieder Simcha abfüllen, denn der Glühwein ist nicht koscher. »Unsere Brauerei ist so ausgerüstet, dass wir unterschiedliche Produkte in kleinen Mengen herstellen und abfüllen können«, sagt Hörnlein. Das komme der Herstellung eines koscheren Bieres zugute. »Wir sind prädestiniert dafür.«
Doch die Idee eines koscheren Pils aus Sachsen stammt nicht von Hörnlein selbst. Im vergangenen Jahr kamen zwei Männer aus Chemnitz zu ihm. Der eine, Uwe Dziuballa, betreibt ein jüdisches Restaurant, der andere, Wilfried Gotter, ist Geschäftsführer des christlichen »Vereins der Sächsischen Israelfreunde«. Beiden sei aufgefallen, sagt Hörnlein, »dass das in Deutschland angebotene koschere Bier den Ansprüchen der hiesigen Kunden geschmacklich nicht entspricht«. Als sie Hörnlein fragten, ob nicht auch hierzulande eine Brauerei ein koscheres Bier mit akzeptablem Geschmack herstellen könne, habe er sich gedacht: »Wenn das jemand kann, dann sind wir das.«
Inzwischen hat Ludwig Hörnlein rund 10.000 Flaschen Simcha verkauft, die Hälfte der ersten Charge. Wenn es weiter so läuft, soll im kommenden Monat wieder gebraut werden. Doch koscher hat seinen Preis: Die 0,33-Liter-Flasche des neuen Bieres kostet 83 Cent, das ist doppelt so viel wie die Hausmarke »Hartmannsdorfer«. Bisher wird nur im Direktvertrieb verkauft, die Abnehmer sind jüdische Gemeinden und Restaurants in Deutschland, Belgien und Italien, aber auch Privatpersonen, die sich einen Karton schicken lassen oder im Fabrikladen kaufen. Braumeister Huschens: »Wer einmal dieses israelische Maccabee-Bier getrunken hat, der weiß, warum wir ‚Simcha‘ machen.«

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025