Seefahrtsgeschichte

Schlagseite

von Frank Keil-behrens

Hamburg hat ein neues Museum: Beheimatet in einem komplett sanierten Kaispeicher in der Hafen City, soll es auf neun Etagen unter dem Titel »Internationales Maritimes Museum Hamburg« 3.000 Jahre Schifffahrtsgeschichte zeigen. Der Großteil der Exponate stammt aus der privaten Sammlung von Peter Tamm, langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender des Axel Springer Verlages. Finanziert hat den Bau die Stadt Hamburg mit 30 Millionen Euro – und zugleich darauf verzichtet, der das Museum leitenden Peter Tamm Stiftung irgendwelche inhaltliche Vorgaben zu machen. Bisher war die Sammlung in Tamms mondäner Elbvilla untergebracht, flankiert von Geschützen und einem Torpedoboot der DDR-Marine im Vorgarten. Tamms notorische Vorliebe für Militaria passt zu seinem Weltbild: Markig verkündet er, dass es im Leben ums Fressen oder Gefressenwerden gehe und das unsere Demokratie weit besser funktionieren würde, wenn da einer wie ein Kapitän das Ruder in die Hand nähme. Das alles hat den Senat nicht davon abbringen können, Tamm und seinem Team bei der Ausgestaltung des Hauses absolut freie Hand zu geben.
Das Ergebnis fällt entsprechend aus. Die Reichskriegsmarine beider Weltkriege und besonders der NS-Zeit nimmt in dem Museum viel ehrenvollen Platz ein – dabei hatte das Tamm-Team immer wieder versprochen, gerade hier besonders sensibel vorzugehen. Immerhin wird auch über Tiefseeforschung informiert und über die Geschichte der Nautik. Gefällige Marinemalerei füllt ein Stockwerk, ein anderes ist allein mit Tausenden von Miniaturschiffsmodellen bestückt.
Kein Wort wird dafür verloren über den Gründer von Hapag-Lloyd, den jüdischen Hamburger Großreeder Alfred Ballin, zeitweilig Berater Kaiser Wilhelms des Zweiten. Überhaupt wird das gesamte Kapitel der Auswanderungswellen aus Ost- und Mitteleuropa von den Häfen Hamburgs, Cuxhavens und Bremerhavens aus in die Neue Welt komplett unterschlagen. Nichts findet sich auch über die Menschen, die ab 1933 per Schiff versuchten, sich nach Übersee in Sicherheit zu bringen. Vergeblich sucht der Besucher nach Hinweisen auf die Fahrt der St. Louis im Mai 1939 mit über 900 jüdischen Exilsuchenden oder die der Königsberg mit 165 Juden aus Österreich, die schließlich in Venezuela Schutz fanden. Die nautische Aktion dänischer Helfer im Oktober 1943, die damals fast alle ihre jüdischen Landsleute über die Ostsee nach Schweden retteten, kommt ebenfalls nicht vor. Unerwähnt bleiben auch die Außenlager des KZ Neuengamme, gleich drüben auf der anderen Elbseite, in Wilhelmsburg und Finkenwerder, deren Häftlinge auf den Werften und ihren Zulieferbetrieben schuften mussten. Desgleichen fehlen die Cap Arcona und die Thielbek, auf denen in den letzten Kriegstagen Tausende von KZ-Insassen zusammengepfercht wurden.
Stattdessen werden in einer Vitrine kommentarlos die Orden von Otto Schniewand ausgestellt. Schniewand war unter anderem ab 1943 Flottenchef und kassierte als Befehlshaber der Region Oslo das Urteil gegen den Matrosen Walter Gröger: Der 22-Jährige wurde wegen Fahnenflucht im Sommer 1944 zu acht Jahren Haft verurteilt. Schniewand aber verlangte die Todesstrafe: Dazu übergab er den jungen Mann dem Marinerichter Hans Filbinger, der später Grögers Erschießung persönlich überwachen wird. Über derlei Zusammenhänge erfährt der Besucher nichts.
Bemerkenswert ist auch die Darstellung des Lebenslaufes des Marineoffiziers Bernhard Rogge, dem eine komplette Vitrine gewidmet ist. Dass Rogge als Kommandeur des Hilfskreuzers Atlantis mehr als 600 Tage auf Kaperfahrt war, hat den Ausstellungsmachern offenbar sehr imponiert –wobei über den historischen Hintergrund dieser »Leistung« nicht weiter diskutiert wird. Stattdessen eine seltsam kryptische Beschriftung: »Bernhard Rogge war ‚Vierteljude‘ und hatte bis 1939 unter schweren persönlichen Schicksalen zu leiden, die seine Ehefrau und seine Schwiegermutter sogar zum Selbstmord trieben.« Mehr zu diesen »persönlichen Schicksalen« erfährt man nicht, ebenso wenig, dass Rogge, der ab 1957 entscheidend am Aufbau der bundesdeutschen Marine beteiligt war, für vier Todesurteile gegen deutsche Matrosen mitverantwortlich war, eines davon noch im Mai 1945 nach der Kapitulation.
Immerhin: Es gibt ein Modell der Exodus. Sogar mit ein wenig Text versehen, der erzählt, wie dieses Schiff im Juli 1947 mit über 4.500 Displaced Persons an Bord versuchte, sich nach Palästina durchzuschlagen, von den Briten geentert wurde und mit seinen erschöpften, heimatlosen Passagieren wieder zurückgeschickt wurde. Dass die Exodus allerdings nicht nur »in Deutschland« anlandete, wie die Beschriftung erzählt, sondern die Passagiere unmittelbar in der Nähe des neuen Museums, an den Hamburger Landungsbrücken von Bord geprügelt wurden, fehlt in dem Text. Pikant auch der Standort: Die Exodus findet sich in der Abteilung »Kreuzfahrten« – direkt neben einem »Kraft-durch-Freude«-Dampfer.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025