Tötung von Terroristen

Recht oder Rache?

von Detlef David Kauschke

Adnan al-Ghul ist einer der meistgesuchten palästinensischen Terroristen. Jahrelang verfolgt Israel das führende Hamas-Mitglied. Bis Kampfhubschrauber in der Nacht des 21. Oktober 2004 im Norden des Gasastreifens seinen Wagen unter Feuer nehmen. Adnan al-Ghul, verantwortlich für verschiedene Terroranschläge und »Vater der Kassam-Raketen«, kommt dabei ums Leben. Die israelische Armee nennt die gezielte Tötung eine der »wichtigsten Exekutionen« der vergangenen Jahre.
Israel muß für seine Politik der gezielten Tötungen viel Kritik einstecken. Das israelische Vorgehen schaffe keine Bedingungen für Dialog und Frieden, die so dringend gebraucht würden, sagte EU-Chefdiplomat Javier Solana nach der Tötung al-Ghuls und anderer Terroristenführer. »Israel hat kein Recht zu außerge-
setzlichen Tötungen«, betonten die EU-Außenminister in einer gemeinsamen Erklärung.
Nach längerer Pause haben die israelischen Streitkräfte die gezielten Tötungen Anfang des Monats wieder aufgenommen. Anlaß war der anhaltende Kassam-Beschuß israelischer Siedlungen und Städte aus dem Gasastreifen. Wieder gibt es Kritik. UNO-Generalsekretär Kofi Annan verurteilt die »Hinrichtungen ohne Prozeß«. Wiederholt heißt es, das israelische Vorgehen widerspreche internationalem Recht.
Alan M. Dershowitz, Professor an der Harvard Law School, hat sich mit der Frage beschäftigt, ob demokratische Staaten, in diesem Fall Israel, töten dürfen. In seinem Buch Plädoyer für Israel schreibt er: »Während militärischer Auseinandersetzungen die militärischen Führer des Gegners ins Visier zu nehmen, ist nach dem Kriegsrecht völlig legal – Israel macht nichts anderes als die Vereinigten Staaten und andere Demokratien auch.« Die Taktik ziele darauf, künftigen terroristischen Aktionen vorzubeugen. Es gelte, jene Köpfe und Planer des Terrors zu töten, die durch keine andere Methode – wie etwa durch Verhaftung – unschädlich zu machen sind. »Nach internationalem Recht wie nach Kriegsrecht ist es völlig legitim, einen feindlichen Kombattanten zum Ziel zu erklären, der sich nicht ergeben will«, schreibt der US-Anwalt.
Zu Fragen des jüdischen Rechts äußert sich Dershowitz an dieser Stelle nicht. Aber sind die gezielten Tötungen von Terroristen mit der Halacha vereinbar? Mit dieser Frage hat sich David Rosen von der Emory University School of Law in Atlanta/USA auseinandergesetzt. Er verweist auf einen berühmten Satz, der im Talmud an drei Stellen (Brachot 58a, Joma 85b, Sanhedrin 72a) auftaucht: »Will jemand dich töten, so komme ihm zuvor und töte ihn.«
Außerdem erwähnt Rosen die Aufforderung im 3. Buch Moses 19,16: »Stehe nicht still beim Blute deines Nächsten«, die in anderen Toraübersetzungen so lautet: »Bleibe nicht untätig bei der Lebensgefahr deines Nächsten.« Insofern, so Rosen, sei es die Verpflichtung des Individuums, aber auch eines Staates, seine Nächsten, also auch seine Staatsbürger, aus Lebensgefahr zu retten. Wer von einem Mörder verfolgt wird, muß geschützt werden.
Menno ten Brink, liberaler Hauptrabbiner von Amsterdam, betont im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, daß es unterschiedliche Standpunkte gibt: »Im Talmud gibt es auch einen Hinweis darauf, daß es besser ist, getötet zu werden als zu töten.« Aber die überwiegende Meinung der Gelehrten akzeptiere den Grundsatz, daß man verpflichtet ist, sich selbst am Leben zu erhalten, so Rabbiner ten Brink. »Es ist also nicht verboten, sondern absolut empfohlen, diejenigen zu töten, die unser Leben aktiv bedrohen. Das wird im talmudischen Traktat Sanhedrin, im Kapitel Rodef länger behandelt. Man muß natürlich absolut sicher sein, daß die betreffende Person uns in Lebensgefahr bringt.«
Selbstverteidigung sei nicht nur erlaubt, sondern erforderlich, sagt Rabbiner ten Brink. Dies gelte für das Individuum und das Staatswesen. Die gezielte Tötung von Terroristen sei unter den für Israel geltenden Umständen ein Akt der Selbstverteidigung, keinesfalls ein Akt der Rache.
Ein Rodef (Verfolger), also jemand, der einen anderen töten will, muß an der Tat gehindert werden. Maimonides (Rambam, Moses ben Maimon, 1135-1204) schreibt in der Mischne Tora (Hilchot Rotzeah), daß dies mit allen Mitteln erreicht werden müsse, notfalls auch mit dessen Tötung.
David Rosen kommt in seinem im März 2003 veröffentlichten Aufsatz zu dem Schluß, daß die israelischen Reaktionen auf den palästinensischen Terror im Sinne des jüdischen Gesetzes gerechtfertigt sind: »Es ist wahr, daß Grundlage mancher Rechtfertigung die etwas weiter gefaßte Auslegung der Halacha ist. Dennoch ist in schwierigen Zeiten wie diesen ... diese Auslegung nicht nur erlaubt, sondern notwendig.« Er würde es vorziehen, so Rosen, daß Israel nicht zu solchen Mitteln greifen müsse. Doch wenn es das erklärte Ziel eines Terroristen sei, unschuldiges Leben zu töten, fordere auch der Talmud, ihn »mit allen möglichen und notwendigen Maßnahmen« davon abzuhalten.
Zum Filmstart von Steven Spielbergs München fragt das Hamburger Magazin Spiegel auf der Titelseite seiner Ausgabe vom 23. Januar: »Dürfen Demokratien töten?«. Im Blatt ist die Rede vom israelischen »Rachefeldzug« nach dem Olympia-Attentat 1972. »Rache und Demokratie – das paßt nicht zusammen«, heißt es. Auf die Frage, ob die von der damaligen israelischen Regierungschefin Golda Meir abgesegnete Aktion gegen die München-Attentäter richtig war, antwortet der Hollywood-Regisseur im Spiegel-Interview: »Im Prinzip glaube ich also, daß sie das Richtige getan hat.«

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