bioethik

Päpstlicher als der Papst?

von Hannes Stein

Der konservative amerikanische Rabbiner David Novak hat ein Buch mit dem Titel Die Heiligkeit des menschlichen Lebens geschrieben, und er bittet respektvoll darum, vom Mainstream abweichen zu dürfen. Vom Mainstream übrigens nicht nur der linksliberalen öffentlichen Meinung – auch die allermeisten anderen jüdischen Geistlichen sehen Abtreibung und verbrauchende Stammzellenforschung grundlegend anders als David Novak. Unabhängig davon, ob es sich nun um Reformrab- biner oder Anhänger der Orthodoxie handelt.
Im Kern dreht sich der Streit um eine Stelle im Talmud. Diesem Passus zufolge ist die Leibesfrucht bis zum 40. Tag nach der Befruchtung als »maim b’alma« anzusehen: als »bloßes Wasser«, als Nichts. Darum sind laut Halacha etwa die In-vitro-Fertilisation, bei der überflüssige befruch- tete weibliche Eizellen im Abfall landen, oder Stammzellenforschung, bei der Embryonen getötet werden, kein moralisches Problem.
Einspruch, sagt Rabbi David Novak. Zum einen gehe es bei der Talmudpassage mit dem »maim b’alma« gar nicht um die Frage, ob ein Embryo getötet werden darf (sondern lediglich darum, wer als Erstgeborener gilt und mit »pidijon haben« bei einem Kohen ausgelöst werden muss). Zum anderen glaubt David Novak, dass die Vierzig-Tage-Regel überhaupt keinen legalen Status hat. Es handle sich im eigentlichen Sinne nicht um eine Rechtsvorschrift, sondern um eine Widerspiegelung dessen, was in der Zeit, als der Talmud kodifiziert wurde, dem Stand der Wissenschaft entsprach. Die Vorstellung, dass 40 Tage nach der Befruchtung irgendetwas mit dem Embryo passiert, im Sinne eines qualitativen Sprungs, findet sich zuerst bei Aristoteles.
In Wahrheit passiert 40 Tage nach der Befruchtung gar nichts. Das wesentliche Ereignis findet im Augenblick der Zeugung statt: Wir wissen heute, dass die befruchtete Eizelle von Anfang an über einen kompletten DNA-Satz verfügt. Damit, so David Novak, handelt es sich um ein Kind, das laut Halacha dieselben Rechte hat wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten. Novak beruft sich hier auf Maimonides, der schrieb, dass in jenen halachischen Fragen, die nicht das Ritual betreffen, sondern die Ethik, Experten zu konsultieren sind: »schomim al harofim« – man hört auf die Ärzte.
Davon unberührt ist eine andere halachische Rechtsvorschrift: Ihr zufolge muss der menschliche Fötus getötet werden, wenn er bei der Geburt das Leben der Mutter gefährdet, vorausgesetzt, er befindet sich noch nicht im Geburtskanal. In diesem besonderen und tragischen Fall liegt auf ihm ein »din rodef«, das heißt, der Fötus gilt als ein Verfolger, der ohne Gerichtsurteil erschlagen werden darf. (Wenn der Fötus schon im Geburtskanal ist, muss man der Natur allerdings ihren Lauf lassen.) Aber so etwas kommt laut Novak heute kaum noch vor. Er widerspricht entschieden, dass das Leben einer Mutter in Gefahr sei, wenn sie etwa aufgrund einer unerwünschten Schwangerschaft nicht mehr Karriere machen kann.
David Novak stellte die Thesen seines Buches in der voll besetzten Synagoge des Jewish Theological Seminary in New York vor. Er wolle als Jude nicht zu einer »Kultur des Todes« beitragen, sagte er zum Schluss und zitierte damit bewusst eine Wendung von Johannes Paul II. Juden sollten nicht krampfhaft versuchen, sich mithilfe der Halacha von ihren christlichen Nachbarn zu unterscheiden. Eher sollten sie den Ehrgeiz haben, es in puncto Ethik noch ein bisschen genauer zu nehmen. »Woher haben die denn ihre Moral, wenn nicht von uns?«, rief Novak emphatisch aus.

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