Judentum

Osterweiterung

von Carsten Dippel

Kaum ein Klischee ist so abgegriffen wie das des »Ostjuden«. Sei es als negatives Motiv des kaftanummäntelten Armen oder als positiv konnotierter Mythos vom »ursprünglichen« Juden.
Über die Bedeutung, die Juden für Osteuropa gespielt haben, über die Realität einer komplexen Gemeinschaft weiß man indes wenig. Zu sehr wurde der Blick auf das osteuropäische Judentum durch die Fixierung auf den Holocaust verstellt, sagt Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift »Osteuropa«. Dies gelte in ganz eigener Weise für die postkommunistischen Gesellschaften, habe doch die kommunistische Geschichtsschreibung für eine weitgehende Erinnerungslücke gesorgt. Mittlerweile regt sich jedoch vom Baltikum über Russland, Polen und Ungarn vielerorts neues jüdisches Leben.
Dass aber noch vieles brach liegt und der unverstellte Blick auf dieses wenig ausgeleuchtete Kapitel notwendig ist, wurde auf einer Tagung im Berliner Centrum Judaicum deutlich, die es gemeinsam mit der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde kürzlich ausrichtete. Darin wird die Vielfalt jüdischer Lebenswelten gezeigt, die immer auch in der Spannung zwischen Tradition und Moderne standen. Ebenso der oft unterschätzte jüdische Beitrag zum kulturellen und wissenschaftlichen Transfer von Ost- nach Westeuropa. Aber auch »Irrwege« kommen zu Wort, etwa die aktive Beteiligung von Juden am bolschewistischen Experiment.
Ein bis heute nicht in ausreichendem Maße wahrgenommener Umstand ist der Verlust an jüdischen Gemeinden nach 1945. Bestes Beispiel: Rumänien. Von den 800.000 Juden wurde nahezu die Hälfte ermordet. Im neu konstruierten Karpatenstaat lebten 1945 immerhin noch mehr als 400.000 Juden. Heute zählt die Jüdische Gemeinde indes gerade mal 10.000 Mitglieder, die überwiegend in Bukarest leben. Viele Synagogen und Friedhöfe im Land sind verwaist. Die rumänische Gesellschaft verdrängte nach der Revolution 1989 einiges, und erst allmählich wuchs in den letzten Jahren das Bewusstsein für die eigene Verantwortung im Holocaust, wie auch für die Bedeutung des jüdischen Erbes.
Forschungs- und Erinnerungsarbeit zur jüdischen Geschichte basiert in Osteuropa noch immer stark auf Privatinitiativen und Spendengeldern. Es mangelt an staatlicher Unterstützung. Manfred Sapper weiß um diese Schwierigkeiten. In den vergangenen Jahren habe sich aber etwa in Polen oder Litauen eine »unglaubliche Kraft zur kritischen Aneignung der eigenen Geschichte« entfaltet. »Wir erleben«, so sein Fazit, eine »langsame Osterweiterung des Gedenkens«.

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025